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# taz.de -- Frauenfußball in Afghanistan: Die können schießen
> Acht Vereine in einer Liga, nur ein Spielfeld, das gesichert ist. Aber
> Begeisterung: So ist Frauenfußball in Afghanistan.
Bild: Leider eine Seltenheit: Frauen und Mädchen auf einem Fußballplatz in Af…
Fariba Hedayati brüllt über den Platz und fuchtelt wild mit den Händen. Ihr
Kopftuch rutscht in den Nacken, aber das ist ihr jetzt nicht wichtig.
Fariba Hedayatis ganze Wut gilt jetzt der Linienrichterin. Sie zeigt ihr
den Vogel und schreit: „Du hast doch keine Ahnung! Wer hat dich überhaupt
auf den Platz gelassen?“ Aber die Entscheidung ist gefallen: Abseits. Dem
Kabul FC wird das Tor aus diesem Angriff verwehrt, in der 70. Minute des
Finales der afghanischen Frauenfußballliga.
Die Stadionfassade ist vergilbt, sportliche Höhepunkte von früher lassen
sich allenfalls erahnen, auf dem Rasen steht dem Kabul FC heute der Tawana
FC gegenüber. Die Spielerinnen kämpfen mit Taten und Worten engagiert um
den Sieg, auf den Rängen aber verfolgen nur etwa 30 Zuschauerinnen und
Zuschauer das Geschehen. Immer wieder donnern Kampfhubschrauber über das
Stadion hinweg, sie sind auf dem Weg in die mit den Taliban umkämpften
Gebiete. Das ist nur etwa 30 Kilometer entfernt von diesem Ort, an dem
junge Frauen um Fußball-Goldmedaillen kämpfen. Am Ende können übrigens die
Roten jubeln: der Kabul FC gewinnt das Finale, trotz Abseitsfalle der
Gegnerinnen.
Der Spiel- und Trainingsort der Frauen ist das Gelände der Afghanistan
Football Federation (AFF), umgeben von drei Meter hohen Mauern. Darauf
windet sich noch Stacheldraht. An den Metalldornen flattern Plastiktüten
wie ein Mosaik, der Wind Kabuls hat sie hier verloren. Hinter einem
verrosteten Stahltor steht ein junger Soldat mit seiner Maschinenpistole
Wache. Dies ist die Heimat von Afghanistans Frauenfußball. Alle acht
Vereine der Liga trainieren auf einem Spielfeld, denn nur hier sind sie
sicher.
Sabur Walizada, der Direktor für Frauenfußball, erzählt: „Es war nicht
immer so schlimm. Aber seitdem wir 2004 den Frauenzweig des Verbandes
eröffnet haben, hat sich vieles verschlechtert.“ Walizada war von Anfang an
dabei – unfreiwillig. Man hatte ihn dazu verdonnert, weil es keine
Freiwilligen für die Aufgabe gab. Es gab auch keine Frauen in Afghanistan,
die genug Erfahrung im Fußball gehabt hätten. Die Jahre nach der
US-amerikanischen Intervention hätten dem Frauenfußball einen Aufschwung
gebracht, „wir mussten uns nicht so verstecken“, erinnert sich Sabur
Walizada.
## Streng bewacht, keine Zuschauer
Die Euphorie aber, die vor 16 Jahren das Ende des Taliban-Regimes
hervorbrachte, verfliegt gerade in Afghanistan. Armut, Korruption und
Perspektivlosigkeit machen die meisten Menschen konservativer, „da steht
etwas Fortschrittliches wie Frauenfußball im Gegensatz zum Zeitgeist“.
Walizada erzählt von Leuten, die wütend werden, wenn sie Frauen Fußball
spielen sehen. Einzelne Vereine erhielten Drohungen von islamistischen
Gruppen, aber auch einfache Leute warfen Steine auf Mädchen in
Sportklamotten. „Seitdem wird nur noch in den eigenen vier Wänden gespielt.
Es passiert zwar kaum noch Negatives, dafür ist es ein goldener Käfig.“
In dem Land stagniert der Frauenfußball. Ohne Zuschauer finden sich keine
Sponsoren. Keine NGO, kein Unternehmen fördert explizit den Frauenfußball.
Die Spielerinnen bekommen nur das, was aus dem Budget für die Männer übrig
bleibt. Allein die dänische Sportfirma Hummel, die auch die
Männer-Nationalmannschaft ausrüstet, spendiert der Liga jedes Jahr eine
neue Spielerinnenausrüstung.
Fragt man Fariba Hedayati nach ihrem Leben als Fußballerin, lacht sie erst
einmal laut. „Mir scheint, als seien die meisten Fremden, die von uns
hören, begeisterter von unserem Fußball als wir selbst“, sagt die junge
Stürmerin des Kabul FC mit den grünen Augen und dem provokant sitzenden
Kopftuch. „Ich weiß nicht, für mich ist es ganz normal.“ In der
afghanischen Hauptstadt spielen nur etwa 120 Frauen in einem offiziellen
Verein.
## Mit 20 Jahren ist Schluss
Im ganzen Land sind es ungefähr 300. So normal ist es wohl doch nicht für
Frauen in Afghanistan, am Mittwochnachmittag in kurzen Hosen unter der
prallen Mittagssonne einen Ball über den Rasen zu kicken.
Mit ihren 19 Jahren ist Fariba Hedayati schon eine der Ältesten in ihrer
Mannschaft. Für die meisten Spielerinnen ist spätestens mit 20 Schluss. In
der Gesellschaft gilt das als das Alter, in dem Frauen heiraten und Kinder
bekommen sollten. „Die meisten Mädchen sind froh, überhaupt so lange
spielen zu dürfen. Ich spiele auch nur, bis meine Familie mir sagt, dass es
genug ist. Eine andere Wahl habe ich nicht“, sagt Hedayati. Dann dreht sie
sich um und rennt auf das Spielfeld, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Als wäre ihr genau in diesem Moment bewusst geworden, wie kostbar ihre Zeit
auf dem Platz in Kabul doch ist.
Dort verteilen die Verantwortlichen der AFF nun Goldmedaillen und
Trostpreise. Keine Musik, kein Konfetti, aber immerhin sind auch ein paar
afghanische Journalisten gekommen. Es wird nicht undokumentiert bleiben,
dass die Frauen des Kabul FC an diesem Tag einen Pokal in die Höhe gestemmt
haben, dass sie sich umarmt und gefeiert haben. Doch ihr Sieg ist trotzdem
ein Erfolg ganz abseits des afghanischen Alltags. Frauenfußball ist in
diesem Land ein besonderes Privileg, das nur eine kleine emanzipierte
Schicht für ein paar Jahre genießen darf, bevor selbst diese Ausnahme den
unverrückbar scheinenden Traditionen der Gesellschaft zum Opfer fällt.
Wie aber ließen sich mehr Mädchen auf den Platz bringen, nicht allein ein
paar privilegierte? „Es gibt ein, zwei Ausnahmen bei uns. Das sind Mädchen,
die zum Beispiel über das Internet oder im Fernsehen von uns erfahren haben
und dann zum Fußball gehen“, berichtet eine der jungen Spielerinnen. „Die
meisten aber kennen sich aus einer Privatschule, haben dort zusammen die
ersten Erfahrungen mit Fußball gemacht und entscheiden sich dann dafür,
zusammen zum Verein zu gehen.“
## Leben zwischen Fußball und Familie
Der junge Verein Tawana FC will langfristig arbeiten. Eine ehemalige
Nationalspielerin will den Mädchen dort nicht nur das Fußballspielen
beibringen, sondern sie durch ein ganzes Sportlerinnenleben begleiten. Alle
drei Monate lädt sie ein, dann kommen Spielerinnen, deren Eltern und
Psychologen zusammen. Gesprächsthema: Warum ist es gut für eine Frau,
Fußball zu spielen? Weshalb ist es wichtig, sich zu trauen und zu kämpfen?
Nicht selten bekommen Familien Probleme, wenn ihre Verwandten oder die
Nachbarn erfahren, dass eine Tochter es wagt, Fußball zu spielen. Fariba
kennt eine der typischen Fragen nur zu gut: „Ob sie noch als Ehefrau etwas
taugt, wenn sie sich so gegen die eigenen Eltern durchsetzt?“
Der Tawana FC will Eltern und Spielerinnen lehren, mit solchen Vorwürfen
umzugehen. Sie lernen, wie sie mit kulturellem Feingefühl ihre Entscheidung
vermitteln. Der Ruf der Familie ist in Afghanistan nun einmal sehr wichtig.
Und tatsächlich, die Arbeit des Tawana FC scheint Früchte zu tragen: In
ihrem Haus präsentiert sich Azin Rafiee einem Fotografen. Stolz trägt sie
ihr azurblaues Trikot und auf dem Arm ihre dreijährige Tochter Setayesch.
Zum Fußball kam Rafiee erst als verheiratete Frau. „Ich habe zuerst mit den
Jungs in meiner Familie den Ball rumgetreten. Erst ein bisschen, dann ein
bisschen mehr, bis klar war: ich will richtig spielen!“ Ihr Ehemann hatte
vom Tawana FC gehört und ihr vorgeschlagen, dort zu spielen. „Er ist sehr
motivierend. Und er unterstützt mich, egal was kommt. Wenn wir spielen, ist
er da und jubelt. Die Leute sind überrascht, aber er findet es super“, sagt
sie.
Aber natürlich ist Azin Rafiees Leben zwischen Fußball und Familie eine
seltene Ausnahme. In Afghanistan sind Frauen nur zu oft an Leib und Leben
bedroht. Knapp zwei Jahre ist es her, da sorgte der Fall Farkhunda
Malikzada auch international für Schlagzeilen. Ein Video kursierte im Netz,
auf dem zu sehen ist, wie die damals 27-jährige Frau mitten in der
Innenstadt von Kabul erst an ein Auto gebunden durch die Straßen
geschleift, dann gesteinigt und anschließend verbrannt wird, weil sie
angeblich einen Koran „geschändet“ haben soll.
## Hoffnung durch Mauern und Stacheldraht
Da kommen Menschen aus den umliegenden Straßen, um sich an dem Mord an dem
Mädchen zu ergötzen. „Wer sie nicht schlägt, ist ein Ungläubiger“, schr…
jemand aus der Menge. Das Video zeigt aber auch, dass die Polizei dem
Treiben tatenlos zuschaut.
Das gewaltige internationale Medienecho in diesem Fall war allerdings eine
seltene Ausnahme – erschreckend ist, wie häufig solche Fälle unbemerkt von
der Öffentlichkeit geschehen. Auch sogenannte Ehrenmorde drohen Frauen,
selbst wenn sie nur verdächtigt werden, Kontakt zu einem Mann zu pflegen.
Da ist Frauenfußball zumindest ein Hoffnungsschimmer – egal wie oft es zu
Steinwürfen und Morddrohungen kommt. Das traurige Dilemma in Afghanistan
ist, dass es Stacheldraht und Mauern braucht, um kleine Hoffnungsschimmer
scheinen zu lassen.
„Ich weiß nicht, was in Zukunft kommt“, sagt Azin Rafiee. „Die Zukunft d…
Frauenfußballs ist genauso unvorhersehbar wie die Zukunft des ganzen
Landes. Unsicherheit, das vereint alle Afghanen.“ Sie sorgt sich: Was soll
nur aus ihrem Kind werden? Es wächst auf in einer Stadt, in der Anschläge
im Wochentakt töten.
Eins aber weiß Azin Rafiee sicher: Sie wird weiter Fußball spielen. Solange
es geht.
11 Oct 2017
## AUTOREN
Philip Gabriel
Tamana Ayazi
Johanna-Maria Fritz
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Frauenfußball
Ehrenmord
Sicherheit
Fußball
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Frauensport
Fußball
Dänemark
FC Bayern München
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