# taz.de -- Torsten Maul über Psychoanalyse: „Malen hat mit Selbsterkenntnis… | |
> Torsten Maul ist Psychoanalytiker und malt Bilder mit Eierschalen und | |
> Menschenhaar. Ein Gespräch über die Parallelen von Kunst und | |
> Psychoanalyse | |
Bild: Psychoanalytiker und Hobbykünstler: Torsten Maul | |
taz: Herr Maul, sind Sie ein Künstler, der sein Geld als Psychoanalytiker | |
verdient, oder andersherum? | |
Torsten Maul: Es entwickelte sich so, dass ich am Anfang deutlich mehr Arzt | |
war, und mich nun zunehmend mit Kunst und anderen Dingen beschäftige. Aber | |
der Beruf ist der Beruf, und ich habe auch nicht vor, in den Kunstbetrieb | |
einzusteigen. Das befreit mich auch, denn ich muss damit kein Geld | |
verdienen. | |
Was für eine Kunst machen Sie? | |
Ich male schon immer. Ich habe mich früher mit kleinformatiger Ölmalerei | |
beschäftigt, also in Postkartengröße. Auch da ging es schon darum, die | |
dabei entstehenden Assoziationen im Malprozess mit einfließen zu lassen. | |
Das hat ja auch mit meinem Beruf zu tun, in dem ich assoziieren, | |
Nicht-Gesagtes erspüren und Worte dafür finden muss, was dann eine Emotion | |
ausdrückt, eine Frage aufwirft oder Spannung erzeugt. 2013 war ich in | |
Vietnam unterwegs, da habe ich dann die Lackmalerei kennengelernt. | |
Wie funktioniert die? | |
Es gibt einen Bildträger und eine anfängliche Idee, dann überlege ich, | |
welche Materialien ich verwenden will: Eierschalen, Blattgold oder -silber, | |
Silberstaub, Perlmuttstaub, also lauter Naturmaterialien. Es werden | |
Schichten mit verschieden gefärbtem Lack übereinander angelegt und durch | |
Nassschleifen hole ich übermalte Teile wieder hervor. Dann wird poliert, | |
und danach kommen wieder mehrere Schichten drauf und so weiter. Bis am Ende | |
ein möglichst glattes Bild entsteht. Zum Schluss kommt eine dünne | |
Lackschicht ohne Pigmente darüber. Diese wird mit nassem Holzkohlestaub | |
eingerieben und mit der Handfläche poliert. Allein das Polieren dauert oft | |
mehrere Tage, das hat also etwas sinnlich Meditatives: Man sitzt da, | |
streichelt das Bild und erst mal passiert nichts, dann beginnen die Farben | |
zu leuchten. | |
Spiegelt sich in ihrer Kunst die Psychoanalyse wider? | |
Beim Psychischen ist es ja auch so, dass viele Schichten übereinander | |
liegen. Man hat früher etwas gelernt, man weiß, was gut und schlecht ist | |
und was wie schmeckt. Insofern hat diese Schichtung, das Wiederwegnehmen | |
und dann wieder etwas Drauftun bei den Bildern schon eine Entsprechung in | |
meiner analytischen Arbeit. Zum Beispiel kommt irgendwas von früher hoch, | |
wie eine Traurigkeit, und versenkt sich wieder, und es kommt etwas anderes | |
drüber. Insofern hat das Technische der Lackmalerei schon viel mit meiner | |
Arbeit zu tun. | |
Tatsächlich das Technische und nicht das Interpretative am Bild? | |
Ich beschäftige mich beruflich viel mit Träumen, und manche Bilder haben | |
auch etwas Traumhaftes, also etwas sehr frei zu Interpretierendes. Ein | |
gutes Bild ist für mich, wenn Leute dazu unterschiedliche Interpretationen | |
haben können. | |
Sie sagten, manche Bilder haben auch etwas Traumhaftes, weil sie so frei | |
sind. Macht Ihre Kunst auch Sie persönlich frei? | |
Das ist auf jeden Fall so. Ich durchlebe dabei ganz verschiedene Zustände. | |
Mal bin ich ganz verzweifelt, weil es nicht vorangeht, weil ich keine Idee | |
habe. Und dann wird es plötzlich ganz aufregend, weil irgendwie klar wird: | |
Jetzt entwickelt sich etwas. Meist weiß ich nicht, was, das sind intuitive | |
Impulse. Ich erlebe das als kreative Freiheit. | |
Also ist es auch in gewisser Weise eine Selbsttherapie? | |
Selbsttherapie würde ich es nicht nennen, aber das Malen hat viel mit | |
Selbsterkenntnis zu tun, denn es hat auch etwas Klärendes für mich, nicht | |
nur im Bezug auf das Bild, sondern auch auf meine Befindlichkeit. Das kann | |
man ja hinterher auch sehen: Plötzlich habe ich lauter finstere oder | |
heitere Bilder gemalt. Ich erlebe das Malen auch als Ausgleich zu meiner | |
Arbeit mit anderen Menschen. Denn ich bin allein mit dem Bild, da geht es | |
dann mehr um mich, während ich mich bei meiner Arbeit meinen Patienten zur | |
Verfügung stelle. | |
Als Psychoanalytiker dürfen Sie doch Ihren Patienten gegenüber gar nichts | |
von sich preisgeben? | |
Ich zeige mich mit der Malerei sehr offen, das machen nicht viele. Aber ich | |
gebe keine Interpretationen zu meinen Bildern ab. | |
Wo sind Parallelen zwischen Kunst und Psychoanalyse? | |
Ich bin zwar kein studierter Künstler, aber für mich ist es so, dass das | |
analytische Arbeiten auch ein Kunststück ist. Man ist nicht festgelegt, hat | |
es mit Gefühlen, Fantasien und Beziehungen zu tun. Und damit gut umzugehen | |
und immer wieder eine Form daraus zu machen, mit der der Patient etwas | |
anfangen kann, das hat etwas Künstlerisches. | |
Sie verwenden viele organische Materialien, auch Menschenhaar. Was | |
fasziniert Sie an diesem Archaischen? | |
Auf der Vietnamreise habe ich die traditionellen Lacke kennengelernt. Mein | |
Lehrmeister hat mir erzählt, dass viele seiner Studenten nur noch den | |
industriellen Lack nehmen, weil das schneller geht. Aber ich interessiere | |
mich generell für das Althergeholte, das Traditionelle in der Malerei – da | |
steckt viel Wissen drin. Das ist vielleicht auch eine Verbindung zu meinem | |
Beruf: Die Analyse ist ja auch als etwas Altes, Traditionelles, Kluges. | |
Malerei ist entstanden aus der Verwendung der vorgefundenen Materialien. | |
Das nennt man vielleicht heute archaisch. Mich interessiert mehr das | |
Sinnliche am Malprozess. | |
Sie reisen viel, warum zieht es Sie in die Ferne? | |
Ich bin in der DDR aufgewachsen, da konnte man nicht viel reisen. 2012 habe | |
ich eine Auszeit genommen und einiges nachgeholt. Es hat auch meiner Arbeit | |
genützt: dass ich mich nicht einenge, sondern einen weiteren Blick bekomme. | |
Und ein Gefühl für das aufgeregte und angespannte Leben, das wir hier in | |
Deutschland führen. | |
Was haben Sie vom Reisen gelernt? | |
Auf den Reisen habe ich viel gelernt, auch über die Länder, aber vorwiegend | |
über mich. Ich habe mich dem Fremden ausgesetzt und auch Fremdes in mir | |
gefunden. Also zum Beispiel die Angst: Wenn man aus seinem Kulturkreis | |
rauskommt, wird man nicht nur neugierig, sondern auch unsicher und | |
ängstlich. Und man merkt: Es gibt nicht das Konzept des richtigen Lebens. | |
Wir glauben im Westen, dadurch, dass wir alles organisierter haben, hätten | |
wir ein besseres Leben. | |
Haben wir es besser? | |
Nicht unbedingt. Wir zahlen einen hohen Preis, das merkt man, wenn man nach | |
einem Jahr hier wieder hinkommt und merkt, wie angespannt und hektisch die | |
Leute alle sind. | |
Haben Sie daraus Vorsätze für sich abgeleitet? | |
Also, es hat sich schon etwas geändert. Nicht im Sinne von Vorsätzen. Aber | |
ich habe beschlossen, mich mehr zu engagieren, mehr öffentliche Projekte zu | |
starten. Denn so, wie ich die Welt kennengelernt habe, ist sie zwar | |
einerseits faszinierend schön, aber gleichzeitig frage ich mich: Wie kann | |
man so viel zerstören und Umwelt verschmutzen, wie kann es so viel Armut | |
geben? Der Psychoanalytische Salon, den ich mit veranstalte, ist aus der | |
Idee entstanden, mich zu engagieren. | |
… eine unregelmäßig stattfindende Diskussionsrunde zu unterschiedlichen | |
Themen in Hamburg, die gut besucht wird. | |
Ja, das große Interesse kam auch sehr überraschend für uns, die | |
Veranstaltungen waren überfüllt und wurden deshalb wiederholt. Beim | |
nächsten Mal im Herbst oder Winter soll es einen Salon zum Thema Identität | |
geben, im Frühjahr zum Thema Kommunikation in der digitalen Welt. Und | |
danach einen Salon zum Thema Neid. | |
Wonach suchen Sie ihre Themen aus? | |
Wir wollen einen Raum schaffen, in dem ungezwungen nachgedacht werden kann. | |
Es gibt wenige Räume, wo versucht wird, mit dem Publikum gemeinsam | |
nachzudenken, sich auf andere Sichtweisen einzulassen und andere Argumente | |
an sich ran zu lassen. Dazu nehmen wir Themen, die gesellschaftlich | |
relevant sind, und betrachten sie aus einer analytischen Perspektive. | |
Trotzdem: Wie erklären Sie, dass Psychoanalyse gerade so viele Linke | |
anzieht? | |
Ich glaube, es gibt einen Bedarf, ein bisschen tiefgründiger nachzudenken. | |
Es platzt hier eine Bombe, dann gibt’s da einen Streit, dort hat jemand | |
gelogen – davon ist die Presse voll, aber man weiß gar nicht, was man damit | |
anfangen soll. Wir bieten psychoanalytische und interdisziplinäre Gedanken | |
an und versuchen dann, gemeinsam mit dem Publikum nachzudenken und zu | |
diskutieren. | |
Vor einigen Monaten gab es einen Salon zum Thema „Befriedigendes Leben“. | |
Was macht befriedigendes Leben aus? | |
Wir haben keine Normative anzubieten, wie das Leben geht. Aber wir wissen, | |
was passiert, wenn die Leute Auseinandersetzungen vermeiden oder sich nur | |
einseitig beschäftigen. Wer nur frisst, wird fett, wer nur auf Ordnung und | |
Macht setzt, wird starr und langweilig, wer auf Konkurrenz setzt, wird am | |
Ende einsam sein. Wenn man eine gute Mischung hinkriegt und seine | |
Lebensgeschichte als kohärent erleben kann, wenn man sich nicht nur immer | |
rumgeschubst fühlt, sondern sagt, da hab ich mich weiterentwickelt oder was | |
Neues gemacht, das ist sehr befriedigend. Beziehungen sind auch was | |
Zentrales, wenn sie gelingen, was ja nicht einfach ist. | |
Vor sieben Wochen hat sich in Hamburg beim G20-Protest gezeigt, dass viele | |
unglücklich über die Verhältnisse sind. Was hat sich da Bahn gebrochen? | |
Das ist so pauschal eine schwierige Frage. Es gibt ja Leute, die sind in | |
der Lage, sich auf kreative Weise mit dem Gemeinwesen oder mit dem System | |
auseinanderzusetzen. Und andere sind es nicht. Aber es gibt ja einen | |
relativ weit verbreiteten Konsens, dass man nicht einfach den Nachbarn | |
umhaut, wenn er einem nicht gefällt. Dass Rache eingedämmt wird und Regeln | |
eingehalten werden. Manche können die besser einhalten, andere schlechter. | |
Das hat viel mit dem persönlichen Gewordensein zu tun, aber vielleicht auch | |
ein bisschen mit Glück und Pech. Oder mit der inneren Konfliktbereitschaft. | |
Aggressivität steckt in uns allen. | |
Natürlich, man braucht sie auch, um sich durchzusetzen, um Rivalitäten | |
auszuhalten, Standpunkte zu verteidigen. Aber das Gemeinwohl hat mit dem | |
Rechtssystem dafür gesorgt, dass sich nicht immer der Stärkere durchsetzt. | |
Nur dann kann man zusammenleben, wenn nicht jeder seine Aggressionen sofort | |
auslebt. Es ist gut, wenn eine Gesellschaft oder eine Gruppe es schafft, | |
die Aggressionen der Einzelnen einzuhegen und die Sorgen einzufangen. Das | |
gelingt mal besser und mal schlechter. | |
Wenn es schlecht gelingt, hat man viele Rechts-Wähler. Müssen | |
AfD-WählerInnen zur Psychoanalyse? | |
Das würden sie nicht tun, weil sie sich schon in ihrer Gruppe eingerichtet | |
haben, für die gehöre ich zum Feind. Aber einzelne Ausnahmen gibt es | |
natürlich schon. | |
28 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Leon Kirschgens | |
Katharina Schipkowski | |
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