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# taz.de -- Muslimische Friedhöfe: Die Toten liegen falsch
> In Berlin fehlt Platz für muslimische Bestattungen – Die Bürgerplattform
> „Wir in Neukölln“ fordert deshalb einen islamischen Friedhof an der
> Hermannstraße.
Bild: Der türkische Friedhof am Columbiadamm in Neukölln
Auf einem islamischen Friedhof kommt es auf den richtigen Winkel an: Bahri
Deniz hat sich an die Längsseite der Grabreihen gestellt. Mit der Hand
zieht er eine Linie von seiner Brust in Richtung Osten. „Die Toten liegen
falsch“, stellt er fest. „Die lange Seite des Grabes muss eigentlich genau
nach Mekka zeigen.“
Auf dem städtischen Friedhof am Columbiadamm sind Christen und Muslime
begraben. Das Gelände liegt hinter den Minaretten der Şehitlik-Moschee und
dem kleinen türkischen Friedhof. Deniz kennt sich hier gut aus. Seit
zwanzig Jahren organisiert er islamische Bestattungen. Viele der Toten hat
er selbst beigesetzt. „Der Friedhof ist beliebt“, erklärt er. „Ich bekom…
oft Anrufe von Angehörigen, die nach einer Grabstelle für Verwandte
fragen.“ Doch die muslimischen Grabfelder am Columbiadamm sind voll. „Nur
wer schon reserviert hat, bekommt noch einen Platz.“
Auch sonst fällt es Muslimen schwer, in der Stadt geeignete Grabstellen zu
finden. Islamische Vertreter bitten deshalb schon seit Längerem um
zusätzliche Friedhöfe. Auf dem St.-Jacobi-Friedhof an der Hermannstraße
bietet sich nun eine Gelegenheit: Das Areal wird von der evangelischen
Kirche nicht mehr für Beisetzungen genutzt. „Wir könnten dort etwa drei
Hektar an Muslime abgeben“, erklärt ein Vertreter des Evangelischen
Friedhofsverbands Stadtmitte (EVFBS).
St. Jacobi bietet nicht nur Platz, er liegt auch mitten in Neukölln, nahe
an den Wohnorten vieler Muslime. Zwar gibt es zurzeit auch andere
muslimische Grabfelder, etwa auf den Friedhöfen in Gatow und Ruhleben.
Vielen ist das aber zu weit draußen. „Wir brauchen einen innerstädtischen
Friedhof, dort, wo viele Muslime leben“, sagt auch Ali Taouil vom
schiitischen Verein Al-Irshad. Es sei wichtig, dass Verwandte ihre toten
Angehörigen besuchen können. Außerdem nehme die Zahl der muslimischen
Bestattungen zu. „Wenn wir keine neuen Friedhöfe schaffen, werden die
Grabstätten in ein paar Jahren nicht mehr ausreichen. St. Jacobi ist eine
Möglichkeit, die wir nicht verpassen dürfen.“
In den Räumen seines Vereins sitzt Taouil mit Susanne Sander und Johannes
Zwick. Sander ist vom Deutschen Institut für Community Organizing, Zwickel
von der evangelischen Vereinigung „Herrnhuter Brüdergemeine“. Gemeinsam mit
Vertretern anderer islamischer und christlicher Gruppen haben sich die drei
zur Bürgerplattform „Wir in Neukölln“ (Win) verbunden. Dem Bündnis gehö…
auch die Şehitlik-Moschee und der Berliner Landesverband der Islamischen
Gemeinschaft Millî Görüş an. Der islamische Friedhof an der Hermannstraße
ist eines ihrer zentralen Anliegen. In dem schmucklosen Veranstaltungsraum
startet gleich im Anschluss ein Strategietreffen. Eilig wurden dafür einige
Holztische zusammengeschoben. Bevor es losgeht, bleibt noch etwas Zeit für
Pressefragen.
Das größte Problem: Den Muslimen fehlt das Geld. „Die Verbände in der Stadt
sind nicht in der Lage, einen Friedhof zu betreiben“, sagt Taouil. Um
selbst die Verantwortung zu übernehmen, müssten sie einen Verein gründen,
der nachweislich die Finanzierung für die kommenden Jahre schultern kann.
Völlig unmöglich, erklärt Taouil.
Als Träger ist deshalb der Bezirk Neukölln im Gespräch. Dort verhandelt man
bereits mit dem EVFBS über eine Übernahme der Flächen. Aber auch der Bezirk
scheut die Kosten des Projekts: Um St. Jacobi für islamische Bestattungen
fit zu machen, seien Investitionen von etwa 3 Millionen Euro nötig, erklärt
eine Sprecherin. Auf dem 150 Jahre alten Friedhof müssten Grabanlagen
geräumt, Wege angelegt und Müllplätze geschaffen werden. Der islamische
Ritus verlangt außerdem, dass die Grabanlagen im korrekten Winkel nach
Mekka ausgerichtet werden. „Das Bezirksamt kann die Umbaukosten keinesfalls
tragen“, heißt es aus Neukölln. Um den Friedhof zu realisieren, müsse der
Senat die Umbaukosten übernehmen.
In der zuständigen Senatsverwaltung möchte man sich zum jetzigen Zeitpunkt
noch nicht festlegen. Erst wenn die Übernahme der Flächen durch den Bezirk
geklärt sei, könne man Mittel für das Projekt zur Verfügung stellen, so ein
Sprecher auf Anfrage. Ende August wollen sich Senatsverwaltung, Bezirk und
EVFBS zu einer weiteren Verhandlungsrunde treffen. Neben den Baukosten
dürfte es dann auch um den Kaufpreis des Grundstücks – hier liegen noch
keine Zahlen vor – und die laufenden Kosten gehen. Für Letztere rechnet der
Bezirk mit einer Belastung von rund 350.000 Euro pro Jahr.
Auch Vertreter der Win-Plattform möchten bei den Verhandlungen mitreden.
„Wir wollen beim Treffen im August dabei sein“, sagt Sander. Die Gruppe ist
zwar nicht direkt an den Entscheidungen beteiligt. Sie versteht sich aber
als Stimme der Betroffenen. Kurz vor Beginn des Strategietreffens trudeln
immer mehr Win-Mitglieder ein. Am Ende sitzen Vertreter sunnitischer
Verbände neben Schiiten und Kirchenleuten. Auf den Holztischen stehen
Baklava und Fruchtkuchen. „Wir brauchen muslimische Friedhöfe, da sind wir
uns hier alle einig“, sagt Taouil. Wenn St. Jacobi denn kommt, soll er ein
Friedhof für alle Muslime sein, egal, ob sunnitisch, schiitisch oder
alevitisch.
Finanziert wird die Bürgerplattform aus den Mitteln der Mitgliederverbände,
so berichten es die anwesenden Vertreter. Ob über die Dachverbände der
verschiedenen Gruppen auch Gelder und Einfluss aus dem Ausland
hereinströmen? Taouil schüttelt den Kopf. Die Bürgerplattform sei ein
Projekt der Berliner Verbände.
Wenige hundert Meter Luftlinie entfernt sitzt Bestatter Deniz im Innenhof
der Şehitlik-Moschee. Nach der Friedhofstour werden Tee und Kekse serviert.
Aus dem Inneren des Gebäudes kommen Männer vom Mittagsgebet. Die Toten auf
dem Moscheehof liegen übrigens auch nicht ideal. Ihre Gräber wurden damals
von den Architekten mit den Füßen nach Mekka gelegt.
2 Aug 2017
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Selbsthilfe
Islam
Schwerpunkt taz Leipzig
Religion
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