| # taz.de -- Neues Album von Grizzly Bear: Funktionierendes Chaos | |
| > Eine Band als gelingende Demokratie: Das Quartett Grizzly Bear lässt | |
| > „Painted Ruins“ weltumarmend und leichtfüßig klingen. | |
| Bild: Die Band passt zwar in keine Schubladen, aber immerhin in Boxen | |
| Als Grizzly Bear im Mai [1][den Song „Three Rings“] als Vorboten ihres | |
| neuen Albums „Painted Ruins“ veröffentlichten, jubelte ein Bekannter auf | |
| Facebook: „Wenigstens die nächsten fünf Minuten ist mein Leben | |
| unbeschwert.“ Schöner kann man das Verhältnis zwischen Grizzly Bear und | |
| ihrem Publikum kaum auf den Punkt bringen. Keine Indie-Band genießt ein | |
| solch bedingungsloses Vertrauen der Fangemeinde. | |
| Vielleicht ist diese Zuversicht dadurch zu erklären, dass Grizzly Bear auf | |
| vier Alben seit „Yellow House“ (2006) eine offene und sehr eigenwillige | |
| Klangsprache entwickelt haben. Vermutlich wird auch „Painted Ruins“ ein | |
| Eigenleben beginnen, ein anderer werden. Veröffentlicht wird das Album | |
| erstmals bei einem Major Label. Sei’s drum, Grizzly Bear machen Musik, in | |
| der man sich häuslich einrichten kann und die trotzdem nicht langweilig | |
| wird: Songs als morphende Organismen. | |
| Die einst in Brooklyn beheimatete Band ist mittlerweile zu drei Vierteln | |
| nach Los Angeles gezogen. An ihrem Sound hat sich wenig geändert. Grizzly | |
| Bears folkig-jazzige Psychedelik ist nachhaltig – auch wenn dieser | |
| überstrapazierte Begriff etwas dröge klingt, vor allem im Popkontext. Zu | |
| dieser gar nicht drögen Band passt er dennoch: weil sie einen Gegenentwurf | |
| liefern, zu all den wöchentlichen Neuerscheinungen, die es allenfalls als | |
| Lifestyle-Tapete auf eine Spotify-Playliste schaffen. | |
| Vielleicht sind die vielen losen Enden, die ein Andocken an immer neue | |
| Details ihres Sounds ermöglichen, ein Resultat davon, dass Grizzly Bear | |
| eine funktionierende Demokratie sind. Als solche bezeichnen sich die vier | |
| Musiker, die neben der Band alle noch Soloprojekte haben. Allerdings kann | |
| die Suche nach gemeinsamen Leidenschaften nur selten im gemeinsamen Alltag | |
| stattfinden. | |
| ## Räumlich zerfasert | |
| So musste für die Kommunikation diesmal eine Dropbox herhalten, in der die | |
| Musiker Songskizzen und Inspirationen hin und her schickten. Dass sie | |
| einander Bälle zuspielen und die Songs ihren Weg finden lassen, bis es | |
| passt, scheint auch auf diese fragmentierte, räumlich zerfaserte Weise zu | |
| funktionieren. „Painted Ruins“ klingt keineswegs, als habe man sich auf | |
| den kleinsten gemeinsamen Nenner eingeschwungen. Eher, als würde um den | |
| größten Nenner heftig gerungen. | |
| Zum Interview kommen der wortkarge Co-Sänger und Gitarrist Dan Rossen und | |
| Bassist Chris Taylor, der gern plaudert und weit ausholt. Auch im | |
| Bandgefüge hat er offenbar die Rolle des Moderators, Integrators und | |
| Anschubsers. Bei ihm als Produzenten liegt zudem die Aufgabe, die Songs so | |
| klingen zu lassen, wie sie klingen sollen. Die beiden anderen (Sänger Ed | |
| Droste, der Grizzly Bear um die Jahrtausendwende als Soloprojekt gründete, | |
| und Schlagzeuger Chris Bear) sind indirekt anwesend, obwohl sie ein Zimmer | |
| weiter ihrerseits Interviews geben. Fortlaufend erwähnen Taylor und Rossen | |
| ihre Mitstreiter. | |
| ## Das Brodeln unter der Oberfläche | |
| Grizzly Bear werden des Öfteren von der Kritik als Gegenmodell zur | |
| klassischen Rockband bezeichnet: Tatsächlich sind drei der vier – Rossen, | |
| Taylor und Bear – überwiegend Jazz-und Klassik-sozialisiert. Was mit dieser | |
| Aussage aber eigentlich gemeint ist: In dieser Band scheint es nicht den | |
| klischeetypischen Clash von Macker-Egos zu geben, allenfalls produktive | |
| Reibung. Diese Musiker taugen tatsächlich als Modell, wie man als Band | |
| würdevoll älter werden kann. | |
| „Painted Ruins“ klingt an der Oberfläche oft hymnisch, manchmal verhalten, | |
| gelegentlich auch weltumarmend und leichtfüßig. Darunter brodelt es fast | |
| immer auf die eine oder andere Weise, die Stücke nehmen überraschende | |
| Wendungen. Nur selten folgt Grizzly Bear klassischen Popstrukturen. In | |
| Anbetracht der vielen losen Enden, die die Songs aufweisen, stellt sich die | |
| Frage: Fühlen sich die Stücke jemals fertig an, für die, die sie schaffen? | |
| „Das variiert“ erklärt Rossen. „Manchmal wissen wir schnell: Das ist der | |
| Song, wir müssen nur die Details ausmalen. Manchmal hat der Prozess | |
| allerdings ein so offenes Ende, dass es wirklich frustrierend ist.“ | |
| „Losing All Sense“ ist ein Song, mit dem Rossen lange nichts anfangen | |
| konnte, bei dem alles ein paarmal umgeworfen wurde, unter anderem das | |
| Tempo. Das so entstandene Stück bekommt den Spagat hin, auf eine recht | |
| konventionelle Mid-Tempo-Weise schwungvoll und doch wehmütig zu klingen. | |
| Man wollte, so erzählt Taylor, auf „Painted Ruins“ eine fluide Atmosphäre | |
| schaffen, bei der es manchmal nach vorn geht – während man auf dem | |
| Vorgänger „Shields“ etwas Meditativ-Ruhiges angestrebt hatte. | |
| Bezeichnenderweise kommt es der Autorin ganz anders vor: Zwar gibt es diese | |
| Nach-vorn-Momente, etwa bei der tollen Single „Mourning Sound“, sonst aber | |
| wabert durch das neue Album viel elegische Traurigkeit. Doch wer weiß, | |
| wohin sich die Musik noch entwickelt. | |
| ## Schwärmen über Obskures | |
| Ein offenes System sind auch die Songtexte, sie verweigern sich dem | |
| Geschichtenerzählen. Rossen erzählt von „Four Cypresses“, einem | |
| Lieblingslied von ihm. Der Song habe in rudimentärer Form bereits | |
| existiert, als er die Bandkollegen an der Westküste besuchte. Rossen | |
| mietete sich vorübergehend in einer Wohnung ein und fühlte sich in Los | |
| Angeles verloren. Am Anfang, führt er aus, stand tatsächlich die Idee von | |
| jemand, der in einem Haufen Schrott lebt. „Zunächst ging es in dem Song um | |
| Obdachlosigkeit. Dann jedoch wurde es zu einem Song über den Kollaps der | |
| US-Gesellschaft und wie der in unserem Alltag ankommt.“ | |
| Die eigentlichen Aufnahmen fanden übrigens wieder im Aillaire Studio in den | |
| Catskill Mountains statt – an einem Ort, den die BBC als einen der | |
| atemberaubendsten Orte zum Musikmachen bezeichnete und wo die Band obskure | |
| Gerätschaften vorfand, die sie zum Schwärmen bringt. | |
| Dass die Band eine politische Haltung hat, lässt sich etwa an Ed Drostes | |
| Postings in den einschlägigen Netzwerken ablesen. Gemeinsam haben sich | |
| Grizzly Bear für Bernie Sanders engagiert. Doch auf der Textebene arbeiten | |
| sie meist sloganfrei, sodass eine knackige Zeile wie „It’s chaos, but it | |
| works“ (aus besagtem „Four Cypresses“) aufhorchen lässt – zumal das wi… | |
| Echo des Albumtitels klingt. | |
| ## Alte Alben wieder gehört | |
| Ist es nicht vermessen oder einfach blind optimistisch, zu behaupten, dass | |
| die Dinge weitergehen, trotz des kulturellen Kollaps, den sie | |
| thematisieren, ohne das T-Wort in den Mund zu nehmen? „Anfangs habe ich | |
| befürchtet“, erklärt Rossen, „dass dieser Satz glatt oder altklug wirkt. | |
| Ich hoffe, dass das nicht so ankommt, sondern auslöst, dass man genauer | |
| hinhört.“ | |
| Chris Taylor erzählt von einer Autofahrt entlang der kalifornischen Küste, | |
| bei der er alle bisherigen Alben durchhörte. Die habe er seit ihrem | |
| jeweiligen Erscheinen nicht mehr angefasst, obwohl die Band mit den Songs | |
| getourt sind. Während der Arbeit an „Painted Ruins“ standen sie zu dem | |
| Zeitpunkt am Anfang. | |
| „Die Songs in einem Rutsch durchzuhören, hat mich beruhigt. Als junge Band | |
| hat man das Gefühl, dass es keine Grenzen gibt, dass man aus allem schöpfen | |
| kann. Jetzt fragen wir uns schon, bevor wir an die Arbeit gehen: Wo soll es | |
| hingehen?“ Und fügt ironisierend hinzu: „Müssen wir uns gar neu erfinden?… | |
| Nach dieser Autofahrt jedoch war Taylor zuversichtlich: „Ich liebe, was wir | |
| tun. Es gibt noch viel, was wir zusammen erforschen können.“ | |
| Trotz dieses koketten Selbstbewusstseins: Man hat nie das Gefühl, dass | |
| Grizzly Bear es sich in einer muckeligen Sound-of-Brooklyn-Oase bequem | |
| gemacht haben, zwischen Batikhemd und einer eklektischen, oft etwas | |
| beliebigen Soundtapete, die in den Hipster-Imbiss ebenso passt wie zum | |
| Urban Gardening. Vielleicht deshalb haben sie nicht den Backlash gespürt, | |
| den es gegen die einst gehypten Szenegenossen von Animal Collective | |
| zwischenzeitlich gab. | |
| Zeitgeist oder Lifestyle zu kommunizieren, ist traditionell ein Reiz und | |
| Versprechen von Popmusik. Dass Grizzly Bear ziemlich immun gegen | |
| Projektionen dieser Art sind, macht den besonderen Appeal dieser Band aus. | |
| 11 Aug 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=PZ8LB6KHHMs | |
| ## AUTOREN | |
| Stephanie Grimm | |
| ## TAGS | |
| Debütalbum | |
| New Orleans | |
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