# taz.de -- Bestseller-Adaption „Schloss aus Glas“: Tagelang Margarine mit … | |
> Inszenierte Hippie-Familiengeschichte: Der Film „Schloss aus Glas“ | |
> basiert auf dem autobiografischen Bestseller von Jeannette Walls. | |
Bild: Die Eltern (Naomie Watts, Woody Harrelson) von Jeannette Walls vagabundie… | |
Um ihr das Schwimmen beizubringen, warf er sie ins Wasser. Als sie hilflos | |
strampelnd nach unten sank, holte er sie wieder hoch – und warf sie noch | |
einmal hinein. Und noch ein Mal – bis sie sich allein über Wasser halten | |
konnte. Dass sie danach stinksauer auf ihn war, sich verängstigt, gekränkt, | |
im Stich gelassen fühlte, konnte er nicht verstehen. Im Gegenteil: Er war | |
stolz auf sie! Sie habe schwimmen gelernt! | |
Jeannette Walls’ Memoiren über ihre Kindheit, „Schloss aus Glas“, sind | |
voller solcher Geschichten, die das zwiespältige Verhältnis zu ihrem Vater | |
Rex spiegeln. Seine Erziehungsmethoden waren, milde formuliert, | |
eigenwillig; er benahm sich oft rücksichtslos gegenüber seinen Kindern, | |
aber seine Liebe zu ihnen stand nie in Zweifel. | |
Ähnliches gilt für Jeannettes Mutter, die in Kauf nahm, dass ihre Kinder | |
hungerten, während sie sich als Künstlerin verwirklichen wollte. In | |
klassischem Tochterreflex schildert Jeannette im Buch das Verhalten der | |
Mutter als egoistisch und weltfremd, während sie für den Vater sehr viel | |
mehr Bereitschaft aufbringt, mögliche Ursachen für sein erratisches | |
Verhalten und seinen schweren Alkoholismus anzuführen. | |
Die Verfilmung war nur eine Frage der Zeit: Als „knallharte | |
Überlebensgeschichte“ machte „Schloss aus Glas“ bei seinem Erscheinen 20… | |
Schlagzeilen; die Erinnerungen einer Tochter aus einem nie aufgeräumten | |
Haus, deren Eltern durch die USA vagabundierten, einer Art hippiesken | |
Freiheit frönten und ihre vier Kinder in liebevoller Verwahrlosung | |
aufwachsen ließen, wurden zum Bestseller. | |
Zuerst sollte Jennifer Lawrence die Ich-Autorin spielen, als sie absagte, | |
wurde Brie Larson engagiert. Auch für die übrigen Familienmitglieder fand | |
sich eine Besetzung, die dem Etikett „261 Wochen auf der Bestseller-Liste | |
der New York Times“ entspricht: Naomie Watts spielt die Mutter, Woody | |
Harrelson den Vater. Als Regisseur verpflichtete man Newcomer Destin Daniel | |
Cretton, der mit seinem Sozialarbeiterdrama „Short Term 12“ 2013 einen mit | |
Festivalpreisen überschütteten Indie-Hit landete und dabei Brie Larson zu | |
ihrer ersten vielbeachteten Rolle verhalf. | |
## Bestens geschnürtes Paket | |
Packender Stoff, namhafte Besetzung, aufstrebendes Talent im Regiestuhl – | |
auf dem Papier klingt das nach einem bestens geschnürten Paket, | |
losgeschickt zum sicheren Kinoerfolg. Dem Film merkt man diesen | |
Paketgedanken leider in jeder Szene an. | |
Zunächst ist das gar nicht störend: „Schloss aus Glas“ setzt mit derselben | |
schockierenden Geschichte ein, mit der auch Walls’ Buch beginnt. Die | |
sechsjährige Jeannette setzt sich beim Würstchenkochen in Brand und landet | |
mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus. Dort erkundigen sich besorgte | |
Schwestern und Ärzte nach ihren häuslichen Umständen, während ihre wilde | |
Familie lautstarke Besuche abstattet. | |
Eines Tages veranstaltet ihr kleiner Bruder Brian Radau auf den | |
Krankenhausfluren, damit Vater Rex sie unbemerkt hinaustragen kann, wo mit | |
laufendem Motor das Familienauto wartet. Ob ihr Vater die | |
Krankenhausrechnung prellen wollte, ob er sich paranoid verfolgt fühlte | |
oder ob das Ganze nur eine Spaßinszenierung war, bleibt im Buch wie im Film | |
völlig offen. Die sechsjährige Jeannette konnte es nicht durchblicken, die | |
45-jährige Memoiren-Schreiberin enthielt sich der Spekulation, und der Film | |
genügt sich in der mitreißend-rebellischen Energie, die solche Szenen an | |
sich haben. | |
## Schräger Charme | |
Damit ist die verpasste Chance dieser Verfilmung auf den Punkt gebracht. | |
Wie um den schrägen Charme des thematisch ähnlichen, aber auf fiktivem | |
Stoff beruhenden „Captain Fantastic“ nachzuahmen, reiht „Schloss aus Glas… | |
die einzelnen Anekdoten über tagelanges Margarine-mit-Zucker-Essen aus | |
Walls’ Buch illustrierend aneinander. | |
In abgedroschener Weise springt er zwischen einem „Jetzt“, in dem Larson | |
mit tieftraurigen Augen agiert und über ihr Verhältnis zu Herkunft und | |
Eltern nachdenkt, und einem chronologischen „Damals“ hin und her. Der Film | |
wiederholt nicht nur Jeannettes ungleiche Behandlung der Eltern, ihren | |
kaltkritischen Blick auf ihre Mutter und den verständnisvollen auf den | |
Vater, er bestärkt ihn noch, indem er Harrelson viel Raum zum | |
ansprechend-erratischen Schauspielern einräumt, während Watts kaum Szenen | |
mit Handlung bekommt. | |
Das Buch verdankt seinen Erfolg der implizit aufgeworfenen Frage nach den | |
Werten einer „richtigen“ Erziehung; der Film traut sich keinen Schritt | |
weiter als das schlussendliche „Unser Vater war sehr originell“. | |
21 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
## TAGS | |
Romanverfilmung | |
Film | |
Stephen King | |
Kitsch | |
Romanverfilmung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Verfilmung von „The Circle“: Zeigefinger auf's Netz | |
Dystopie im Technologiekonzern: James Ponsoldts Verfilmung des Bestsellers | |
„The Circle“ funktioniert besser als Dave Eggers' Buchvorlage. | |
Spielfilm „Der dunkle Turm“: Von Revolverhelden träumen | |
Nikolaj Arcel macht aus Stephen Kings 4.500-Seiten-Buch „Der dunkle Turm“ | |
einen Fantasy-Science-Fiction-Horror-Western. Länge: 95 Minuten. | |
Spielfilm „Die Geschichte der Liebe“: Die Welt auf den Schultern tragen | |
Radu Mihăileanus Romanverfilmung „Die Geschichte der Liebe“ ist schöner, | |
etwas braver Kitsch. Im Zentrum der Story steht ein verschollenes Buch. | |
Film „In Zeiten des abnehmenden Lichts“: „Haben wir alles verdorben?“ | |
Matti Geschonneck über seine Verfilmung von Eugen Ruges Roman zum Ende der | |
DDR. Und über seine Vertrautheit mit dessen Figuren. |