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# taz.de -- Vorwürfe vor Fecht-WM in Leipzig: Auf zum vorletzten Gefecht
> Vor der Fecht-WM gibt es Streit im Verband: Von sexueller Belästigung,
> unglaublichen Trainingsmethoden und überhöhten Gehältern ist die Rede.
Bild: Hauen und Stechen: Der deutsche Fechtsport steckt kurz vor der WM in eine…
Leipzig taz | An diesem Wochenende hat der Deutsche Fechter-Bund, der sich
DFB abkürzt, wenn alles gut geht, ein paar Tage lang keine Sorgen. Es wird
um Sport gehen, und es ist eine Weile her, dass es bei den deutschen
Fechtern in erster Linie um Sport ging. Die breitere Öffentlichkeit wird
während der Heim-WM in Leipzig über Medaillen sprechen statt über
Gerichtsverfahren, mutmaßliche Belästigung und anwaltliche Schreiben
zwischen Sportlern, einem enttäuschten Startrainer und dem Verband. Man
wird, wenn alles gut geht, sagen, dass diese Heim-WM aus der sportlichen
Krise hilft oder zumindest ein Schritt auf dem Weg dorthin ist. Dann wäre
Sven Ressel erleichtert.
Der Sportdirektor des DFB spricht dieser Tage viel von „Neustart“.
Kürzlich, als bei der EM in Tiflis die deutschen Fechter drei Medaillen
holten – Gold gab es für Säbelfechter Max Hartung, Silber für
Degenfechterin Alexandra Ndolo, und Bronze ging an die Florettdamen im
Mannschaftswettbewerb –, war das eine gute Schlagzeile, ein „tolles
Ergebnis“, so sagt es Ressel. Die Heim-WM wird die nächste Gelegenheit,
herauszufinden, ob die deutschen Fechter wirklich auf einem guten Weg aus
der sportlichen Krise sind. Und alle Beteiligten bemühten sich vorher
demonstrativ, über den Rest, das unschöne Drumherum also, zu schweigen.
Vergessen sein wird es kaum.
Anne Sauer stand im letzten halben Jahr mit im Zentrum des Sturms, und sie
hat es dort ausgehalten. Die Florettfechterin und aktuelle deutsche
Einzelmeisterin trainiert am Stützpunkt Tauberbischofsheim: Die Kleinstadt
war lange Zeit vor allem dafür bekannt, mehr Medaillen zu produzieren als
die meisten Ortschaften dieser Erde. Aber die deutschen Kämpfer sind in den
letzten Jahren im internationalen Gefecht zurückgefallen, die Medaillen
wurden weniger, sie sind froh, überhaupt wieder welche holen zu können. Und
anstelle der Medaillen kamen in Tauberbischofsheim die Krisen und Kämpfe,
vor allem um den entlassenen Trainer Andrea Magro.
## Die Magro-Geschichte
Anne Sauer ist deshalb eine gefragte Gesprächspartnerin geworden. Vor der
WM schweigt sie zur Magro-Geschichte, kein Kommentar. Auch nicht zu dem
Streit, der daraufhin zwischen den Fechterinnen und dem Verband entstand.
Man versucht, vor der Heim-WM einig zu sein. Oder zumindest nicht laut zu
streiten.
Im Februar hatte der FC Tauberbischofsheim völlig überraschend Andrea
Magro, dem Bundestrainer der Florettdamen, gekündigt. Magro, den jeder
penetrant den Pep Guardiola des Fechtens nennt, weil irgendjemand mal
damit anfing, teilt mit Guardiola nicht nur die Glatze, sondern auch den
heilandähnlichen Ruf; der Italiener galt als Genie, sollte das deutsche
Fechten aus der Krise holen und zurück an die Weltspitze führen. Dem DFB
und dem FC Tauberbischofsheim waren seine Dienste ein Gehalt von angeblich
13.000 Euro im Monat wert. Die Sportlerinnen schätzten seine Arbeit.
Deutschland, so der Konsens, war nach den großen Erfolgen alter Tage zu
lange in der Vergangenheit hängen geblieben. „Das Fechten hat sich
allgemein verändert“, sagt Anne Sauer. „In den letzten Jahren hat
Deutschland kurz den Moment verpasst, sich weiterzuentwickeln. Es wird mehr
auf Athletik geachtet, und Deutschland hat ein Stück weit den Umschwung
verpasst.“
Kritikpunkte von Trainern und Sportlern am System in der Bundesrepublik
gibt es viele: Zu verkrustet und föderalistisch seien die Strukturen im
deutschen Fechten, zu wenig professionell die Bedingungen für die Athleten
im Vergleich zur internationalen Konkurrenz, zu alt sei die
Trainergeneration, von zu geringer Qualität das Training. Fechtnationen wie
Frankreich und Russland etwa haben das Training längst zentralisiert. Sauer
weist darauf hin, dass das nicht überall so ist. „Ich denke, es gehen beide
Wege. Aber man muss sich damit beschäftigen.“
## Das Skandal-Video
In Rio 2016 gab es für die deutschen Fechter zum ersten Mal seit 36 Jahren
keine Medaille. Medaillen, das ist die Währung, die zählt. Eine neue
Generation aufbauen, neue Trainer ausbilden, für diese nötigen Maßnahmen
bekam das Fechten keine Zeit. Ohne Medaillen gibt es kein Geld, ohne Geld
keinen Neuanfang. Die Förderung für den Stützpunkt Tauberbischofsheim wird
mit der Spitzensportreform um 20 Prozent zurückgefahren werden.
Andrea Magro also war der Mann, der die deutschen Florett-Damen schnell zu
Medaillen führen sollte. Doch ein halbes Jahr vor der Heim-WM wird Magro
gekündigt. Die offizielle Begründung: Man könne sich das Gehalt nicht mehr
leisten. Das wirkte etwas seltsam, zumal mitten in der Saison, ohne jeden
sportlichen Anlass und obwohl lange klar war, wie teuer Magro werden würde.
[1][Dem SWR wird kurz darauf ein Video zugespielt]: Darin muss eine
Fechterin beim Training mit Magro bei jedem Konzentrationsfehler ein
Schmuckstück oder ein Kleidungsstück ablegen. Am Ende steht sie in Sport-BH
und langer Sporthose da.
DFB-Sportdirektor Sven Ressel kommentierte, die Entlassung Magros habe
nichts mit dem Video zu tun, aber ganz davon abkoppeln könne man so etwas
natürlich nicht. Der Verband sei „extrem geschockt“ gewesen, Magro musste
sich entschuldigen. Die Tauberbischofsheimer Fechterinnen verteidigen
Magro: Die Übung sei eine einmalige Angelegenheit gewesen, sagte Anne Sauer
damals. Sie und ihre Teamkameradinnen wollten unbedingt mit Magro
weiterarbeiten, schrieben Briefe an die Vereinsführung und den Verband.
## Magro wehrt sich
„Wir erhalten so gut wie keine Informationen. Wir fühlen uns im Regen
stehen gelassen“, sagte Sauer, die auch Teamsprecherin ist, nach Magros
Entlassung gegenüber dem SWR. Als Verband und Verein auf die Proteste nicht
reagierten, schrieben die Fechterinnen an den DOSB: „Wir fühlen uns vom
eigenen Verband hingehalten und vom eigenen Verein verkauft.“ Darauf wurde
den Athletinnen vom DFB mit einer „strafbewehrten Unterlassungserklärung
sowie Schadenersatz“ gedroht. Unterdessen wehrte sich Andrea Magro gegen
seine Entlassung; am Donnerstag wies das Arbeitsgericht Heilbronn seine
Klage ab.
So weit die Ausgangslage vor der WM: An einen Neuanfang zu glauben fällt
schwer, wenn das Vertrauen zwischen Sportlerinnen und Verband so
offensichtlich zerrüttet ist. Und zwei Monate nach Magros Entlassung kommt
es in Tauberbischofsheim zu einem wesentlich tiefgreifenderen Skandal: Ein
Trainer soll mehrere Fechterinnen sexuell belästigt haben. Der Mann wird
entlassen. Er wehrt sich. Auch diese Angelegenheit wird noch vor Gericht
verhandelt. Dass es da schwerfällt, sich auf Sport zu konzentrieren, ist
offensichtlich. Es soll trotzdem gehen.
„Wir haben bei der EM gezeigt, dass wir in der Mannschaft und im Einzel
stark genug sind, um wieder in der Weltspitze mitzuhalten“, sagt Anne
Sauer. „Die EM war sehr wichtig, um unseren Standort zu bestimmen.“ Tiflis
statt Tauberbischofsheim, Medaillen statt Gerichtsverhandlungen.
Sportdirektor Sven Ressel hat keine Medaillenvorgabe gemacht: 8 der 24
Deutschen sind WM-Debütanten, der Druck soll niedrig gehalten werden. Sie
sollen vor allem Erfahrungen sammeln, so der offizielle Duktus. Die
Sportler selbst wirken selbstbewusster. Max Hartung, der sich einen Platz
an der Weltspitze erobert hat, hofft auf Gold; Anne Sauer hat sich im
Mannschaftswettbewerb eine Medaille vorgenommen, im Einzel sollen es
mindestens die Top 16 werden.
Sie glaubt daran, dass es für die Fechter wieder aufwärtsgeht. „Ich denke,
wir sind schon länger wieder auf einem guten Weg“, sagt sie. Und: „Seit wir
Andrea Magro als Trainer hatten, hat sich viel verbessert. In der Richtung
muss man weitermachen.“ Nur nicht mehr mit Magro. Nach der WM wird es
noch einiges zu klären geben: Nach den Anschuldigungen wegen sexueller
Belästigung wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt, die so schnell
wie möglich Ergebnisse liefern soll. Eine prominente deutsche Fechterin
soll als Hauptbelastungszeugin gegen den beschuldigten Trainer aussagen.
Nach der Entlassung Magros steht eine Versöhnung von Sportlerinnen und
Verband noch aus. Ein paar Medaillen werden die Probleme nicht lösen. Aber
erst mal herrscht produktive Ruhe.
21 Jul 2017
## LINKS
[1] https://www.swr.de/sport/skandal-video-tauberbischofsheim-der-aufstand-der-…
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
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