# taz.de -- Ziviler Ungehorsam bei Ende Gelände: Kein Abdruck von diesem Finger | |
> Die Strafverfolgung der Braunkohle-Blockierer vom Wochenende wird | |
> schwierig. Die AktivistInnen hielten massenhaft ihre Identität geheim. | |
Bild: Fingerkuppe übergeklebt: So werden die Abdrücke unbrauchbar | |
Erkelenz/Berlin taz | Es war eine merkwürdige Szene, die sich am | |
Samstagmittag im Klimacamp im Rheinland abspielte: Viele Aktivisten | |
ruderten minutenlang mit gespreizten Fingern ihre Hände durch die Luft. Was | |
aussah wie eine neue Meditationstechnik, war in Wirklichkeit eine Maßnahme | |
zur Verschleierung der eignen Identität: Viele derjenigen, die sich | |
anschließend auf den Weg zur Schienenblockade machten, hatten sich die | |
Fingerkuppen mit Sekundenkleber bestrichen – um zu verhindern, dass die | |
Polizei später Fingerabdrücke von ihnen nehmen kann. | |
Diese Strategie war offenbar erfolgreich: „Die allermeisten der | |
festgenommenen Personen sind anonym geblieben“, sagt eine Sprecherin des | |
Legal Teams, das die AktivistInnen rechtlich unterstützte, der taz. Sie | |
hatten keine Ausweisdokumente dabei und konnten wegen des Klebstoffs auch | |
nicht auf andere Weise identifiziert werden – etwa durch einen Abgleich | |
ihrer Fingerabdrücke mit solchen aus früheren Verfahren. | |
Die Aachener Polizei bestätigt das: Ihren Angaben zufolge wurden während | |
der Klimaproteste zwar 1.050 Personen festgenommen. Die Zahl der dabei | |
festgestellten Identitäten lag aber nur „im unteren bis mittleren | |
dreistelligen Bereich“, sagt Sprecherin Petra Wienen. Allerdings liefen die | |
Ermittlungen noch. Der für den Einsatz verantwortliche Aachener | |
Polizeipräsident Dirk Weinspach räumt ein, dass fehlende Ausweise und | |
überklebte Finger ein Problem sind. Für unlösbar hält er es aber nicht. „… | |
gibt auch andere Möglichkeiten, die Identität von Personen festzustellen“, | |
sagt er zur taz. Details nennt er nicht: „Ich bitte um Verständnis, dass | |
wir unsere ermittlungstaktischen Möglichkeiten und Methoden nicht in der | |
Öffentlichkeit preisgeben.“ | |
Von den meisten anonymen AktivistInnen hat die Polizei zumindest ein Foto | |
angefertigt, mit dessen Hilfe die Identität im Nachhinein festgestellt | |
werden soll. Diesem Zweck dienten offenbar auch Personenkontrollen, die am | |
Sonntag bei der Abreise der AktivistInnen aus dem Camp stattfanden. | |
Massenhafter Kleber-Einsatz für Proteste ist neu. In der Vergangenheit | |
wurde bei politischen Aktionen in Deutschland stets davon abgeraten, die | |
eigene Identität geheim zu halten. Denn in diesem Fall kann ein Gericht | |
Untersuchungshaft anordnen, bis die verdächtigte Person identifiziert ist – | |
auch wenn das beim Verdacht auf kleinere Vorwürfe wie Hausfriedensbruch | |
oder Störung öffentlicher Betriebe vermutlich als unverhältnismäßig | |
bewertet würde. Zudem gehörte es für viele AktivistInnen zum Konzept des | |
zivilen Ungehorsams, für die bewussten, angekündigten Gesetzesübertretungen | |
auch einzustehen – und die Konsequenzen dafür zu tragen. | |
Vor allem durch ausländische AktivistInnen, die schon bei früheren | |
Klima-Aktionen erfolgreich auf Anonymität gesetzt haben, hat sich das | |
geändert. „Wir haben die Identitätsverweigerung in diesem Jahr als | |
massenhafte Taktik empfohlen“, sagt Insa Vries, Sprecherin des Bündnisses | |
Ende Gelände. Das Bündnis hatte am Wochenende zur Blockade von Schienen | |
aufgerufen, auf denen Braunkohle vom Tagebau Garzweiler in die umliegenden | |
Kraftwerke transportiert wird. | |
Als Verstoß gegen die Prinzipien des zivilen Ungehorsams sieht sie das | |
nicht. „Unser Anliegen ist so legitim, dass wir dafür nicht kriminalisiert | |
werden dürfen“, sagt Vries. Außerdem könnten sich viele Menschen die Kosten | |
der andernfalls drohenden Verfahren nicht leisten, meint sie. „Ziviler | |
Ungehorsam darf aber kein Privileg von Reichen sein.“ | |
30 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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