# taz.de -- Probleme journalistischer Start-Ups: Mehr Bürokratie als Freiraum | |
> Neu gegründete Medienunternehmen gelten als Hoffnungsträger des | |
> Journalismus. Warum werden sie dem häufig nicht gerecht? Sechs Gründe. | |
Bild: Rumhängen in stylischen Co-Working-Spaces reicht leider nicht, um mit ei… | |
Neu gegründete Medienunternehmen könnten im deutschen Journalismus vieles | |
besser machen. Sie könnten die Orte sein, an denen mit bestehenden | |
Traditionen und Branchenstandards gebrochen wird, wo die Produktion und | |
Finanzierung des Journalismus auf neue Art organisiert werden. Doch die | |
Realität journalistischer Start-ups in Deutschland sieht häufig anders aus. | |
Warum? | |
## Hoher Arbeitsaufwand | |
Ein Unternehmen im Journalismus zu gründen, bedeutet weitaus mehr und | |
vielseitigere Arbeit als eine Tätigkeit als Freiberufler. Wer glaubt, eine | |
Gründung eröffne neue Freiräume für das journalistische Arbeiten, verkennt | |
deutlich den mit ihr verbundenen Aufwand. Verwaltung, Marketing, Vertrieb | |
und Erlösmodellentwicklung – Aufgaben, die vormals der Verlag übernahm, | |
fallen nun den Gründern zu. „Wenn man wüsste, wie viel Arbeit das ist und | |
wie viel Auf und Ab das gibt, würde man sich nicht auf den Weg machen“, | |
resümiert ein in der Studie befragter Gründer. | |
Viele Tätigkeiten sind selbst dann unausweichlich, wenn Wachstum nicht das | |
oberste Ziel bildet. Im Gegenteil: Gerade die nicht gewinnorientierten | |
Gesellschaftsformen wie Genossenschaften oder Vereine, in denen | |
Journalismus keine vornehmlich wirtschaftliche Rolle spielt, fordern den | |
größten Bürokratie- und Verwaltungsaufwand. Der Gründer einer | |
gemeinnützigen Organisation berichtet, ihr Start habe sich „aufgrund von | |
Bürokratie“ um mehr als sechs Monate verzögert. Fast die Hälfte der | |
Arbeitszeit beanspruchten auch heute noch – mehrere Jahre nach der Gründung | |
– administrative Tätigkeiten wie Buchhaltung, Abrechnungen oder Steuern. | |
„Es ist zu zeitfressend“, sagt er. | |
## Rollenkonflikte | |
Nicht nur die Frage, welche Aufgaben wie viel Arbeitszeit binden sollten, | |
zwingt Gründer zu Kompromissen. Sobald der Chefredakteur einer Neugründung | |
– wie in einem untersuchten Fall – parallel auch Anzeigenplätze verkauft, | |
geraten die Verantwortlichen zuweilen in eine paradoxe Doppelrolle. | |
Gründer starten zwar mit guten Intentionen und reflektieren mögliche | |
Rollenkonflikte. Mit zunehmendem finanziellem Druck können sie den eigenen | |
Ansprüchen aber kaum mehr gerecht werden: etwa dann, wenn nur noch die Wahl | |
bleibt zwischen „einem großen Corporate-Publishing-Projekt oder der eigenen | |
Privatinsolvenz“, wie es ein Gründer zuspitzt. So bleibt es nicht aus, dass | |
manchmal journalistische und wirtschaftliche Tätigkeiten zugleich | |
übernommen werden. | |
## Neue Einnahmequellen | |
Journalistisches und Wirtschaftliches geraten insbesondere dort in | |
Konflikt, wo neue Einnahmequellen erschlossen werden. | |
Einige Mediengründungen kopieren einfach das alte Finanzierungsmodell der | |
Tageszeitung ins Digitale, was kaum von Erfolg gekrönt ist. Andere | |
experimentieren mit Community-Modellen, Lizenzierung und Auftragsarbeiten, | |
E-Commerce, Beratungsangeboten oder Schulungen. Interessanterweise hängen | |
manche dieser Einnahmen kaum mehr mit dem Journalismus zusammen. | |
Warum aber soll in einem Unternehmen überhaupt journalistische Arbeit | |
stattfinden, wenn doch Gewinne vor allem abseits des Journalismus erzielt | |
werden? Wer so denkt, verabschiedet sich schleichend von der kostspieligen | |
Journalismusproduktion. Die Jahrhundertaufgabe hingegen bestünde darin, | |
einen Mechanismus zu entwerfen, der den Journalismus eng mit einer | |
Einnahmequelle verkoppelt, dessen Funktionsfähigkeit und Ergiebigkeit | |
direkt von der journalistischen Arbeit abhängt – ähnlich wie Tageszeitungen | |
fundamental auf Journalismus angewiesen sind, weil dieser erst die | |
notwendige Leseraufmerksamkeit für den Verkauf von Anzeigenraum schafft. | |
## Unterfinanzierung | |
Auch wenn es an tragfähigen Geschäftsmodellen mangelt, ist eine Neugründung | |
meist problemlos möglich. „Du brauchst ja nicht viel. Du brauchst | |
eigentlich nur einen Computer, einen Internetzugang und ein | |
Wordpress-System“, bilanziert ein Gründer. Die gesunkenen Barrieren, ein | |
eigenes digitales Angebot zu starten, können aber zu falschen Anreizen | |
führen. | |
Gründer im Journalismus unterschätzen nicht selten die späteren | |
Kostentreiber im laufenden Betrieb: die schwierige Gewinnung von Nutzern | |
und zahlenden Kunden, die fortlaufende Bespielung von neuen Kanälen wie | |
Facebook, Snapchat etc. und, allem voran, die Herstellung qualitätsvoller | |
Inhalte. Hierfür bräuchte es solider Startfinanzierungen, die aber noch zu | |
selten zur Verfügung stehen. Deshalb sind Neugründungen im deutschen | |
Journalismus unterfinanziert. | |
## Homogene Gründerteams | |
Die Gründerteams im deutschen Journalismus sind derzeit zu homogen besetzt. | |
Das mag daran liegen, dass in Deutschland vornehmlich Redaktionsaussteiger | |
oder junge Journalistenschüler gründen. Dagegen empfiehlt die Forschung, | |
Teams um Persönlichkeiten mit verschiedenen Hintergründen und | |
komplementärer Expertise zu bilden. | |
Teams, die sich in ihren Fähigkeiten ergänzen, können die Herausforderungen | |
einer Gründung geschickter und flexibler angehen. Exoten und Quereinsteiger | |
bergen noch dazu das Potenzial, branchenfremde Denk- und Handlungsweisen in | |
den Journalismus zu tragen. Betriebswirte können in Mediengründungen | |
helfen, ein stärkeres Bewusstsein für die auftretenden kaufmännischen | |
Aufgaben zu wecken. | |
## Mangel an Kontakten | |
Selbst wenn in einer Gründung Köpfe mit komplementären Fähigkeiten | |
zusammenkommen, können diese nicht alle Herausforderungen im Alleingang | |
lösen. Gründer benötigen ab Tag eins Unterstützung von Mitarbeitern, die | |
sie durch die Startphase, aber auch durch spätere Entwicklungsstadien | |
tragen. Wegen Unterfinanzierung können diese jedoch kaum in Festanstellung | |
beschäftigt werden. Gerade im journalistischen Tagesgeschäft sind die | |
Gründer auf Autoren und Journalisten angewiesen, die ihnen (oft | |
unentgeltlich) zuarbeiten. Unterstützung wird aber auch in Design, | |
Technologie, Marketing, Vertrieb, Recht und Steuern benötigt. Fehlt dieses | |
Sozialkapital, lässt sich eine journalistische Unternehmen kaum etablieren | |
– so gut der ursprüngliche Ansatz auch sein mag. | |
Nicht all diese Probleme können Gründer im Alleingang lösen. Vereinzelt | |
gilt es, die Rahmenbedingungen anzupassen: mehr und clevere | |
Anschubfinanzierung für journalistische Gründungen, ein Abbau von | |
Bürokratie- und Verwaltungsaufwand. So können Neugründungen vielleicht doch | |
zu Impulsgebern für Neuerungen im deutschen Journalismus werden. | |
4 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Christopher Buschow | |
## TAGS | |
Journalismus | |
Arbeit | |
Zeitschriften | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Faulancer auf dem Vormarsch | |
Zum Nutzen der deutschen Wirtschaft werden jetzt übereifrige Mitarbeiter | |
von einem Start-up-Unternehmen dequalifiziert. | |
Neues Debattenmagazin: Links, jüdisch, divers | |
Die Zeitschrift „Jalta“ will jüdisches Leben abbilden und kritisch | |
reflektieren. Die erste Ausgabe widmet sich auch feministischen Themen. |