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# taz.de -- Kolumne Helden der Bewegung: Rumpelstilzchen mit Fahne
> Fußballer Deniz Naki ist ein Quell der Unordnung, einer, der nur eine
> Richtung kennt: nach vorn. Und er geht gerne dahin, wo es nicht so schön
> ist.
Bild: Auch jenseits des Platzes ganz vorn: Deniz Naki spricht nach einem Prozes…
Die Uefa möchte zur EM 2024 keine politischen Demonstrationen in
Stadionnähe dulden. Und zwar aus Prinzip, denn Sport und Politik sollten
nicht vermengt werden. Das ist die traditionell arschbequeme Argumentation,
auf die Fußballfunktionäre schon allzu oft zurückgefallen sind. Es soll
halt alles schön sein.
1973 boykottierte die Sowjetunion wegen des Putsches von Pinochet ein
WM-Qualifikationsspiel in Santiago de Chile. Der damalige
Fifa-Generalsekretär Helmut Käser bereiste das Land, um festzustellen, ob
eine Durchführung der Partie möglich sei. Kaum zurück, erklärte er, das
Stadion sei sehr schön gelegen, mitten in gartenähnlichen Anlagen. Dass in
diesem Stadion kurz zuvor gefoltert und gemordet worden sei, dafür habe er
keinen Beweis gesehen.
Also ließ er die Partie stattfinden; im Stadion befanden sich nur vom
Regime geladene Gäste, viele davon Soldaten. Und auf dem Rasen standen die
elf chilenischen Spieler, aber kein Gegner. Der Schiedsrichter pfiff an,
Chile schob den Ball ins Tor, der Schiedsrichter pfiff ab. Chile hatte sich
qualifiziert. Es hatte alles seine Ordnung gehabt, genauso, wie es Käser
zuvor von „Leuten, die – wie soll ich sagen – die Regierung verkörpern�…
garantiert worden war.
Deniz Naki ist ein Quell der Unordnung, ein Rumpelstilzchen, einer, der nur
eine Richtung kennt: vorne. Zumindest war er das, als er für St. Pauli
spielte; es ist inzwischen sehr schwer, Deniz Naki spielen zu sehen. Er ist
bei Amed SK unter Vertrag, dem Verein aus jener Stadt, die in der Türkei
offiziell Diyarbakır heißt und die die inoffizielle Hauptstadt Kurdistans
ist.
Er wurde dieses Jahr wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt, auf Bewährung,
nachdem er auf Facebook der Opfer des türkisch-kurdischen Konfliktes
gedachte. Auf seinem Unterarm hat er sich breit „AZADI“ tätowieren lassen,
„Freiheit“ heißt das, auf Kurdisch. Wenn Amed SK auswärts spielt, wehen
überall türkische Flaggen auf den Rängen, und alle hassen ihn.
## Ein Instinktfußballer
Ungestüm und robust. Und mit Sinn für symbolische Gesten. Das war Deniz
Naki bei St. Pauli bereits. Es sind zwei Szenen, an die man zuerst denkt,
wenn sein Name fällt. Einerseits, als er 2009 nach einem Tor gegen Hansa
Rostock seinen Daumen über die Kehle zog; und andererseits, als er im
gleichen Spiel nach dem Abpfiff eine St.-Pauli-Fahne in den Rasen des
Ostseestadions rammte.
Der Verein ließ wissen, dass das Trainerteam die Spieler dazu aufgefordert
habe, professionell zu handeln und kühlen Kopf zu bewahren. Naki wurde vom
DFB für drei Spiele gesperrt, es wurde von Vereinsseite eine Geldstrafe
ausgesprochen, die selbstverständlich „empfindlich“ gewesen ist. Dann
herrschte Ruhe. Ordnung.
Oder zumindest fast: Für seinen Torjubel, das Halsabschneiden, hat sich
Deniz Naki schnell entschuldigt. So was, sagte er, mache er nie wieder. Das
mit der Fahne allerdings jederzeit. Im nächsten Heimspiel rief die Kurve
bei der Aufstellung nach jedem Vornamen „Naki“. Der DFB ermittelte,
irgendwer dort hatte „Nazi“ verstanden.
Deniz Naki hat beteuert, dass er sich das nicht vorgenommen hat, sondern in
der Situation handelte, intuitiv; ein Instinktfußballer, hier passt das
Wort mal. Nach seiner Verurteilung in der Türkei – er bekam fünf Jahre auf
Bewährung aufgebrummt – sagte er auch, er sei sich sicher, dass er noch ins
Gefängnis müsse irgendwann, weil er nicht schweigen werde, wenn er Menschen
leiden sähe. Dass er das sieht, liegt daran, dass er hinschaut; anders als
Helmut Käser damals.
22 Sep 2017
## AUTOREN
Frederic Valin
## TAGS
Deniz Naki
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FC St. Pauli
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