# taz.de -- Krankenschein für Papierlose: Legal krank | |
> Nach Niedersachsen will auch Berlin den anonymen Krankenschein einführen | |
> und damit die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere | |
> erleichtern. | |
Bild: Gesundheitsversorgung: nicht für jeden selbstverständlich | |
Die Liste der Punkte, über die der Gesundheitsausschuss in seiner Sitzung | |
an diesem Montag berät, ist lang, schließlich soll der Plan für den | |
kommenden Doppelhaushalt aufgestellt werden. Doch darunter versteckt sich | |
eine kleine Revolution: Als zweites Bundesland will Berlin den anonymen | |
Krankenschein einführen und damit die Gesundheitsversorgung für Menschen | |
ohne Papiere erheblich erleichtern. | |
Bislang bleibt Menschen ohne Aufenthaltsstatus das Recht auf Gesundheit | |
häufig verwehrt: Sie haben zwar Anspruch auf grundlegende medizinische | |
Leistungen. Doch um diese wahrnehmen zu können, brauchen sie einen | |
Krankenschein, den die Sozialämter ausstellen – und die sind gesetzlich | |
verpflichtet, die Daten an die Ausländerbehörde weiterzuleiten. Aus Angst | |
davor, aufzufliegen und abgeschoben zu werden, nehmen viele Betroffene | |
diese Möglichkeit nicht wahr. | |
## Ehrenamtliche Behandlung | |
„Seit Jahren weisen wir daraufhin, dass diese Situation zu schweren | |
gesundheitlichen Gefährdungen für Menschen ohne Papiere führt“, sagt Maria | |
Hummel von der Nichtregierungsorganisation Medibüro Berlin. Bundesweit | |
versuchen die Medibüros ehrenamtlich, dieses Problem anzugehen, in dem sie | |
Menschen ohne Aufenthaltsstatuts anonym an ÄrztInnen weitervermitteln, die | |
zu einer ebenfalls ehrenamtlichen Behandlung bereit sind. | |
Den anonymen Krankenschein fordern Initiativen wie das Medibüro oder der | |
Flüchtlingsrat schon lange. Unter der rot-roten Landesregierung gab es dazu | |
bereits erste Verhandlungen, die aber unter anderem an der SPD-geführten | |
Senatsverwaltung für Inneres scheiterten. Die rot-schwarze Koalition hatte | |
dann explizit festgelegt, mit ihr werde es die anonyme | |
Behandlungsmöglichkeit nicht geben. | |
## Erstmals politischer Wille | |
In Niedersachsen läuft seit Januar 2016 ein dreijähriges Modellprojekt zum | |
anonymen Krankenschein. Diesem Beispiel will nun auch die rot-rot-grüne | |
Regierung folgen, die den anonymen Krankenschein im Koalitionsvertrag | |
verankerte. Seit mehrere Monaten gibt es dazu Beratungsrunden der | |
Senatsverwaltung für Gesundheit, an denen auch das Berliner Medibüro | |
beteiligt ist. „Wir merken seit Jahren zum ersten Mal einen echten | |
politischen Willen für dieses Projekt“, sagt Hummel. | |
Gleichwohl übt die Initiative auch Kritik an der Umsetzung der Idee: | |
Finanziert werden sollen die Behandlungen über einen Fonds, den das | |
momentan vorliegende Konzept auf 700.000 Euro jährlich beziffert. Auch die | |
Personalkosten für die Ausgabe und Verwaltung sollen davon bezahlt werden. | |
„Wir finden es falsch, dass für die Gesundheitsversorgung dieser | |
Bevölkerungsgruppe eine Kostengrenze eingezogen wird“, sagt Hummel. Gerade | |
im Bereich der Gesundheitsversorgung gehen die Kosten extrem weit | |
auseinander – eine Summe, die in einem Jahr für die Behandlung vieler | |
PatientInnen ausreicht, kann in einem anderen Jahr schon nach wenigen | |
kostspieligeren Maßnahmen aufgebraucht sein. | |
„Eigentlich streben wir an, dass bei der gesundheitlichen und sozialen | |
Versorgung kein Unterschied mehr entlang des Aufenthaltsstatus gemacht | |
wird“, sagt Hummel. Der anonyme Krankenschein ist dafür nur ein Anfang, | |
denn auch damit haben die Betroffenen nur zu einem sehr eingeschränkten | |
Leistungskatalog Zugang. | |
Dennoch ist der Krankenschein, über den der Gesundheitsausschuss aller | |
Wahrscheinlichkeit nur noch im Detail verhandeln wird, ein Erfolg für die | |
Initiativen, die sich für medizinische Versorgung für Flüchtlinge | |
einsetzen. Dazu gehört auch das Ende 2015 gegründete Netzwerk Solidarity | |
City Berlin, in dem sich Selbstorganisationen von Menschen ohne Papiere und | |
Flüchtlingen sowie andere Gruppen zusammengetan haben, um dafür zu kämpfen, | |
dass alle in Berlin lebenden Menschen den gleichen Zugang zu sozialen | |
Rechten erhalten. Vorbild sind dabei die Sanctuary Cities in Kanada und den | |
USA, in denen die örtlichen Verwaltungen, Schulen, Krankenhäuser und andere | |
Institutionen nicht mit den Ausländerbehörden zusammen arbeiten – und die | |
dafür momentan unter massivem Beschuss der Trump-Regierung stehen. | |
3 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Flüchtlinge | |
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