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# taz.de -- Staatliche Medien: Erdoğans Weltbild auf Spanisch
> Die regierungsnahe türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtet nun
> auch in Lateinamerika. Ein kolumbianischer Journalist leitet das Büro.
Bild: Das ist die Türkei. Hier ist alles normal
Der Mann, der 19 spanischsprachige Länder mit der unverfälschten
Wirklichkeit in der Türkei vertraut machen soll, ist Kolumbianer und
spricht kein Wort Türkisch. „Dafür sehe ich aus wie ein Türke“, sagt Dan…
Salgar und lächelt. „Das haben sie mir zumindest in der Türkei gesagt.“
Salgar – Lederjacke und Vollbart, dunkles Haar, milder Blick – sitzt in
einem Café im schicken Norden der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Es ist
einer der letzten Julitage.
Gerade ist der Journalist von seiner ersten Türkeireise zurückgekehrt, vom
ersten Treffen bei seinem neuen Arbeitgeber: der türkischen
Nachrichtenagentur Anadolu, das frühere MitarbeiterInnen als Sprachrohr des
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bezeichnen. Salgar soll ein
neues Büro in Bogotá aufbauen und leiten, mit Nachrichten auf Spanisch für
Lateinamerika und über die Türkei.
In der Anadolu-Zentrale in Ankara hörte Salgar die „türkische“ Perspektive
auf die Welt. Von der Unaufrichtigkeit, mit der die EU einen türkischen
Beitritt verschleppt habe; von der Vermittlerrolle, die die Türkei im Nahen
Osten einnehme; von der Notwendigkeit des Ausnahmezustands im eigenen Land.
Ansichten der türkischen Regierung, die Salgar und sein Team von Kolumbien
aus verbreiten sollen.
„Das Bild über die Türkei ist in westlichen Medien von vielen Vorurteilen
geprägt“, sagt Salgar, der bis vor Kurzem als Redakteur bei der
renommierten Zeitung El Espectador und als Nahost-Korrespondent gearbeitet
hat. „Viele Dinge sind komplexer, als mit dem Finger auf Erdoğan zu zeigen
und Diktatur zu schreien.“ Auch wenn er die türkische Regierung nicht
pauschal in Schutz nehmen wolle – es sei gut, wenn die Welt erfährt, was
Erdoğan zu sagen hat. „Wir liefern unverfälschte Stellungnahmen.“
Und damit ist Salgar nicht allein. In den letzten Jahren hat Ankara viel
Geld ausgegeben, um sich in der Welt Gehör zu verschaffen. 2015 ging der
Staatssender TRT mit dem englischsprachigen „World“-Programm auf Sendung –
mit Standorten in Washington, London, Mumbai und Singapur. Und die quasi
staatliche Nachrichtenagentur Anadolu hat ihr Angebot auf mittlerweile 13
Sprachen und 97 Länder ausgeweitet.
## Neue Verbündete gesucht
Das alles hängt eng mit dem neuen Selbstverständnis der türkischen
Regierung zusammen. Als die AKP 2002 an die Macht kam, formulierte sie als
neue Außenpolitik den Panosmanismus. Weniger EU, dafür bessere Beziehungen
mit den Nachbarländern im Nahen Osten, dem Kaukasus und auf dem Balkan. Die
Türkei vermittelte in der Zypernfrage, zwischen Israel und Libanon, im
Atomstreit mit dem Iran – und sie liefert Nachrichten, unter anderem auf
Arabisch, Kurdisch, Farsi, Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und Russisch. Doch
spätestens seit dem Putschversuch in der Türkei steht das Regime in vielen
Überzeugungen isoliert da. Es sucht neue Verbündete in der Welt.
Aber warum ausgerechnet in Lateinamerika, wo so gut wie keine Türken und
kaum Muslime leben?
Vorgeblich geht es Anadolu um die unverfälschte Berichterstattung über die
Türkei und den Nahen Osten. Und darum, wie die Agentur im Juli sagte, dem
„negativen Türkeibild“ in Lateinamerika entgegenzutreten, das die angeblich
dorthin geflüchteten Anhänger Fethullah Gülens verbreiteten. Seit
vergangener Woche stellen Büroleiter Salgar und seine 13 KollegInnen
täglich rund 50 Nachrichten online: aus Kolumbien, Lateinamerika, der Welt
– und der Türkei. Das habe auch geostrategische Gründe, verrät Salgar. Die
Türkei würde gerne ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien abschließen.
## „Erdoğans Pressestelle“
„Dass die Türkei jetzt auch in Lateinamerika mitmischt, wundert mich
nicht“, sagt Carlos Alberto Patiño Villa der taz. Der
Politikwissenschaftler untersucht am Institut für politische Studien und
internationale Beziehungen der Universidad Nacional de Colombia seit Jahren
den Einfluss „außerkontinentaler“ Mächte in Lateinamerika. „Russland ist
besonders in Kuba, Nicaragua und Venezuela aktiv, China in Mexiko, und der
Iran vor allem in Venezuela.“ Dabei gehe es hauptsächlich um zwei
Interessen: gute wirtschaftliche oder militärische Beziehungen und die
eigene Regierung in der Welt zu legitimieren. Und dazu dienen auch
Auslandssender und Nachrichtenagenturen.
So überraschte der Iran Ende 2011 – mitten im Atomkonflikt mit dem Westen –
mit der Nachricht, in Lateinamerika ein spanischsprachiges Vollprogramm
namens Hispan TV gestartet zu haben. Dort, wo mit Venezuela, Nicaragua und
Kuba drei ihrer verbliebenen Verbündeten sind. Russlands vom Kreml
gesteuerter Sender Russia Today (RT) sowie Chinas Auslandssender CCTV sowie
die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua mischen schon länger auf Spanisch
mit. Allerdings, glaubt Politikwissenschaftler Patiño Villa, zahle sich der
Einsatz nicht aus. Zumindest nicht für die Türkei.
„In Kolumbien leben maximal 15.000 Türken. Es gibt kaum kulturelle
Überschneidungen und immer noch kaum Handel mit der Türkei.“ Zwar haben
unter dem aktuellen Präsidenten Kolumbiens, Juan Manuel Santos, beide
Länder ein Investitionsschutzabkommen geschlossen, woraufhin der Handel
zwischen 2010 und 2013 von 271 auf 792 Millionen US-Dollar stieg, doch der
spanischsprachige Dienst von Anadolu ist für Patiño Villa vergebliche
Liebesmühe. Die kolumbianischen Medien vertrauten lieber den renommierten
Agenturen Reuters, AFP oder EFE. Noch weniger versteht er, was einen
renommierten Journalisten wie Salgar antreibt, für „Erdoğans Pressestelle“
zu arbeiten.
## Hier spricht Ankara
Bedenken, die auch Salgars ExkollegInnen vom Espectador teilen. „Ich
glaube, Daniel schadet seiner Karriere“, glaubt Angelica Lagos, die mit
Salgar in der Auslandsredaktion zusammengearbeitet hat. „Als wir von ihm
erfuhren, dass er jetzt für Anadolu arbeitet, haben wir ihn gefragt: Aber
was ist mit den journalistischen Standards? Was mit der Pressefreiheit in
der Türkei?“ Die Vorwürfe habe Salgar zurückgewiesen.
Blick auf die Website am Tag vier nach dem offiziellen Start. In den
Schlagzeilen: Lehrerstreik in Peru, Repression in Venezuela, Nordkoreas
Raketentests. Zwischen den journalistischen Beiträgen von Salgars
KollegInnen stehen solche, die schon vom Titel ahnen lassen, dass hier
Ankara spricht: „Türkische Armee tötet im August 176 PKK-Terroristen“ oder
„Gülen drängt seine Anhänger zur antitürkischen Kampagne“. In beiden F�…
werden türkische Staatsorgane zur PKK und zu Gülen zitiert. Die Gegenseite
kommt nicht zu Wort. Mögliche Zweifel an der Regierungsperspektive sind
nicht angedeutet.
Ist sich Daniel Salgar bewusst, dass er sich für Staatspropaganda hergibt?
Anruf in Bogotá. Salgar scheint über die Frage nicht verwundert zu sein.
„Die Nachrichten aus der Türkei und anderen Ländern übernehmen wir von den
anderen Anadolu-Büros.“ Das seien zu viele, um sie alle erneut inhaltlich
zu prüfen. Einseitige Nachrichten seien ihm aber bislang nicht aufgefallen.
Mitarbeit: Ali Ç elikkan
12 Sep 2017
## AUTOREN
Ralf Pauli
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