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# taz.de -- Nach dem Messerangriff in Sibirien: Russische Desinformationspolitik
> In Surgut verletzte ein Angreifer sieben Menschen. Vieles spricht für
> einen islamistischen Anschlag. Die Ermittler wollen von Terror nichts
> wissen.
Bild: Nach dem Angriff am Samstag im russischen Surgut
Moskau taz | Nach den Terroranschlägen in Barcelona, Cembrilo und im
finnischen Turku Ende vergangener Woche lief auch im westsibirischen Surgut
am Samstag ein Attentäter Amok. Sieben Menschen verletzte der aus der
nordkaukasischen Republik Dagestan stammende Täter mit Messerstichen zum
Teil schwer.
Das russische Ermittlungskomitee (EK) nahm sich des Vorfalls sofort an,
weigert sich jedoch, einen terroristischen Hintergrund einzuräumen.
Offiziell gehen Moskaus Ermittler vom Tatbestand des „versuchten Mordes in
mehreren Fällen“ aus. Statt Terror wird dem 19-jährigen Artur Gadschiew
unterstellt, seit längerem psychisch auffällig und instabil gewesen zu
sein. Gadschiew wurde auf der Flucht von der Polizei hinterrücks
erschossen.
Die Informationspolitik der russischen Behörden führte noch am Samstag
dazu, dass Hunderte Einwohner des westsibirischen Erdölzentrums die Stadt
Hals über Kopf verließen, berichteten Augenzeugen der Nowaja gaseta.
Russland blieb indes bei der ursprünglichen Version. Auch Erkenntnisse aus
dem Umfeld des Attentäters änderten nichts daran. Gadschiews Vater wird als
militanter Wahhabit aus Dagestan von russischen Sicherheitsbehörden
gesucht. Sohn Artur fiel in Sibirien Bekannten und Arbeitskollegen durch
besondere Religiosität auf.
## Zu wenig Indizien
Der 19-Jährige lebte seit einiger Zeit bei Mutter und Stiefvater im Kreis
Chanty-Mansijsk im sibirischen Norden. Erst im letzten Jahr war Gadschiew
aus dem Nordkaukasus übergesiedelt. Die Ermittler stießen bei der Leiche
auf Symboliken und Hinweise des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS), der
auch Verantwortung für den Überfall übernommen hatte. Die Ermittler sehen
darin jedoch keine ausreichenden Indizien.
Staatliche russische TV-Sender berichteten über den Anschlag am Samstag
unmittelbar nach dem Vorfall. Danach verschwand Surgut wieder aus den
Nachrichten.
Russlands ausführliche, mehrstündige Wochenrückblicke am Sonntagabend, die
verschiedene landesweite Kanäle ausstrahlen, fanden ebenfalls keinen Platz
für einen Bericht. Stattdessen wurde über die Terrorakte in Katalonien und
nach Europa drängende afrikanische Migranten berichtet. Auch die deutschen
Bundestagswahlen waren ein Thema sowie das Festival der Pyrotechniker in
Moskau.
Die regierungsnahe Zeitung Iswestija tat sich ebenfalls schwer mit der
Einordnung des Geschehens. Zwischen psychischer Störung und der Tat eines
Nachahmers bewegten sich die Spekulationen des Blattes. Als einen Grund
nannte die Iswestija Kürzungen im Gesundheitswesen. Demnach sind stationäre
Aufenthalte für psychisch labile Patienten im Budget kaum noch vorgesehen.
## Eigene Terrorbasis
Grundsätzlich bemüht sich Moskau um eine breitere Allianz im Kampf gegen
den Terror des IS. Empfindlich reagiert es indes auf Ereignisse, die mit
der eigenen im Land beheimateten Terrorbasis zu tun haben. Sie reicht bis
zu den beiden Tschetschenienkriegen in den 1990er und Nuller-Jahren zurück.
Moskau will unterdessen nicht eingestehen, dass der islamische Terror
Russland genauso im Blick hat wie die Länder der EU. Dieser unterstellte
Moskau bislang, durch die Flüchtlingspolitik den Terror eigenhändig ins
Land geholt zu haben. Der Kreml suggeriert hingegen: aus Sorge um die
Sicherheit für seine Bürger lasse er Flüchtlinge nichts ins Land.
Die russische Desinformationspolitik erklärt sich auch aus einer dunklen
Vorahnung. In den wohlhabenden Städten Westsibiriens wächst eine junge
Generation von Muslimen heran, die nicht integriert werden konnte. Deren
Eltern waren als Arbeitsemigranten vor 20 Jahren in die Region gekommen.
Das Vertrauen, das die zweite Generation offiziellen Vertretern des Islam
entgegenbringt, sei gering, meint Soziologe Denis Sokolow von der Akademie
für Volkswirtschaft beim Präsidenten in Moskau. Sie seien daher empfänglich
für Verheißungen der „Google-Scheichs“. Hunderte junge Muslime aus Sibiri…
seien in der Vergangenheit von dort aufgebrochen, um in Syrien für einen
Gottesstaat zu kämpfen.
21 Aug 2017
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Dagestan
Russland
„Islamischer Staat“ (IS)
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Schwerpunkt Neonazis
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