| # taz.de -- Filmreihe im Kino Arsenal: Cineastischer Grenzgänger | |
| > Der mauretanische Regisseur Med Hondo gehört zur ersten Generation | |
| > afrikanischer Filmemacher, die ein eigenes Kino nach der Unabhängigkeit | |
| > geschaffen haben. | |
| Bild: Als Immigrant im Frankreich der 60er Jahre: Szene aus Med Hondos „Solei… | |
| Zwei Filmeinstiege: Eine Gruppe junger schwarzer Männer blickt mit | |
| verschränkten Armen in die Kamera, während der Kommentar die Zerstörungen | |
| an afrikanischer Kultur durch den europäischen Kolonialismus aufzählt. Ein | |
| Schnitt bringt uns in eine Kirche: hinter dem Altar bequem im Lehnstuhl ein | |
| weißer Priester, vor dem Altar kommen die jungen Männer die Treppen herauf. | |
| Die Taufe auf europäische Namen als Beginn der Kolonisation der Identität. | |
| Nach der Taufe beginnen die jungen Männer noch in der Kirche zu | |
| marschieren. | |
| Zweiter Anfang: wieder ein Lehnstuhl. Auf dem Lehnstuhl das Wappen der | |
| Republik Frankreich mit Liktorenbündel. Eine Kamerafahrt gibt den Blick auf | |
| den Raum vor dem thronartigen Stuhl frei, dahinter hängt eine Karte der | |
| Karibik. Einige Stufen tiefer stehen vier weitere Stühle, sie sind deutlich | |
| weniger prunkvoll als ersterer. | |
| Beide Anfänge stammen aus Filmen des mauretanischen Regisseurs Med Hondo, | |
| der zusammen mit Ousmane Sembene und Sara Maldoror zur ersten Generation | |
| afrikanischer Regisseure gehört, die ein Kino der Unabhängigkeit geschaffen | |
| haben. | |
| ## „Die alte Welt ist hinter Dir her“ | |
| Für das Berliner Kino Arsenal haben nun Enoka Ayemba, Marie-Hélène | |
| Gutberlet und Brigitta Kuster unter dem Titel „Cours, cours, camarade, le | |
| vieux monde est derrière toi“ eine Filmreihe rund um das Werk Med Hondos | |
| kuratiert. Der Titel greift einen Slogan der französischen 1968er-Bewegung | |
| auf: „Lauf Genosse, die alte Welt ist hinter Dir her“. Ayemba, Gutberlet | |
| und Kuster sind eine Art Allstar-Kuratorenteam, gehören die drei doch zu | |
| den wenigen, die sich in Deutschland mit afrikanischem Kino wirklich | |
| auskennen. | |
| Zurück zu den Anfängen: Der erste gehört zu Med Hondos Regiedebüt „Soleil | |
| Ô“ von 1969. Nachdem der Einstieg die Geschichte der europäischen | |
| Kolonisation in Erinnerung gerufen hat, sehen wir einen der schwarzen | |
| jungen Männer in Frankreich ankommen – auf der Suche nach Arbeit und | |
| gelockt von den Versprechungen der französischen Kolonialerziehung, dass | |
| man gemeinsam auf die Gallier als Vorfahren zurückblicke. Die Arbeitssuche | |
| wird ein Spießrutenlauf des Alltagsrassismus. Wieder und wieder kommt es | |
| noch nicht einmal zu einem wirklichen Bewerbungsgespräch. | |
| „Soleil Ô“ ist eine ernüchternde Bestandsaufnahme des Frankreichs der | |
| 1960er Jahre. Der Film zeigt Szenen afrikanischen Lebens in Paris. Aber | |
| anders als Paulin Soumanou Vieyra in seiner Kurzdoku „Afrique-sur-Seine“, | |
| der schwarze Männer auf den Straßen von Paris filmte, stehen in Med Hondos | |
| Film die Konflikte im Vordergrund. | |
| ## Autobiografische Züge | |
| Bei einer Zusammenkunft verschiedener Gruppen von Afrikanern in Paris etwa | |
| in der Mitte des Films werden die Probleme erneut in die Perspektive des | |
| Kolonialismus gesetzt. Teile der Handlung tragen autobiografische Züge: | |
| Zehn Jahre vor seinem Protagonisten emigrierte Hondo 1959 selbst nach | |
| Frankreich, um dort nach einer Ausbildung in Marokko als Koch zu arbeiten. | |
| Stattdessen schlug er sich mit einer Reihe von Hilfsarbeiten durch. | |
| Der zweite Einstieg stammt aus einem Film, den Med Hondo zwölf Jahre später | |
| drehte: „West Indies“, eine kritische Geschichte der Kolonisation der | |
| westindischen Inseln. Ein Sklavenschiff dient Hondo als symbolische Kulisse | |
| für die Handlung, die in wechselnden Tableaus die Geschichte der | |
| Kolonisation erzählt. „West Indies“ speist sich aus Hondos Erfahrungen als | |
| Theatermacher. | |
| Nachdem er sich neben seinen diversen Jobs als Schauspieler ausgebildet | |
| hat, gründete er drei Jahre vor seinem Filmdebüt mit dem Schauspieler | |
| Robert Liensol aus Guadeloupe eine Schauspielgruppe. „West Indies“ ist halb | |
| Lehrstück, halb Musical und wirft bei den Zuschauern noch heute alles über | |
| den Haufen, was sie über afrikanisches politisches Kino zu wissen glaubten. | |
| Die Vorführungen der Filmreihe „Cours, cours, camarade, le vieux monde est | |
| derrière toi“ werden begleitet durch eine Vielzahl von Einführungen unter | |
| anderem durch die Regisseure Jean-Pierre Bekolo, Akin Omotoso und Philip | |
| Scheffner, den Schriftsteller Max Annas, den Direktor der algerischen | |
| Kinemathek Lyès Semiane, die Filmaktivistin Madeleine Bernstorff und viele | |
| andere mehr. Die Filmreihe aktualisiert und kontextualisiert das Werk Med | |
| Hondos durch Filme weiterer Regisseure. Ein idealer Einstieg in Geschichte | |
| und Gegenwart des afrikanischen Kinos. | |
| Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
| immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
| 16 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
| ## TAGS | |
| Retrospektive | |
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