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# taz.de -- Bizarrer Prozess in Hamburg: Der Spion, der nicht liebte
> Bei der Fortsetzung des Verfahrens gegen den mutmaßlichen türkischen
> Spion Mehmet Fatih S. belasten ihn mehrere Zeugen schwer. Der Angeklagte
> stiftet weiter Verwirrung
Bild: Soll für den türkischen Geheimdienst MIT gearbeitet haben: Mehmet Fatih…
HAMBURG taz | Cihan E. betritt mit gesenktem Kopf den Gerichtssaal, die
langen Haare fallen ihr tief ins Gesicht. Begleitet wird die junge Frau von
mehreren Polizisten. Sie trägt Hut und Sonnenbrille, nach eigener Aussage
auch eine Weste. Dass es sich um eine kugelsichere Weste handelt, kann bei
dem hohen Sicherheitsaufgebot nur vermutet werden. Während sie aussagt,
schüttelt der Angeklagte immer wieder den Kopf.
Vor dem Oberlandesgericht Hamburg wurde der Prozess gegen den früheren
Freund von Cihan E. fortgesetzt. Der Vorwurf: „Geheimdienstliche Tätigkeit
gegen die Bundesrepublik Deutschland“. Mehmet Fatih S. soll für den
türkischen Geheimdienst MIT gearbeitet und in dessen Auftrag den kurdischen
Politiker Yüksel Koçaus Bremen ausgespäht haben. Mindestens zweimal habe er
dem MIT in der Türkei berichtet – auch über Bremer Polizeibeamte, so die
Anklage.
Cihan E. hatte kurdische Politiker und Medien gewarnt, dass ihr Freund
plane, Yüksel Koçumzubringen. Im Dezember 2016 wurde S. daraufhin
festgenommen. Im Zeugenstand beschreibt E. ihre gemeinsame Zeit mit S. als
quälend. 2013 lernten sich die beiden Journalisten kennen und arbeiteten
gemeinsam für einen kurdischen Fernsehsender. Die Beziehung sei von
Erpressung und Gewalt geprägt gewesen. Eine echte Liebesbeziehung hätten
sie nicht gehabt. Das Verhalten ihres Freundes sei ihr schon immer komisch
vorgekommen, sagte Cihan E. Im Frühjahr 2016 habe S. ihr dann von seiner
Arbeit für den MIT erzählt. Er habe ihr 5.000 Euro monatlich geboten, damit
auch sie Kurdinnen ausspioniere. Er habe ihr gesagt, sie könne „James Bond
werden“. Als sie ablehnte, habe er ihr Schweigegeld geboten. Weil sie um
Menschenleben gefürchtet habe, habe sie Beweise gesammelt und sich an
kurdische Journalisten und Politiker gewandt.
Der Journalist, dem sich Cihan E. anvertraute, schilderte am Freitag
detailliert, was sie ihm in mehreren Telefonaten berichtete. Er habe ihre
Aussagen wegen früherer Attentate auf Kurden nicht angezweifelt.
Außerdem sagte eine Mitarbeiterin des Bundesamts für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) aus. Sie hatte den Asylantrag des Angeklagten
bearbeitet. In einer sechsstündigen Anhörung hatte er dort im Dezember 2016
ausführlich von seiner Arbeit für den MIT berichtet. Demnach sei er 2013
von dem Geheimdienst angeworben worden, um kurdische Funktionäre
auszuspionieren. Er sei mit der Arbeit „sehr einverstanden“ gewesen, weil
sein Vater 2004 im Irak von PKK-Kämpfern getötet worden sei. Der MIT habe
ihn bei einem Fernsehsender platziert. Unter dem Vorwand, „kulturelle
Reportagen“ zu drehen, sollte er Kurden in verschiedenen Ländern
ausspionieren, darunter auch Yüksel Koç. Mehmet S.’Aussagen seien
ungewöhnlich detailliert gewesen, so die Beamtin, er habe Namen und genaue
Daten genannt.
Der Angeklagte bestritt das nicht. Er habe beim BAMF damals viele Dinge
erzählt, die nicht stimmten. Dafür schäme er sich. „Wenn ich jetzt darüber
nachdenke, kommt mir das natürlich unsinnig vor.“ Bereits in anderen
Vernehmungen hatte S. seine Agententätigkeit gestanden, später aber
widerrufen.
Die türkische Regierung hat sich bisher nicht zu dem Fall geäußert. Vor
Kurzem hat Präsident Erdoğan jedoch ein Dekret erlassen, das den Austausch
in der Türkei inhaftierter AusländerInnen gegen türkische Gefangene im
Ausland ermöglicht, wenn „die nationale Sicherheit und das Interesse des
Landes es erfordern“. Das Dekret gilt auch für Geheimdienstmitarbeiter.
22 Sep 2017
## AUTOREN
Marthe Ruddat
## TAGS
Spionageabwehr
Spionage
Schwerpunkt Türkei
Türkischer Geheimdienst MIT
Spion
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Schwerpunkt Türkei
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