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# taz.de -- Kolumne Latino Affairs: Feste feiern und blockieren
> Karneval, Müll, Barrikaden: Die Menschen im südmexikanischen Oaxaca
> nutzen das Guelaguetza-Spektakel, um zu protestieren.
Bild: Ein Junge während der Guelaguetza-Feiern 2017
Die Sache mit dem Müll ist hier im südmexikanischen Oaxaca etwas
kompliziert. Wer nicht zwischen Kaffeeresten, Plastikverpackungen und
gammelndem Gemüse untergehen will, muss die Signale hören. Und zwar
morgens, in aller Herrgottsfrühe, zwischen sechs und sieben Uhr.
Um diese Zeit hält an der nächsten Ecke der Müllwagen. Um darauf
hinzuweisen, läuten die Müllmänner zwei, drei Mal mit einer Glocke, die
einen aus den Träumen reißen sollte. Alle Nachbarn rennen dann auf die
Straße, bepackt mit Plastiktüten oder Eimern. Man begrüßt sich mit einem
freundlichen „Buenos dias“.
Im Normalfall klappt das. Aber in den letzten Wochen war nichts normal.
Denn derzeit findet die Guelaguetza statt. Wie jedes Jahr im Juli kommen
Menschen aus den indigenen Gemeinden in die Landeshauptstadt, um zehn Tage
lang ausgiebig zu tanzen, gut zu essen und viel Schmuck, Tücher sowie
anderes Kunsthandwerk zu verkaufen.
Eine Art Karneval der Kulturen der Zapoteken, Mixteken und Triquis: Umzüge
in bunter Kleidung und mit riesigen Figuren aus Pappmaché, Konzerte mit
traditionellen Blasorchestern und Partys mit Techno-DJs, die ihren Sound
mit lokalen Trompetern, Saxofonisten und Tuba-Bläsern fusionieren, etwa mit
den Mescaleros de la Sierra. Das Spektakel zieht über 130.000 Touristinnen
und Touristen aus aller Welt in die Stadt. Damit ist die Guelaguetza eine
der wichtigsten Quellen für die lokale Ökonomie.
Das nutzen natürlich auch alle, die Druck gegen die gewalttätigen
Verhältnissen in der Region entwickeln wollen. Zum Beispiel die Bürgerinnen
und Bürger aus Zaachila, einem nahe gelegenen Dorf, hinter dem der
städtische Müllplatz liegt. Seit Langem werden sie von der
paramilitärischen, der Regierung nahestehenden Frente popular 14 de junio
terrorisiert.
Dazu muss man wissen, dass im gleichnamigen Bundesstaat Oaxaca, von einer
kurzen Ausnahme abgesehen, seit über 80 Jahren die korrupte Partei der
Institutionellen Revolution (PRI) regiert.
Um also den PRI-Gouverneur dazu zu zwingen, seine „Frente“ in Schach zu
halten, errichteten die Menschen aus Zaachila eine Barrikade – und kein
Müllwagen konnte mehr die Straße passieren. Tagelang. Vor der Guelaguetza.
800 Tonnen Abfall sammelten sich täglich an, einige davon zierten recht
bald Parkanlagen sowie Flussufer. Und unseren Hof.
Doch noch bevor die ersten Touristen die vermüllte Stadt erreichten, hatte
sich bereits die „Sección 22“ angekündigt, eine Lehrergewerkschaft, die
schon 2006 von sich hören ließ. Damals besetzte sie mit indigenen und
linksradikalen Organisationen ein halbes Jahr lang Oaxaca, bis Soldaten dem
Aufstand ein blutiges Ende bereiteten. Aber die Lehrer geben nicht auf.
Während der Guelaguetza dieses Jahr blockierten sie mit quergestellten
Bussen einige Straßen, um Touristen die Einreise zu erschweren. Zweifellos
haben sie guten Grund zu protestieren. Sie fordern etwa, den Tod von elf
Kollegen aufzuklären, die letztes Jahr während einer Blockade ermordet
wurden. Dennoch sind nicht alle „Oaxaceños“ erfreut, wenn die radikalen
Lehrkräfte Ärger machen. Viele sind genervt vom ständigen Krawall, von
Barrikaden und Protestcamps.
Doch die befürchteten Schlachten blieben aus, von ein paar wenigen Steinen
abgesehen herrschte Frieden. Und während die Touristen doch noch auf ihre
Kosten kamen, feierten etwa 20.000 Gewerkschafter auf ihrer autonomen,
„populären Guelaguetza“ ihre eigene Party, mit viel Mescal-Schnaps,
indigenen Tanzgruppen und revolutionärer Folklore. Oaxaca sei eben „feier-
und konfliktfreudig“, sagen die Leute hier. Aber auch in Zaachila hat man
zunächst das Feiern dem Konflikt vorgezogen. Die Glocke läutet jedenfalls
wieder. Wie immer in aller Herrgottsfrühe.
3 Aug 2017
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Oaxaca
Mexiko
Nicolás Maduro
Mexiko
Mexiko
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