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# taz.de -- Die Wahrheit: Es kann weitergehen
> Der Morgen nach der Bundestagswahl war für alle Spitzenkandidaten ein
> ganz besonderer. Ein Bericht von der Morgentoilette.
Bild: Grünen-Chefin Göring-Eckardt bei der Wandlung der grellpinken Simone Pe…
Montagmorgen nach der Wahl. Christian Lindner steht vor seinem
Badezimmerspiegel und betrachtet sich wohlwollend. Dann leckt er seinen
Daumen ab und zieht die Augenbraue nach. Noch besser! Er probt einige
Gesten, die er die nächsten Tage noch brauchen wird, und seufzt kurz.
Es ist schon ein bisschen schade, dass der Wahlkampf nun vorbei ist – all
die Menschen, die ihn die letzten Wochen ansehen, anhören, sogar anfassen
durften! Lächelnd erinnert er sich an jene mittelalte Dame, die auf
irgendeinem Marktplatz seine Hand fasste, den Kopf senkte und genießerisch
schnupperte. Dafür nimmt man das alles doch gern in Kauf.
Zur gleichen Zeit steht Sahra Wagenknecht am Bügelbrett und stärkt den
Kragen ihres Bademantels. Wiesel umspielen ihre Knöchel. Die Schulter
zwickt, das liege an ihrer Körperhaltung, sagt der Physiotherapeut. Sie
hebt den Arm in die Höhe, wie er es ihr geraten hat. Klatsch, macht es an
der verglasten Verandaschiebetür, ein Vogel fällt tot auf die
Terrakottaplatten, Genickbruch.
Jedes Mal das Gleiche, denkt sie, wann, verdammt nochmal, lerne ich das
endlich. Bei jedem ihrer Kleider muss sie die Ärmel festnähen, damit im
Eifer einer Bundestagsdebatte, wenn sie die linke Faust in den Himmel
recken will, nicht ein Schwarm schwarzer Krähen durch die Glaskuppel in den
Plenarsaal bricht. Jetzt ist ihr Rücken Stahlbeton, sie seufzt, während
draußen die Katze den toten Vogel beäugt.
## Goldschnitt in der Morgensonne
Alexander Gauland steht in seiner Küche und spuckt ins Waschbecken. Das ist
so seine Art, sich die Zähne zu putzen; er hat sich dran gewöhnt. Als er
vor vielen Jahren das Haus plante, ließ er das Badezimmer weg. Noch immer
die richtige Entscheidung, wie er auch heute noch findet; es war die
einzige Möglichkeit, sein Arbeitszimmer quadratisch anzulegen. Er hat die
Wände mit Regalen auskleiden lassen, da steht nun der Brockhaus drin, die
Buchrücken zur Wand; der Goldschnitt glänzt in der Morgensonne. Gleich wird
er, Alexander Gauland, seinen Nachttopf Günther Jauch in den Koi-Teich
leeren.
Währenddessen schaut Katrin Göring-Eckart fassungslos in ihre Handflächen.
Sie weiß nicht, wie sie das macht; ihre Schwiegermutter sagt, sie müsse das
als Gabe begreifen. Alles, was sie anfasst, wird pastell. Neulich hat sie
sich einen quietschroten Regenschirm gekauft, und kaum dass sie das
Geschäft verlassen, die Spitze gen Himmel gereckt und den Knopf zum Öffnen
der Schutzfläche gedrückt hatte, war er schon rosa geworden. Alles bleicht
ihr aus, sie schüttelt resigniert den Kopf; und jetzt wird sie die
Verhandlungen mit dem Lindner und der Merkel führen müssen, während neben
ihr Cem Özdemir sitzt und fortwährend die Ärmel seiner weißen Hemden neu
aufzuschlagen versucht.
Warum kauft der sich auch nichts Kurzärmliges, das wäre doch viel
sinnstiftender. Sie ballt die Hände zu Fäusten; dieser Hirni. Das Telefon
klingelt, sie nimmt all ihre Wut zusammen, führt den Hörer ans Ohr und
schreit Unflätiges ins Gerät; aber am anderen Ende verlässt trotzdem bloß
sanftes Gesäusel die Hörermuschel.
## Muttern in der Schüssel
Angela Merkel reibt sich die Unterarme; war ja klar, dass durch den
Wahlkampf die Sehnenscheidenentzündung wieder schlimmer werden würde.
Nichtsdestotrotz ist ihre Stimmung ausgezeichnet, sie singt sogar – immer
knapp einen Halbton um die Melodie herum. Es ist aber auch zu schön: Vier
weitere Jahre muss sie keinen echten Menschen mehr begegnen. Gott, war das
anstrengend, all diese Krankenpfleger und weinenden Kinder; da ist ihr der
Seehofer schon lieber. Den braucht sie nur einmal schief ankucken, und
schon fallen ihm drei Zähne raus. Behaglich streicht sie sich durch ihren
Undercut, bevor sie sich wie jeden Morgen Milch über ihre Schüssel
Sechskant-Muttern schüttet. „Guten Appetit, Angela“, sagt sie zu sich
selbst; „Guten Appetit“, antwortet die Kaffeekanne.
## Wurstfett in der Wanne
Zur gleichen Zeit legt Martin Schulz die Borstenbürste aus der Hand und
betrachtet zufrieden seine saubere Badewanne. Seit Monaten hat er sich hier
jeden Morgen mit ausgelassenem Bratwurstfett eingerieben, endlich hat das
ein Ende. In seinem Arbeitszimmer hat er schon die Yogamatte drapiert; ihm
ist klar, dass es Monate dauern wird, bis sich in der Berghaltung seine
großen Zehen wieder berühren werden. Aber er freut sich schon auf den Tag
des Gelingens, und doppelt freut er sich, weil er von diesem großen Sieg
niemandem wird erzählen müssen.
Es ist Montagmorgen und die Sonne hebt ihr müdes Haupt. Sie blickt einmal
kurz in die Runde und nickt dann: Es kann weitergehen.
26 Sep 2017
## AUTOREN
Frederic Valin
## TAGS
Wahlkampf
Katrin Göring-Eckardt
Französische Woche
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Grüne
Deniz Naki
Union Berlin
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