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# taz.de -- Ex-Piratin will in den Bundestag: „Da stricke ich nebenbei“
> Anke Domscheit-Berg kandidiert für die Linke. Wie sie sich ihre Rolle als
> Abgeordnete vorstellt und warum Digitalisierung viel mit sozialer
> Gerechtigkeit zu tun hat.
Bild: Der Zuspruch zur AfD in ihrem Bundesland Brandenburg bewog Domscheit-Berg…
taz: Frau Domscheit-Berg, Sie waren zahlendes Mitglied der Grünen und
aktives bei den Piraten. Jetzt kandidieren Sie für die Linkspartei. Welche
Partei kommt als Nächstes?
Anke Domscheit-Berg: Keine. Ich hatte mir eigentlich schon nach den Piraten
geschworen, nie wieder bei einer Partei mitzuarbeiten.
Womit hat die Linkspartei Sie denn überzeugt? Mit dem guten Listenplatz –
Platz 3 der Brandenburger Landesliste?
Nein. Es stand ja vor eineinhalb Jahren noch gar nicht fest, ob ich
überhaupt auf diesen Platz gewählt werde. Dass dann fast 70 Prozent der
Brandenburger Mitglieder für mich gestimmt haben, hat mich natürlich
gefreut. Für mich gab die AfD den Ausschlag. Die war und ist in Brandenburg
in Umfragen zweistellig. Und als man mich Anfang 2016 fragte, ob ich für
die Linke kandidieren wolle, habe ich gedacht, das ist jetzt nicht die
Zeit, sich rauszuhalten. Jetzt muss man Gesicht zeigen und klarmachen,
wofür man ist und wogegen.
Im Bundestag wollen Sie dafür sorgen, dass mehr digitale Kompetenz
vertreten ist. Mit diesem Thema assoziiert man eher die FDP. Wären Sie dort
als Expiratin nicht besser aufgehoben?
Der politische Rahmen der FDP, das Neoliberale, hat nichts mit meinen
Vorstellungen zu tun. Gerade im Bereich der Digitalisierung muss man sich
angucken, wie man die Weichen so stellt, dass am Ende die positive Seite
von Zukunft herauskommt. Wir müssen sicherstellen, dass, auch wenn es immer
weniger bezahlte Erwerbstätigkeit gibt, wir dennoch in einer Gesellschaft
leben, die die Würde des Menschen respektiert.
Es gibt auch andere Expiraten, die jetzt Wahlkampf für die Linkspartei
machen oder Mitglied geworden sind. Wie werden Sie innerhalb der
Linkspartei angesehen – als die Nerds von nebenan?
Man guckt auf uns mit zweierlei Brillen. Man freut sich über die jungen
Leute, die kommen, und gleichzeitig sieht man sie als diejenigen, die
Kompetenzen zu digitalen Themen mitbringen. Und man weiß, davon hat man in
der Linken zu wenig.
Digitales gehört nicht gerade zu den Brot- und Butter-Themen der
Linkspartei.
Noch nicht. Aber immer mehr Linke verstehen, dass das sehr viel mit ihren
klassischen Inhalten zu tun hat. Also gerade wenn man über die Zukunft der
Arbeit und soziale Sicherung nachdenkt. Wir werden irgendwann auch hier
dunkle Fabriken haben. In China gibt's die schon. Dort brennt kein Licht
mehr, weil dort nur Roboter arbeiten. Die bekommen keine Löhne und zahlen
keine Steuern und Abgaben. Menschen werden aber immer noch alt und krank.
Wir können also nicht so weitermachen wie bisher.
Eng verknüpft mit dem Thema Digitalisierung ist für Sie die Forderung nach
einem bedingungslosen Grundeinkommen, also einem existenzsichernden
Basiseinkommen für alle und ohne Gegenleistung. Dazu gibt es in der
Linkspartei aber keinen Konsens.
Es gibt bisher keinen Beschluss dazu. Aber es gibt im Wahlprogramm die
Forderung, eine Enquetekommission zum bedingungslosen Grundeinkommen im
Bundestag einzurichten. Außerdem soll vor der nächsten Bundestagswahl ein
Mitgliederentscheid zu dem Thema stattfinden.
Glauben Sie, dass die Mitglieder der Linkspartei dafür stimmen?
Ich denke, die Mehrheit der Mitglieder wird dafür stimmen. Weil es eben so
ist, dass wir nicht nur Arbeitszeit, sondern auch Wertschöpfung anders
verteilen müssen. Und weil soziale Sicherungssysteme, die nur auf
Erwerbsarbeit basieren, irgendwann nicht mehr funktionieren. Das
bedingungslose Grundeinkommen ist ein Vorschlag. Ich weiß nicht, ob es der
beste ist, aber ich kenne keinen anderen.
Überzeugen Sie damit auch Gewerkschaftler in der Linkspartei wie Klaus
Ernst? Die fordern die 30-Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich.
Mit Klaus Ernst würde ich mich gern mal an einen Tisch setzen und zwei
Stunden lang über mögliche Konzepte für die Zukunft sprechen. Ich glaube,
das wäre einen spannende Debatte, und wir würden uns in vielen Punkten gut
verstehen.
Unter den Mitgliedern und Wählern der Linkspartei nehmen viele die
Digitalisierung doch vor allem als Bedrohung war, oder? Und weniger als
Chance.
Das mag so sein. Und es gibt ja auch bedrohliche Aspekte: Arbeitslosigkeit,
neue Armut, Massenüberwachung, Abschaffung der Privatsphäre. Aber es gibt
ja auch total großartige Szenarien: die Möglichkeit, dass man das Wissen
der Menschheit überall zur Verfügung stellen kann. So kann man exzeptionell
schnell Probleme lösen. Man kann mit 3-D-Druckern bald schnell und günstig
Häuser drucken. Wir könnten das Wohnungsproblem lösen, auch nach
Naturkatastrophen.
Wie kommt das bei den Wählern an? Die sagen sich doch: Die soll mal in die
Zukunft träumen, aber ich mache mir konkrete Sorgen um meinen Job, der
womöglich bald wegrationalisiert ist.
Die meisten reagieren sehr positiv. Letze Woche habe ich beispielsweise in
Bad Belzig Straßenwahlkampf gemacht. Da kam ein älterer Herr zu mir, graue
Haare, grauer Bart, der meinte: Eigentlich assoziiert er sich ja schon mit
Themen der Linken. Aber wir reden immer nur von den gleichen Sachen, und er
findet, dass alle Parteien die Zukunft vergessen und überhaupt nicht über
die Folgen der Digitalisierung reden. Für mich war das natürlich die
goldene Brücke.
Und der wählt Sie jetzt?
Ich glaube schon.
Sie haben sehr gute Aussichten, in den nächsten Bundestag einzuziehen.
Freuen Sie sich auf die nächsten vier Jahre?
Ja und nein. Es wird harte Arbeit und ich kann mir vorstellen, dass es öde
wird, stundenlang im Plenum Gegenreden anzuhören. Da stricke ich nebenbei.
Stricken?
Ich stricke gern Socken und bin ein großer Fan des Guerilla-Strickens, ich
stricke Bäume, Zäune, Panzer ein, alles.
Werden Sie auch die Sitze der AfD-Fraktion im Bundestag bestricken?
Das ist, glaube ich, verboten.
20 Sep 2017
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Die Linke
Piraten
Digitalisierung
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Piraten
Anke Domscheit-Berg
Anke Domscheit-Berg
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