| # taz.de -- Überwachung in Leipzig: Unfreiwillige Vertuscher | |
| > Der Fall zeigt ein Dilemma: Journalisten müssen ihre Quellen schützen und | |
| > können nicht über den Abhörskandal berichten – weil sie betroffen sind. | |
| Bild: Obwohl man seit etwa einem Jahr von dem staatlichen Übergriff weiß, wab… | |
| Besser geht es nicht für Journalisten, als direkt an der Quelle zu | |
| sitzen[1][. Am Anfang war von ein, zwei Medienvertretern die Rede], die vom | |
| großen Lauschangriff in Sachsen mit betroffen gewesen sein sollen. Wie die | |
| Leipziger Volkszeitung am Dienstag berichtete, wurden nun aber doch | |
| mindestens neun Journalisten von der Dresdner Generalstaatsanwaltschaft | |
| abgehört. | |
| Bestens also, könnte man denken. Journalisten, macht euch ans Werk. | |
| Recherchiert, deckt auf, bringt Licht ins Dunkle, klärt auf! Aber obwohl | |
| man seit etwa einem Jahr von dem staatlichen Übergriff weiß, wabert über | |
| dieser Affäre weiter dichter Nebel. Aus guten Gründen. Am Leipziger | |
| Beispiel kann man studieren, wie das Gift der staatlichen Überwachung die | |
| davon betroffenen demokratischen Kontrollorgane lähmt. | |
| Ausgeworfen wurden die Netze nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches: | |
| „Bildung krimineller Vereinigungen.“ Auslöser waren 16 Fälle von | |
| Gewaltübergriffen auf Rechtsradikale. Im Visier standen 14 | |
| Hauptverdächtige, die der linken Szene und dem Fußballklub BSG Chemie | |
| Leipzig zugerechnet wurden. Das Ergebnis der Jagd von 2013 bis 2016: keine | |
| Anhaltspunkte für die Bildung einer kriminellen Vereinigung. | |
| Die vermeintlichen Protagonisten lernten sich teilweise erst kennen, | |
| nachdem der Staatsschutz seiner Verpflichtung zur Offenlegung des | |
| eingestellten Verfahrens nach kam. Die engmaschigen Netze mussten wieder | |
| eingeholt werden. Darin ist jedoch einiges hängengeblieben. | |
| Mittlerweile ist von mehr als 80 Aktenordnern die Rede, die mit mehr als | |
| 24.000 Seiten Gesprächsprotokollen gefüllt sein sollen. Neben den | |
| Hauptverdächtigen, zu denen auch ein Fansozialarbeiter zählt, sind | |
| Hunderte, so genannte „Drittbeteiligte“, bis in ihre privatesten Winkel | |
| ausgehorcht worden – eben auch die bereits erwähnten Journalisten. | |
| ## Name verschwiegen | |
| Die jüngste Enthüllung hat die Leipziger Volkszeitung einer Anfrage der | |
| Grünen im sächsischen Landtag zu verdanken. Sie ergab: Bei einem ihrer | |
| Redakteure wurde besonders intensiv geschnüffelt. Allein 130 Mal wurden | |
| seine Gespräche mit Vertretern des Regionalligisten abgehört. Er sei | |
| entrüstet, sagte Chefredakteur Jan Emendörfer. Die hohe Zahl der abgehörten | |
| Gespräche stünde in keinem Verhältnis zum Ermittlungsgegenstand. | |
| Den Namen des Redakteurs, der für den BSG Chemie Leipzig zuständig ist, | |
| verschwieg man, obwohl er selbst für Anfänger im Recherchehandwerk leicht | |
| zu ermitteln ist. Der Mann könnte gewiss einiges zur Erhellung der Sachlage | |
| beitragen, welche Belanglosigkeiten etwa den Staatsschnüfflern offenbar von | |
| Bedeutung waren oder welche harmlosen Gestalten des Leipziger | |
| Amateurfußballs zu Unrecht in die Nähe krimineller Vereinigungen gerückt | |
| wurden. Und ein jeder könnte ins Verhältnis setzen, wie hemmungslos der | |
| Eifer der Ermittler erst ausartet, wenn mehr auf dem Spiel steht. Aber er | |
| ist zum Schweigen verdammt. | |
| Denn schon bei diesem kleineren Fall hat man es mit einem massiven Problem | |
| zu tun. Als so genannte Berufsgeheimnisträger bedürfen Journalisten eines | |
| besonderen Schutzes ebenso wie die zehn abgehörten Rechtsanwälte in | |
| Leipzig. Sie können ihre Gesprächspartner, gegen die als Hauptverdächtige | |
| im Zusammenhang mit organisiertem Verbrechen ermittelt wurde, nicht ohne | |
| deren Einverständnis der Öffentlichkeit preisgeben. | |
| Auch der taz wurden Informationen von einem betroffenen Journalisten | |
| zugetragen, dessen Gespräche mit einem der Hauptverdächtigen dokumentiert | |
| wurden. Mit Bitte um Vertraulichkeit und Quellenschutz. | |
| ## Anonymität schützt | |
| Die Journalisten sitzen also zwar direkt an der Quelle, dürfen aber nicht | |
| daraus schöpfen, denn das Vertrauen ihrer Informanten ist für ihre Arbeit | |
| überlebenswichtig. Ein Dilemma. Denn so betreiben sie unfreiwillig das | |
| Geschäft der Vertuscher, der Herren von der Generalstaatsanwaltschaft und | |
| der Landesregierung, die möglichst wenig preisgeben wollen. | |
| Der große Lauschangriff, den die Bundesregierung 1998 ins Grundgesetz | |
| verankern ließ, und der die Überwachung von Privatwohnungen möglich machte, | |
| hat beträchtliche Nebenwirkungen, wie das Beispiel zeigt. Sie sind | |
| imstande, die aufklärende und kontrollierende Funktion von Journalisten | |
| außer Gefecht zu setzen. | |
| Es sind die perfiden Mechanismen des Missbrauchs am Wirken. Der Übergriff | |
| des Staates in intime Bereiche hat etwas Beschämendes, Stigmatisierendes – | |
| auch für zu Unrecht Verdächtigte. Es macht sie schutzbedürftig. Anonymität | |
| ist das Mindeste, was ihnen gewährt werden muss. Aber die schützt dann eben | |
| auch die Täter. | |
| 12 Oct 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Johannes Kopp | |
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