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# taz.de -- MIT-Agent-Prozess: Verwirrung als Strategie
> Die Bundesanwaltschaft wirft Mehmet S. vor, den Kurdenpolitiker Yüksel
> Koc ausspioniert zu haben. Der Angeklagte sagt widersprüchlich aus.
Bild: Gerichtsakten zu Prozessbeginn
Wahrscheinlich war das sein ehrlichster Satz des Tages: Er habe [1][bei
seinen früheren Aussagen] „ziemlich viel gelogen“, sagte Mehmet Fatih S.
Und so, das zeigte sich, als das Oberlandesgericht Hamburg am Donnerstag
den Prozess gegen S. begann, wollte er es fürs Erste offenbar weiter
halten.
Die stundenlangen, widersprüchlichen Ausführungen des mutmaßlichen
türkischen Spions hatten offensichtlich nur ein Ziel: Verwirrung zu stiften
und damit nichts über seine Auftraggeber preisgeben zu müssen.
Von 2015 bis Ende 2016 soll S. für den türkischen Geheimdienst MIT
spioniert haben. „Geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik
Deutschland“ wirft ihm die Bundesanwaltschaft vor. S. soll den kurdischen
Politiker Yüksel Koc aus Bremen ausgespäht, dabei aber auch Informationen
über Bremer Polizeibeamte an die Türkei weitergegeben haben.
Schon seit Jahren sei S. in Nachbarländern der Türkei für den MIT im
Einsatz gewesen, sagte ein Vertreter der Bundesanwaltschaft am Donnerstag.
30.000 Euro habe S. für den Auftrag in Deutschland bekommen, mindestens
zweimal in der Türkei Bericht erstattet. Im Dezember 2016 wurde S. in
Hamburg festgenommen – ein angesichts des extrem angespannten Verhältnisses
zur Türkei politisch brisanter Vorgang. Aufgeflogen war S., weil seine
Freundin ihn verraten hatte.
## Immer wieder woanders
Sein Ausspähungsobjekt, Yüksel Koc, war lange Chef des PKK-nahen Verbands
NAV-DEM, heute ist er Vorsitzender des europäischen Kurden-Dachverbands
KCDK-E. Seit der Festnahme von S. wechselt Koc ständig seinen
Aufenthaltsort. Der KCDK-E ist sicher, dass S.' Spionage der Vorbereitung
eines Attentats auf Koc diente.
Am Donnerstagmorgen, vor Prozessbeginn, stehen deshalb DemonstrantInnen vor
dem Justizgebäude am Hamburger Sievekingplatz. „Kein Fußbreit Erdoğans
Geheimdienst“ steht auf ihrem Transparent. 6.000 ZuträgerInnen wie S. soll
der MIT in Deutschland haben. Das ist die politische Dimension der
Verhandlung: Darf die Bundesregierung sie noch dulden, angesichts der
Entwicklung in der Türkei?
Entsprechend groß ist das Medieninteresse. Gerichtssprecher Kai Wantzen
lässt die Verhandlung kurzfristig in einen größeren Saal verlegen. Die
zentrale Frage die das Gericht klären will, lautet: Wer hat S. nach
Deutschland geschickt? Die Richterin weist S. darauf hin, dass sich ein
Geständnis am Anfang besonders strafmildernd auswirkt. Was sie dann zu
hören bekommt, ist das Gegenteil.
## „Gefährliche Dinge“
Über eine Stunde erzählt S., selbst Kurde, der mit seinem grauen Jackett
und aufgeknöpftem weißem Hemd aussieht wie ein Handyverkäufer, seine
Geschichte so: Er lebte als unzufriedener Fernsehjournalist in Izmir,
verheiratet, ein behindertes Kind. Dann kündigt er seinen Job, heuert neu
bei einem kurdischen Sender im südosttürkischen Batman an. Er lernt dort
eine junge Frau kennen, Cihan E. Die beiden verlieben sich, machen
Reportagereisen.
Doch sie ist eifersüchtig, besitzergreifend, drängt ihn, seine Familie
endgültig zu verlassen. Um ihre Beziehung ausleben zu können, ziehen die
beiden schließlich 2015 nach Deutschland, wo sie versuchen, sich ein neues
Leben als StudentInnen aufzubauen. So landen sie in der Kurdenszene in
Bremen. Spionage? Niemals!
Die Richterin erinnert ihn an frühere Aussagen. Da war von Geheimdienstlern
namens „Ahmet“ und „Kemal“, von „Tufan“ und „Seyyit“ die Rede g…
S. nach Deutschland geschickt hätten. „Alles gelogen“, sagt S. jetzt.
„Dafür will ich mich noch bei allen entschuldigen.“
Kurz darauf ist es dann noch anders: „Tufan“ und „Seyyit“ beschreibt S.
jetzt als Polizisten aus der Abteilung für Terrorbekämpfung im
Polizeipräsidium Ankara. Zufällig habe er die kennen gelernt, als er schon
in Deutschland lebte. Sie hätten ihn gebeten, „gefährliche Dinge“, die ihm
aus seinem Heimatort Kiziltepe nahe der syrischen Grenze in Sachen IS zu
Ohren kommen, weiterzuleiten.
## „Einfach ausgedacht“
Beim Tee in Ankara sei dann ganz zufällig das Gespräch auch auf Koc
gekommen. An dem hätten „Tufan“ und „Seyyit“ aber „gar kein Interess…
gehabt. Später sei S. dann von sich aus auf die Idee gekommen, den beiden
„manipulierte, komplett ausgedachte“ Informationen über Koc zu schicken,
damit sie ihm „helfen“.
Koc nennt er einen „guten Freund“, den er aber nur ein einziges Mal von
sich aus kontaktiert haben will – als er einen Bürgen für seine neue
Wohnung in Bremen brauchte. Der Vermieter, den S. auch zufällig kennen
gelernt haben will, ist Selim U. Der ist nicht bloß vermögender
Bauunternehmer und Immobilienbesitzer aus Niedersachsen, sondern war lange
der Vorsitzende des Weltverbands kurdischer Unternehmer Karsaz – den der
Verfassungsschutz für einen der Hauptfinanziers der PKK hält. Somit wäre U.
mit Sicherheit ein höchst interessantes Spionageobjekt für den MIT. Kaum
glaubhaft, dass S. und seine Freundin E. sich ausgerechnet rein zufällig
bei ihm eingemietet haben.
Die Richterin versucht herauszufinden, wie S. dazu kam, seine Dossiers mit
falschen Informationen und Bildern über einen Bremer Polizisten, der eine
Kurdendemo im Mai 2016 begleitete, anzureichern. „Das habe ich mir einfach
ausgedacht“, sagt S. lapidar.
Zwischendurch behauptet S. noch, „sieben Jahre bei der Gülen-Bewegung“
gewesen sein – und mal versucht zu haben, Infos darüber an den Mann zu
bringen. Er zündet eine Nebelkerze nach der anderen, am Ende hat er sein
Ziel erreicht: Kaum jemand blickt noch durch. Die meisten JournalistInnen
gehen. „Unerträglich“, meint einer. Auch viele kurdische BeobachterInnen
verlassen den Saal.
## Öffentlicher Druck groß
S.‘ Freundin Cihan E. hatte 2016 Dokumente über die Spionage an die
Hamburger Linken-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir weitergeben. Aus diesen
Dokumenten, aus Gesprächsmitschnitten und anderen Quellen ergebe sich, dass
S. nicht bloß spionierte, sondern Teil eines Todeskommandos war, sagt
Özdemir.
Am Mittwoch hatten Koc und Özdemir in Hamburg eine Pressekonferenz gegeben.
An der Wand über ihnen hingen große Fotos von Leyla Söylemez, Sakine Cansız
und Fidan Doğan. Die drei PKKlerinnen waren 2013 in Paris ermordet worden –
mutmaßlich von türkischen Agenten, für die Kurden ein Präzedenzfall. Der
einzige damals Angeklagte Ömer Güney starb im Januar 2017, bevor der
Prozess begann, an Krebs.
„Dass es den Prozess in Hamburg überhaupt gibt, ist nicht den Behörden,
sondern nur unseren eigenen Bemühungen zu verdanken“, sagt Koc. Die
Hinweise von S.' Freundin E. gaben die Kurden direkt an die Polizei weiter.
Doch erst nachdem sie sieben Monate weitere Infos sammelten, wurde S.
festgenommen. „Nur weil der öffentliche Druck groß war“, sagt Koc.
## Koc nicht als Nebenkläger zugelassen
Den Vorwurf des geplanten Mordes ließ die Bundesanwaltschaft fallen.
„Angeklagt ist die Gefährdung des Staates, nicht der einzelnen Personen“,
sagt der Bremer Rechtsanwalt Rainer Ahues, der Koc vertritt. „Ich habe
Zweifel, was bei dem Prozess rauskommt“, sagt Koc. „Die Vergangenheit hat
uns gezeigt, dass die Türkei und die Bundesrepublik eng zusammenarbeiten.
Und am Ende wurden die Kurden dabei immer verraten und verkauft.“
Koc ist nicht als Nebenkläger zugelassen. „So wissen wir überhaupt nicht,
wie im Prozess vorgegangen wird.“ Ahues hat dagegen ebenso Widerspruch
eingelegt wie gegen die Einstellung der Ermittlungen wegen der Mordpläne.
„Beim Straftatbestand geheimdienstliche Agententätigkeit sei keine
Nebenklage vorgesehen, für die Verabredung zum Mord gebe es keinen
hinreichenden Tatverdacht, sagte ein Sprecher des OLG dazu.“
„Wir unterschätzen immer wieder, wie weit der Arm von Erdoğan reicht“,
sagt auch der Linken-Abgeordnete Jan van Aken. Der Fall des in Spanien
vorübergehend festgenommen Schriftstellers Doğan Akhanlı habe dies erneut
gezeigt. Gegner der AKP seien auch in Deutschland „konkret gefährdet“, so
van Aken. Er fordert deshalb ein Ende der Zusammenarbeit mit der Türkei im
Sicherheits- und Militärbereich. „Der Kern unserer Kritik am AKP-Regime ist
doch dessen Repression, im Innern und nach außen.“ Keine Kooperation bei
Polizei, Geheimdienst und Militär sei deshalb eine weitaus sinnvollere
Maßnahme als allgemeine Wirtschaftssanktionen oder das Ende der
EU-Beitrittsverhandlungen.
## Signal des Regimes
Deutschland habe eine „lange Geschichte der Sicherheitskooperation“ mit
der Türkei. „Wenn ich daran denke, wie der Menschenrechtler Peter Steudtner
in der Türkei festgenommen wurde, frage ich mich: Wurden die Beamten
vielleicht in Deutschland ausgebildet?“ Waffenlieferungen müssten genauso
eingestellt werden wie die Zusammenarbeit mit dem MIT, fordert van Aken.
„52 Deutsche wurden in der Türkei festgenommen und sitzen dort derzeit in
Haft. Woher kamen wohl deren Namen?“
Operationen wie die gegen Koc seien ein Signal des AKP-Regimes an die
Kurden und die Türken im Ausland: „Wer sich politisch betätigt, kann nie
mehr nach Hause.“ Deshalb brauche es nicht nur im Fall von Mehmet Fatih S.
„ein ganz anderes Aufklärungsinteresse“.
Die Sache könnte politisch noch brisanter werden. Am vergangenen Freitag
unterzeichnete Erdoğan ein neues Dekret. Es erlaubt der türkischen
Regierung, inhaftierte AusländerInnen in der Türkei gegen TürkInnen im
Ausland auszutauschen, die dort verhaftet oder verurteilt wurden – „sofern
die nationale Sicherheit und das Interesse des Landes es erfordern“. Das
Dekret nennt explizit Geheimdienst-MitarbeiterInnen und Staatsbedienstete,
die während Tätigkeiten im Auftrag des Ministerpräsidenten- oder
Präsidentenamts Straftaten begangen haben.
Bis Mitte Oktober sind sieben weitere Prozesstermine angesetzt.
13 Sep 2017
## LINKS
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## AUTOREN
Christian Jakob
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