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# taz.de -- Women's Euro 2017: Ballgefühl, Schusskraft, Schönheit
> Erbärmlich? Grausam? Unterentwickelt? Männer, schaut nicht so abschätzig
> auf Frauenfußball. Dann wird sogar der Sex besser​.
Bild: England gegen Schottland, Vorrunde: Ellen White schießt ein Tor
Jahrelang fand ich den Frauenfußball einfach nur erbärmlich und grausam.
Die Spielerinnen waren taktisch unterentwickelt, kickten auf
Kreisliganiveau, hatten kein Ballgefühl, keine Schusskraft, konnten das
Spiel nicht lesen und strahlten darüber hinaus weder Eleganz noch Schönheit
aus. Ich war davon überzeugt, dass ich den Frauenfußball allein wegen
seines hundsmiserablen Spiels nicht mochte.
Das war allerdings nur die halbe Wahrheit.
Gut, die Frauen spielen immer noch nicht so einen schnellen und attraktiven
Fußball wie die Männer. Aber in Wirklichkeit geht es um etwas anderes:
Fußball spielende Frauen untergraben die machtvolle Inszenierung der
Geschlechter in unserer Gesellschaft.
## Ich blieb stur
Sommer 1987. Jerg-Ratgeb-Realschule in Herrenberg, Baden-Württemberg. Ich
war 13, war der beste Fußballer an unserer Schule, war ein kleiner
frühpubertärer Macho. Es gab einen Disput zwischen mir und meiner
Klassenkameradin Sibylle. Ich hatte behauptet, dass Mädchen keinen Fußball
spielen können. Sibylle war erbost. Es entwickelte sich ein lautes
Wortgefecht. Die anderen Mädchen aus der Klasse kamen hinzu und meinten, so
wie Sibylle, dass ich da vollkommenen Quatsch erzählte. Ich blieb stur und
schlug eine Wette vor. Es waren sieben Mädchen. Ich sagte: „Nächsten
Mittwoch, genau in einer Woche, spielen wir um 14 Uhr auf dem kleinen Platz
unten im Pausenhof gegeneinander. Ich wette, dass ich 10:0 gegen euch
gewinne. Einsatz: Sieben D-Mark.“ Die Mädchen schlugen ein.
Im Verlauf der nächsten Woche sah ich, wie die Mädchen Tag für Tag nach
Schulschluss unten auf dem Platz trainierten. Herr Schuhschneider, unser
Klassenlehrer, dieser Schönling und Verräter, gab den Mädchen ein paar
Tipps. Aber Herr Schuhschneider konnte eigentlich auch nicht Fußball
spielen. Ich schaute ihnen beim Training zu: Sie konnten keinen Ball
annehmen, hatten keine Athletik, keinen harten Schuss. Ich war nicht
beeindruckt.
Unsere Wette hatte sich in der Schule herumgesprochen. Kurz vor Spielbeginn
hatten sich etwa 100 Zuschauerinnen auf dem kleinen Platz eingefunden. Die
meisten waren für die Mädchen, für die Underdogs. Nur ein paar Kumpels
hielten zu mir.
Das Spiel begann. Ich war wie eine Maschine, wie ein Panzer. Ich überrollte
sie mit meiner männlichen Wucht. Martina nahm den Ball ungeschickt an und
schon hämmerte ich den Ball zum 1:0 ins Tor. Sibylle wollte zu Jennifer
passen, ich hatte den Pass vorausgesehen und bum, 2:0. Ich war immer einen
Schritt schneller, war wendiger, robuster, ballsicherer. Die Mädchen kamen
nicht einmal über die Mittellinie. Nach 15 Minuten war der Spuk beendet.
Ich hatte 10:0 gewonnen. Die Zuschauer waren enttäuscht und ich war es
eigentlich auch.
Es war kein fairer Wettkampf. Keines der Mädchen spielte in einem
Fußballverein. Ich dagegen war mit dem Ball aufgewachsen. Seitdem ich vier
Jahre alt war, spielte ich mit meinem Vater im Garten Fußball. Anstatt
ihnen zu zeigen, wie man den Ball richtig annimmt, habe ich sie vernichtet.
Ich war der Junge, ich war der Mann, ich war aggressiv, wohingegen ein
Mädchen, jedenfalls in meinen Augen, weich, lieb, zärtlich und
verständnisvoll zu sein hatte.
## Ich war verwirrt
Das war natürlich dumm. Zum ersten Mal habe ich das allerdings erst viele
Jahre später, als ich meinen Onkel Reinhard 1993 nach dem Abitur in den USA
besuchte, verstanden. Onkel Reinhard besaß ein Fußballfachgeschäft in der
Innenstadt von Sacramento. Ich half ihm eine Woche lang im Laden und
verdiente mir ein paar Dollars für die Weiterreise hinzu. Nach drei Tagen
war ich verwirrt: Die meisten seiner Kunden waren Frauen, Mütter mit ihren
Töchtern, die sich die neuesten Fußballschuhe kauften. Onkel Reinhard
sagte: „Hier läuft es anders als in Deutschland, mein Lieber. In Amerika
ist der Fußball ein Frauensport. Die Männer hier“, fügte er noch lachend
hinzu, „rammen sich beim American Football mit ihren Helmen lieber die
Köpfe ein.“ Fußball, sagte Onkel Reinhard, sei für den amerikanischen Mann
ein Sport für Weicheier, Schwule und Mädchen.
Danach reiste ich drei Monate lang durch die USA. Und tatsächlich sah ich
in den Parks und auf den Fußballplätzen der amerikanischen Städte Mädchen
und Frauen einen angriffslustigen, athletischen, dominanten und
zweikampfstarken Fußball spielen. Meine fußballzentrierte europäische
Inszenierung der Männlichkeit wurde in ein paar Wochen zerstört und
zerschmettert. Der American Football war archaischer, wilder und
kämpferischer als mein Fußball und die hübschen Frauen hier spielten meinen
Fußball ebenso hart und männlich wie ich in Europa.
Meine USA-Reise hatte mich einiges gelehrt. Erstens wurde mir klar, dass
der männliche Fußball nur eine Erfindung, nur eine soziale Konstruktion von
Wirklichkeit ist. In den USA war der Fußball ja weiblich codiert. Zweitens
übten die angriffslustigen und selbstbewusst auftretenden Fußballerinnen
eine gewisse erotische Anziehungskraft auf mich aus. Ich fand sie
jedenfalls spannender als all diese piepsmäusigen unterwürfigen Mädchen mit
ihrem koketten Augenaufschlag, die sich allein über ihre Schönheit
definierten. Drittens ließ ich, allerdings erst im Verlauf der Jahre, im
Umkehrschluss weibliche Werte wie Sanftmut und Zärtlichkeit bei mir zu und
hatte dadurch viel besseren Sex. Kurzum: Die Entdeckung des Frauenfußballs
hatte mein vorheriges, rein Vagina-und schwanzzentriertes Sexualleben
erheblich bereichert.
Mein kleiner fünfjähriger Sohn spielt jetzt mit Mädchen und Jungs für die
Bambinos von Rot-Weiß Victoria Berlin. Eine Spielerin, sie heißt Malou, hat
ihm beim letzten Training mit einer ziemlich rüden Grätsche von den Beinen
geholt. Mein Sohn wusste nicht, ob er vor Wut weinen oder sie anschreien
sollte. Aber da kam auch schon Malou, sagte „Entschuldigung“, strich ihm
sanft über die Haare und half ihm beim Aufstehen. Dann spielten die zwei,
ganz so, als ob nichts geschehen sei, einfach weiter. Gut so.
23 Jul 2017
## AUTOREN
Alem Grabovac
## TAGS
Frauenfußball
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Frauen-Fußball-WM 2023
Sex
Geschlechter
Fußball
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