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# taz.de -- Ein Dorf feiert: Wenn die Luft vibriert
> Dörfer sind Rätsel. Wenn es gut läuft, hält sie etwas zusammen. Was? Eine
> Spurensuche auf dem Dorffest von Oberrimsingen in Südbaden.
Bild: Vorfreude: Der Rudi fährt an zwei Niederrimsinger Musikern vorbei
Im Sommer, wenn die Sonne auf die Rheinebene zwischen den Vogesen und dem
Schwarzwald brennt und sich ein diesiger Schleier auf die Dörfer legt, als
vibriere die Luft über den Dächern, als könne, was ausgeatmet wird, nicht
aufsteigen, feiert Oberrimsingen ein dreitägiges Fest.
Noch allerdings ist es nicht so weit. Noch sind Männer, breitschultrige
Kerle und dazwischen ein paar Dünne, dabei, im Schlossgarten, der klein
ist, der kaum mehr als einem Dutzend ausladenden Kastanien Platz bietet,
alles aufzubauen: Zelte, Theken, Kühlschränke werden aufgestellt. Lichter
installiert, Wasserleitungen angeschlossen, Zapfhähne, Grills,
Spülmaschinen zum Laufen gebracht, Überdachungen fixiert, Pavillons,
Tanzböden, Tische, Stühle.
„Wir schaffen es nur, wenn ihr mitmacht“, hatte Jimmy vor dem Aufbau auf
WhatsApp an alle geschrieben. Halt, stopp, das Dorf, in dem das Fest ist,
ist in Südbaden, da haben die Personen auch vor dem Namen Artikel. Der
Jimmy also hat die Nachricht geschrieben, der Jimmy, spielt Tenorsaxofon
und ist, was den Körperbau angeht, einer der Dünnen.
Wie auch immer, eine Woche haben sie gebraucht und am Freitagabend ist es
geschafft. Dann sitzen sie an zwei Biertischen, der Klaus, der Bruno, der
Rudi, der Spitzer, der Alfi, der Lelle, der Wolfi, der Timon – ach, wie sie
alle heißen –, auch der Tommi, der Müller Thomas ist das (ja, der Nachname
kommt bei Eingesessenen immer zuerst). Altsaxofonist und erster Vorstand
des Musikvereins ist er, „ein Alphatier“ – seine Worte –, und am Ende d…
Tisches der Pi, der Mangold Pius. Er spielt F-Horn und ist Ortsvorsteher
und wird, das weiß man da noch nicht, in der Nacht mit Atemnot, Luftnot ins
Herzzentrum gebracht – die Verantwortung fürs Dorf so groß.
## Sie spüren Vorfreude
In einer Hand haben die Männer eine Flasche – Bier, Wasser – in der anderen
Leberkäse zwischen zwei Scheiben Brot. Sie hocken unter den mit farbigen
Lampen behängten Bäumen im Schlossgarten des 1.600 Einwohner zählenden
Ortes – das Schloss gehört keinem Adligen mehr – und spüren Vorfreude. Die
stimmt sie mild, sie erzählen von alten Heldentaten und wie sie es jetzt
wieder geschafft haben.
„Echte Manpower“, sagt Didi, Trompeter, „ich reib mir die Augen, dass das
alles steht.“ Seltener als sonst fällt einer dem anderen ins Wort. Sie
wollen, dass das Fest schön wird – es ist ein Geschenk des Musikvereins ans
Dorf. Musik – im Alemannischen heißt das: Müssig. „Ich bin in der Müssig…
sagen die Leute.
Dieses Jahr ist das Fest groß, größer, der Verein wird 90 Jahre alt. Am
Sonntag werden deshalb 25 Blaskapellen aus den umliegenden Dörfern vom
Tuniberg, vom Kaiserstuhl, vom Markgräflerland spielend durchs Dorf ziehen.
So einen Umzug binde sich doch niemand mehr ans Bein, hätten sie, erzählt
einer, zu hören bekommen. „Aber wir haben einfach Bock auf das Fest“, sagt
der Rudi, dessen Bruder sterben wird von Sonntag auf Montag. Erwartet.
Trotzdem. „Sag einmal, gibt es hier nur schlechte Nachrichten?“, fragt
jemand.
Noch ist Freitag. Der Rudi rührt hinter der Theke eine Riesenschüssel
vegetarischen Aufstrich an für die, die am Fest keinen Winzerwecken mit
Speck wollen. Sein Knie ist bandagiert. Die Kerle mit den breiten Schultern
feiern jetzt, weil sie nicht wissen, ob sie in zehn Jahren den 100.
Geburtstag des Vereins noch so stemmen können. Viele sind weit über
fünfzig. Und der Tommi, seit 30 Jahren im Vorstand, er, das Alphatier,
Versicherungskaufmann und Hobbywinzer, träumt statt von Verantwortung von
einem Wohnmobil. Niemand glaubt’s. Auch seine Frau hat Zweifel.
Dörfer sind Rätsel. Wenn es gut läuft, hält etwas sie zusammen. Was? „Dass
man füreinander einsteht“, sagt einer zwei Tage später, als das Fest in
vollem Gang ist, als der Sound der Bands und Kapellen zu laut über die
Lautsprecher dröhnt. Er ist nicht im Verein, stand aber Stunden am
Abwaschwagen, räumte dreckige Teller in die Spülmaschine ein und nach ein
paar Minuten sauber wieder aus und isst jetzt Schnitzel mit Pommes – der
Dank.
Er sei kein Gruppenmensch, sagt er, halte sich aus allem raus. Jetzt hilft
er doch. Sein Elfjähriger ist in der Jugendkapelle, seine Frau wollte was
beitragen zum Fest. Sie verletzte sich, da ist er ein- und über den
Schatten gesprungen.
300 Leute werden gebraucht, um das Fest zu stemmen, sagt der Müller-Thomas.
Am Ende sagt er, er bekam Unterstützung von überall her – sogar aus
Nachbardörfern. „Mensch, über Dörfer wird doch nur geschrieben, wenn was
schiefläuft“, grätscht einer aus der Runde ins Gespräch, „Krawall in
Schorndorf, ich lach mich tot.“ Der daneben: „Das ist doch gar kein Dorf,
das ist 50-mal größer als wir.“ „Jetzt übertreibst du“, meint ein Drit…
## Nicht nur Manpower wird gebraucht
Nach den Helden kommen die Musikerinnen. Sie putzen, dekorieren, schneiden
Berge von Zwiebeln, Berge von Fleisch. Kuchen werden in allen Küchen
gebacken. Weil der Musikverein früher ein Männerding war, sind es mehr
Jüngere, die helfen. Sie heißen mal Carina, mal Cathrin, Christine, Anja,
Vera, mal anders. Die Vera, gerade 18, gerade Abitur, ist dabei, nach dem
Leben zu greifen. Selbstbewusst lacht sie über sich, kokett dreht sie
Rollen um, „Hey, Jonas, komm mal her“, „Hey, Dominik, komm mal her“.
Die Jungs sind irritiert. Mit einem Bein steht sie schon in der Welt, ist
aber noch im Dorf, das sie wunderschön findet, obwohl es nur heiß in der
Sonne liegt. Der hohe Kirchturm hebt sich grell vom dunklen Blau des
Schwarzwaldes ab. Nicht lange sei es her, dass sie von der Jugendkapelle in
den Musikverein wechselte.
„Unser Dilemma“, sagt der Müller-Thomas, der Vorstand, „erst bildet der
Verein die Jugendlichen aus, und wenn sie gute Musiker sind, machen sie
Abitur, gehen weg, studieren.“ Ob sie zurückkommen, wer weiß. „Der Zwang
zur Mobilität zerstört im Grunde unsere Kultur.“ Denn ohne die Jüngeren
geht es nicht weiter. „Das ist die Herausforderung“, sagt der Vorstand.
Herausforderung ist auch, dass die Jungen an vielem kratzen – unter anderem
am Repertoire. Marsch, Polka. „Da geht noch was“, sagt die Cathrin. Bald
zieht sie nach Freiburg.
Musikvereine sind „Visitenkarten der Gemeinden“, sagt der Vorstand, am
Samstagabend, als eine Band zum Einstimmen spielt. „Wir werden zuerst
gefragt“ – bei Beerdigungen, bei Ehrungen, bei Festen. „Jemand ruft an,
fragt: Könnt ihr kommen?“ Groß abstimmen mit den 53 Aktiven könne man das
oft nicht. „Und klar, Entscheidungen werden auch mal nach der Probe beim
Bier getroffen.“
Eine der Frauen, die Carina, 27, Fachangestellte für Sozialhilfe und
Klarinettistin, ist auch im Vorstand. Sie hadert mit den Strukturen. Der
Müller-Thomas selbstkritisch: „Man muss aufpassen, dass man die Jungen in
der Verantwortung nicht verheizt, aber du kannst so einen Verein nicht ohne
Hierarchie zum Laufen bringen.“ Trotzdem: „Den Generationenwechsel, den
müssen wir schaffen.“
Beim Fest kann er sich nicht beklagen, auch die Jungen schuften: der
Dominik, die Elena, Hannah, Carina, der Raphael, Felix, Jonas, viele mehr.
Sie sind die Azubis der Verbundenheit. „Man darf das doch nicht
unterschätzen: So ein Verein stabilisiert auch Leute, die sozial in der
Luft hängen“, sagt der Vorsitzende. Und: Die Gemeinschaft kann ein
Korrektiv sein.
Der Schalupa sagt es auch. Früher Oberrimsinger, lebt er jetzt in einem
anderen Dorf. „In der Müssig“ ist er geblieben. „Wegen der Kameradschaft…
Sein Daumen kam vor einem Jahr in den Mulcher. Die Ärzte haben ihm einen
Ersatz aus Handmuskel und Armhaut gemacht. Wenn er über den falschen Daumen
streicht, kribbelt es nun in der Hand. Er hat die Klarinette umbauen
lassen, damit er weiter spielen kann. „Es geht.“
Endlich der Sonntag. Vor dem Umzug ein Gottesdienst auf dem Festplatz. Eine
Kapelle spielt Melodien, die fröhlich und getragen sind, wiegend und klar.
„Eure Musik war wie eine Predigt“, sagt Werner Bauer, seit sechs Jahren ist
er Pfarrer in Breisach, der Stadt, zu der das Dorf gehört. „Bleibt sitzen,
aber erhebt eure Herzen.“ Und dann lobt er, was das Dorf aufgebaut hat, und
hebt die, die vor 90 Jahren den Verein gründeten, in den Rang des Sämanns,
dessen Saat mal auf fruchtbaren Boden fällt und aufgeht, mal auf steinigen
und verdirbt.
## Eine andere Zeit
Ein Gleichnis aus dem Evangelium ist es. Es klingt, als wolle der Pfarrer
den Schillinger-Josef ansprechen, der ganz links mit der Klarinette auf dem
Gründungsfoto aus dem Jahr 1927 abgebildet ist. 19 Jahre war er da. Und
später: „Ein SS-Mann schlimmster Sorte“, wie der Breisacher Bürgermeister
Oliver Rein nach der Messe beim Vesper erklärt, denn der Pfarrer wusste von
Schillingers Existenz doch nichts. Der Schillinger hat in Auschwitz
Menschen in die Gaskammer getrieben.
„Hätte ich es gewusst, hätte ich es vielleicht sogar in die Predigt
aufgenommen“, sagt der Pfarrer. Nicht um jemandem Vorwürfe zu machen,
sondern um zu zeigen: Geschichte kann Warnung sein. Wichtig sei doch, dass
Menschen zusammenwirken und etwas aufbauen. „Dabei können sie nicht wissen,
was daraus wird“, meint der Pfarrer, „heute aber ist der Zusammenhalt
segensreich.“ Und der Bürgermeister sagt: „Damals war eine andere Zeit.“
Während die Honoratioren noch unter den Kastanien speisen, stellen die
Leute schon Stühle an die mit Fahnen geschmückten Straßen. Einer an der
Ecke zur Großgasse hat eine Flagge aufgehängt. Die Farben in Blöcken
aufgeteilt, (wie bei der belgischen), und nicht in Streifen. Egal.
An der Kirche vorbei zieht der Umzug, dann die Bundesstraße hoch, wo das
Rathaus und die Wirtshäuser sind, der Hirschen, der Löwen, und wo sich das
Dorf auf ein paar Metern verdichtet, weiter über den Schneckenweg in die
Kleingasse und von da in die Großgasse zum Schlossgarten. Vorneweg ein paar
Reiter. Kinder tragen Tafeln mit den Namen der Ortschaften, aus denen die
Kapellen kommen, Munzingen, Niederrimsingen (nur ein Acker trennt das obere
vom unteren Dorf), Ihringen, Merdingen, Wasenweiler und noch zwanzig
weitere.
Im Takt gehen die Musizierenden die Straßen entlang. Die eine Kapelle
spielt in den Rhythmus der nächsten, von links kommt ein Marsch, während
rechts die Musiker und Musikerinnen noch spielend um die Ecke schwenken,
ein Klangteppich mit Dissonanzen entsteht – die dritte Musik. Hört ein
Blasorchester auf, wird das andere stärker und von Weitem der hohe Ton
einer Klarinette. Die Zuschauer an der Straße winken, applaudieren in der
Sonne. Die Hannah, eine junge Flötistin, wird später sagen:
„Gänsehautfeeling“.
„Ich hab die Stimmung im Dorf schön gefunden“, meint eine, die den Zug in
der Großgasse verfolgte. „Ich habe mit Leuten geredet, die mich vom Sehen
kennen, aber nicht einordnen konnten“, erzählt eine andere. „Jetzt fragten
sie und ich sagte, ich bin dem Dockweiler Gerd seine Frau.“ Plötzlich sei
alles ganz leicht gewesen. „Wenn man dann hört, dass jemand krank ist oder
sonst was passiert ist, spürt man die Anteilnahme. Das hat mich gerührt,
das sag ich jetzt nicht nur so.“ Und die Frau vom Menner Bruno sagt: „Es
ist nicht mehr so kleinkariert wie früher, wo jeder auf jeden geguckt hat.“
Was beim Umzug die ineinanderfließende Musik ist, sind im Garten die vielen
Stimmen. Allein 750 Musiker sind jetzt da, dazu die Rimsinger und „weiß der
Gott wer noch“. Und immer wieder: „Toll, dass das Wetter mitmacht.“ Die
Liesel sagt, „das Dorf ist meine Heimat“. Dass es größer wird, weil die
Dörfer westlich vom Schwarzwald wachsen, irritiert sie nicht.
## „Mehr Hund als Kinder“
„Ich kenne viele Neubürger, ich schwätz sie auch an. Viel’ sind mit Hund.…
Ein anderer: „Mehr Hund als Kinder.“ Und die Liesel: „Nein, es gibt auch
Kinder.“ In der Feuerwehr seien viele Junge, sagt jemand. Man erkenne sie
nur, wenn man das Familienmodell in ihren Gesichtern ablesen kann. Ob es
ein Ott ist, ein Zeller, Weismann, Müller.
„Ich find’s schön, dass Leute aufs Fest kommen, die sich sonst nicht so
einbringen“, meint eine und jemand erzählt vom Urlaub am Cap d’Agde, jemand
vom Bodensee. Zugezogene reden darüber, wie sie anfingen, das Dorf zu
mögen. Die Alten sagen: „Schön, dass ich es noch erlebe.“ (Dem Pi, erfäh…
man, geht es auch wieder besser.) Musiker aus anderen Dörfern meinen, „so
ein Fest hält die Vereine zusammen“.
Das Generationenproblem teilen alle Kapellen. „Ist ja auch nicht mehr wie
früher, wo es nichts gab außer dem Musikverein und Fußball.“ Über Politik
wird selten etwas gesagt, hitzig soll’s nicht werden, man weiß, wo wer
steht – und der Kretschmann sei in Ordnung, „der könnte bei uns
mitspielen“, sagt einer.
Als viele der Alten schon nach Hause gegangen sind, sitzen Teenager an den
Biertischen, alle schauen auf ihre Handys, über ihnen der Lautsprecher, aus
dem nun Andrea-Berg-Hits in Wiederholungsschleife laufen, „ich werde
lächeln, wenn du gehst“, die Lautstärke kaum gedrosselt bis zwei Uhr
nachts.
Am Dienstagabend sitzen zwei Dutzend Männer und Frauen im Schlossgarten,
„fertig, aber glücklich“, wie einer sagt. Den ganzen Tag über haben sie
alles wieder abgebaut. Der Vorstand zieht Bilanz: 2.500 Liter Bier. 600
Kilo Pommes. 300 Kilo Steak. 150 Kilo Rindfleisch. Alles weg. Keine
Streitereien, kein Alkoholdebakel.
„Wird im Artikel auch mal gelacht?“, fragt eine und wiederholt den Witz,
den die Ursel erzählt hat. 81 ist sie, ihr Vater gründete den Verein mit:
„Gehen zwei Männer im Sonnenaufgang nach dem Fest schwankend nach Hause zu
ihren Frauen. Sagt der eine: 'Ach, wenn die Predigt doch schon vorbei wär.“
11 Aug 2017
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Dorf
Bier
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