# taz.de -- Van Reybrouck über rechten Populismus: In Touch mit dem Tresen | |
> Der belgische Historiker David Van Reybrouck plädiert für einen | |
> „besseren“ Populismus. Und gibt dabei den Tabubrecher. | |
Bild: FPÖ und AfD, Rechtsaußen in Österreich und Deutschland, glücklich ver… | |
Der belgische Historiker David Van Reybrouck hat sich mit seinem Werk | |
„Kongo. Eine Geschichte“ als Autor international ausgezeichnet. „Kongo“, | |
bei Suhrkamp erschienen, besticht durch die umfangreiche Recherche, den | |
gekonnten Mix aus journalistischen und wissenschaftlichen Methoden. Daneben | |
veröffentlicht Van Reybrouck auch eine Reihe von Essays, die sich mit dem | |
Zustand der westlichen Demokratien beschäftigt. | |
2016 erschien „Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist“. Hier | |
plädiert er dafür, die repräsentative Demokratie um ein Zweikammersystem zu | |
erweitern. Neben der parlamentarisch gewählten Volksvertretung sollte es | |
eine weitere geben, zusammengesetzt nach sozialem Proporz und per | |
Losverfahren bestimmt. So würde das System durchlässiger, die Allgemeinheit | |
stärker an der Willensbildung beteiligt, Politik bliebe „in touch mit dem | |
Tresen“. | |
Ein interessanter Vorschlag. Wo alle Verantwortung tragen (müssen), fiele | |
es auch weniger leicht, sich von Parlamenten und ihren Entscheidungen | |
leichtfertig zu distanzieren. Doch nun bringt der Wallstein Verlag einen | |
weiteren Essay Van Reybroucks in die deutsche Debatte ein. „Für einen | |
anderen Populismus. Ein Plädoyer“ ist vor fast zehn Jahren geschrieben und | |
nun mit einem aktuellen Vorwort versehen. Der 1971 in Brügge geborene Autor | |
formuliert hier einige Überlegungen angesichts des Aufstiegs des | |
europäischen Populismus. | |
## „Dunkler“ versus „besserer“ Populismus | |
Er möchte dem „dunklen“ unaufgeklärten Populismus der Rechten, einen | |
„besseren“ entgegenhalten. Wobei er beim „besseren“ und ob es einen sol… | |
überhaupt geben könnte, sehr vage bleibt. Seine Hauptthese lautet: Wir | |
leben in einer „Diplomdemokratie“, die mangelnde Repräsentanz | |
„Geringqualifizierter“ in den Parlamenten führe dazu, dass diese sich den | |
Rechtspopulisten zuwenden. Manches bei Van Reybrouck klingt einleuchtend, | |
anderes wie diese These nicht. | |
Sicherlich hat der belgische Historiker recht, wenn er Beteiligung und | |
Partizipation als bestes Mittel gegen Politikverdrossenheit propagiert. Ein | |
zweites Parlament – demokratisch zusammengesetzt nach dem sozialem Proporz | |
der Gesamtbevölkerung und ausgewählt im Losverfahren – könnte so manchen | |
Verschwörungstheoretiker schwer zu schaffen machen. Der politische | |
Populismus beruht ja auf der Behauptung, nur er kenne Volkes Wille und der | |
würde nicht gehört. | |
Ein Zweikammersystem könnte die Durchlässigkeit der Demokratien stärken und | |
auch den Wutforen des Internets etwas entgegensetzen. Doch irrt Van | |
Reybrouck gewaltig, so er darin ein Allheilmittel gegen den (rechten) | |
Populismus sieht und dessen nationalistische Demagogie bagatellisiert. Im | |
Vorwort zur deutschen Erstausgabe mokiert er sich jetzt über den Auftritt | |
von Martin Schulz bei der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse 2016. | |
## „Kleine“ Herkunft Würselen | |
Damals war Schulz noch nicht als Kanzlerkandidat ausgerufen, brachte sich | |
aber dafür in Stellung. Auf der Buchmesse präsentierte sich Schulz als | |
sozialdemokratischer Politiker, der trotz EU-Parlament seine „kleine“ | |
Herkunft aus Würselen keineswegs vergessen hat. Das kam sehr gut an. Auch | |
die Kritik am europäischen Rechtspopulismus – Schulz forderte einen | |
„Aufstand der Anständigen“ – wenig später setzte Schulz nach Ausrufung … | |
Kanzlerkandidatur zu seinem sensationellen Umfragehoch an. Der Absturz kam | |
erst später. | |
Doch was analysiert nun Van Reybrouck? Schulz habe trotz guter Absichten | |
„durch diese Rede“ in Frankfurt „die Kluft zwischen Elite und Masse | |
vergrößert“. Er ignoriert völlig, dass die SPD-Kanzlerkampagne ihre Delle | |
erst später und aus anderen Gründen erfahren hat. Nicht aus jenen, die Van | |
Reybrouck dem Politiker-Typus Schulz nun nachträglich unterstellt. Er | |
behauptet, Politiker wie Schulz würden eine „Dämonisierung des realen | |
sozialen Unbehagens“ betreiben. | |
Und sie hätten die „Neigung, mehr Sympathie für Flüchtlinge zu hegen als | |
für Arbeiter und Ungelernte“. Vergiftete Sätze, ganz nebenbei populistisch | |
in die Welt gestreut. Bei Van Reybrouck ist es wohl der intellektuelle | |
Hochmut, der ihn von der berechtigten Kritik des Elitismus zur unlauteren | |
Rechtfertigung des Nationalismus führt. Begrifflich hat das | |
Stammtischniveau. In Deutschland ist die AfD auch keineswegs eine Partei | |
der kleinen Leute, ihre Wähler und Abgeordnete stammen aus allen | |
Gesellschaftsschichten. | |
## Suche nach dem kulturkämpferischen Konzept | |
Und es ist auch nicht so, wie Van Reybrouck sagt, die „panische Angst vor | |
dem Faschismus, wodurch Rechtsextremismus aber gerade befördert wird“. Es | |
ist vielmehr die mangelnde Abgrenzung davon, die sich besonders in der | |
schamlosen neuerlichen Verbindung der sozialen mit der nationalen Frage | |
ausdrückt. Dabei wählt die Masse der Anhänger von AfD, Front National, SVP | |
oder FPÖ diese Parteien heute nicht aus nackter ökonomischer Not. Nein, sie | |
sucht nach einem kulturkämpferischen Konzept, um qua völkischer Definition | |
von Nation andere herabwürdigen zu dürfen. | |
Dabei ist es legitim, über Einwanderungszahlen zu sprechen, politische und | |
ökonomische Fluchtgründe unterschiedlich zu gewichten oder auch auf die | |
Verfassungstreue aller zu pochen. Doch der neue Rechtspopulismus spielt mit | |
dem historischen Faschismus, bedient sich bei dessen verbrecherischen | |
Behauptungen und grenzt sich nur nach Opportunität von diesen ab. Das macht | |
ihn so unberechenbar, gruselig, obszön und gerade für viele anziehend. | |
Die Zukunft ist immer eine Auseinandersetzung um die Geschichtsdeutung, mit | |
der sich sehr unterschiedliche Wertvorstellungen verbinden. Der Historiker | |
Van Reybrouck weiß das und sollte aufhören, den Tabubrecher zu spielen. Man | |
muss zwischen Rechtspopulisten, organisierten Nazis und Protestwählern | |
unterscheiden, darf dabei aber nicht den völkischen Nationalismus | |
verharmlosen. Grundgesetz und Menschenrechte hätten auch in einem | |
Zweikammersystem ihre Gültigkeit. | |
13 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2023 | |
Autonome Szene | |
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