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# taz.de -- Passauer Scharfrichterhaus: Niedergang des Kabaretts
> Für die Stadt war es Schocktherapie, die Kleinkunstszene hat es
> wachgerüttelt. Aber was ist, wenn man spürt, dass man Geschichte geworden
> ist?
Bild: Das Scharfrichterhaus in der Passauer Milchgasse
Die Stiefel reichen ihm bis zur Hüfte, auf dem Kopf trägt er einen
Dreispitz; es ist früher Nachmittag, als Matthias Koopmann in barockem
Gewand den Arkadeninnenhof des Scharfrichterhauses betritt. Im Schlepptau:
17 Touristen.
Im Mittelalter war das Haus in der Passauer Milchgasse mal ein Gefängnis,
auch ein Scharfrichter soll hier, wenige Meter vom Donauufer entfernt,
gewohnt haben. Die Geschichte, die der Stadtführer seiner Gruppe vorträgt,
spielt aber viel später – 1977. In dem Jahr, in dem das Scharfrichterhaus
zur Kultstätte wurde.
Koopmann flüstert, dann spricht er wieder ganz laut, er packt einen Zuhörer
beim Arm. Eine CSU-Hochburg sei die Stadt damals gewesen, erzählt er. „Und
unsere einzige geliebte Tageszeitung, die Passauer Neue Presse, hätte man
die damals ausgewrungen, hätte sie nicht nur vor Druckerschwärze schwarz
getrieft.“ Ihr Verleger sei ein Duzfreund von Franz Josef Strauß gewesen,
die Kirche erzkonservativ. „Spießbürgerlich. Bigott. Doppelmoral.
Heuchelei“, ruft Koopmann. „Da muss man doch mal kritisieren, vielleicht
auch provozieren, um den Laden kräftig aufzurütteln.“ Er nennt zwei, die
das dann auch getan haben. Nur die Vornamen: „Bruno …“ Der Chor der
Touristen ergänzt: „Jonas.“ Und: „Sigi …“ Der Chor: „Zimmerschied.…
Bruno Jonas und Sigi Zimmerschied. Im Scharfrichterhaus führen sie 1977 die
„Himmelskonferenz“ auf, mit allerhand himmlischem Personal – Gott, Jesus,
Petrus, und so weiter. Grund der Krisensitzung: Maria ist zum zweiten Mal
schwanger, Petrus hat ihr die Pille verweigert. Sie will wieder auf
Jungfrauengeburt machen. Gottvater schimpft: „Na, nix da, den Schmarrn
glauben s’ uns a zweit’s Moi nimma.“
Die Heftigkeit der Reaktion überrascht selbst die jungen Kabarettisten.
Eigentlich geht es ihnen um das Thema Abtreibung, doch die Stadt wittert
Blasphemie. Die Passauer Dreifaltigkeit aus Kirche, CSU und Passauer Neue
Presse (PNP) ist ins Mark getroffen. Schon zum zweiten Auftritt, zunächst
noch in einem Wirtshaus, kommt die Polizei in Mannschaftsstärke und mit
Hundestaffel. Es hagelt Anzeigen gegen die Gotteslästerer. Und Erwin Janik,
Marienverehrer und Chefredakteur der PNP, verhängt einen Boykott: Das
Lokalblatt berichtet nicht mehr über die neue Bühne. Bald spricht die ganze
Republik über das Scharfrichterhaus. Nur Passau nicht.
Zurück in der Gegenwart: Ein Mann kommt aus der Tür, einen Kasten Bier in
den Händen. Walter Landshuter. „Ich bin hier Hausmeister und Denkmal“, sagt
er. Gemeinsam mit seinem Schulfreund Edgar Liegl hat er das Haus vor 40
Jahren gegründet. „Man wird Geschichte“, sagt er, als der Stadtführer mit
seinem Gefolge weitergezogen ist. Landshuter, Jahrgang 1945, arbeitet in
den Siebzigern beim Hemdenmacher Eterna, sein Freund Liegl in einem
Autohaus. Sie sind erfolgreich, merken aber: Das kann nicht alles sein.
„Mich mein ganzes Leben lang über die Farbe von Knöpfen zu unterhalten, war
mir zu wenig.“ Sie fahren nach München, um Rudi Dutschke zu hören. Oder zu
einem Habermas-Vortrag. „Ich habe kein Wort verstanden, aber ich war
begeistert.“
Dann sehen sie die „Himmelskonferenz“. Sie schmeißen ihre Jobs hin, gründ…
das Scharfrichterhaus, engagieren Jonas und Zimmerschied. Liegl macht das
Programm, Landshuter das Tagesgeschäft. Neben Kabarett und Bier gibt es
auch Kino und Jazz. Es sind ereignisreiche Jahre. Helmut Qualtinger, Dieter
Hildebrandt, Jörg Hube, Lisa Fitz, Hanns-Dieter Hüsch, sogar Chet Baker:
Sie alle treten hier auf. Während draußen in der Stadt die DVU
aufmarschiert, Strauß am Aschermittwoch in der Nibelungenhalle seine
Anhänger zum Grölen bringt und die 20-jährige Anna Rosmus Morddrohungen
erhält, weil sie sich für einen Aufsatzwettbewerb mit Passaus
NS-Vergangenheit auseinandersetzt.
Das Scharfrichterhaus etabliert eine Gegenkultur in der Stadt. Gegen alle
Widerstände, trotz fehlender Förderung. „Wir haben diese Stadt aufgeweckt�…
sagt Landshuter. „Und wir haben gezeigt, dass Kabarett etwas verändern
kann.“ Das Klima in Passau wandelt sich, die Stadt wird offener. Und das
Scharfrichterhaus wird zur Brutstätte des bayerischen Kabaretts. Das
Scharfrichterbeil, das das Haus ab 1983 verleiht, gehört noch heute zu den
wichtigsten Kabarettpreisen. Die Achtziger werden zur Hochzeit des
Kabaretts, Bruno Jonas geht zum „Scheibenwischer“, in ganz Bayern erleben
die „Brettl“, die Kleinkunstbühnen, eine Renaissance.
## Niedergang des Kabarett
40 Jahre. Früher haben sie die Jubiläen noch groß gefeiert. Zum zehnten gab
es ein Buch, zum 25. haben sie die Nibelungenhalle mit 2.000 Gästen
gefüllt. Dieses Jahr haben sich Landshuter und Co. nur im kleinen Kreis
zugeprostet. Vielleicht waren sie einfach nur froh, dass es sie noch gibt.
Nach dem zerstörerischen Hochwasser von 2013 und nach dem Niedergang der
Passauer Dreifaltigkeit – mit dem auch der eigene Bedeutungsverlust
einherging.
Bruno Jonas und Edgar Liegl sieht man nur noch selten im Scharfrichterhaus.
Walter Landshuter ist noch immer dabei, die Geschäfte hat er mittlerweile
jedoch abgegeben. Unten im Kellergewölbe ist das Theater. Sigi Zimmerschied
sitzt in der zweiten Reihe des ansonsten leeren Zuschauerraums, schaut auf
die Bühne, sinniert. „Damals war Kabarett noch Unikat, kraftvoll,
ungezähmt“, sagt er. Zur Anfangszeit des Scharfrichterhauses sei von hier
tatsächlich noch eine Initialzündung ausgegangen.
„Da hat man sich erst wieder ans Kabarett erinnert: Ach so, so was gibt’s
ja auch noch.“ Zimmerschied ist noch immer das Aushängeschild des Hauses.
Gerade ist er mit seinem neuen Programm hier: „Der 7. Tag – Ein
Erschöpfungsbericht“. In anderthalb Stunden ist sein Auftritt. Zimmerschied
trägt eine kurze schwarze Hose und ein violettes T-Shirt. Das Baseballkäppi
hat er abgenommen. Sein Urteil über den Zustand des Kabaretts: vernichtend.
„Anfang der Neunziger haben die öffentlich-rechtlichen Medien begonnen,
sich des Kabaretts zu bemächtigen“, sagt er. „Die haben dann aus den
Redaktionsstuben die ganzen Quotenängste in das Genre hineingetragen.“ 18
Soloprogramme hat Zimmerschied schon auf die Bühne gebracht. Inzwischen ist
er auch Schauspieler und Romancier. Gestern stand der 63-Jährige mal wieder
vor der Kamera: „Tatort“.
## „Früher war es spannender“
Jede Kabarettsendung sehe heute gleich aus, schimpft Zimmerschied: ein
Frontmann, drei Gäste und ein Monitor. „Wir sind nicht weit weg von den
Siebzigern, wo es das Kabarett eigentlich nicht gegeben hat, weil eine
übermächtige Organisation es sich nicht hat entfalten lassen. Was damals
Kirche und CSU waren, sind heute die Fernsehsender.“
Sein Freund Walter Landshuter ist nachsichtiger. „Es gibt ja grandiose
Verbindungen von Kabarett und Comedy“, sagt er. „Dass das Kabarett tot ist,
hat man doch schon zu Hildebrandts Zeiten gesagt.“ Sicher: Anders ist es
schon als damals; nicht nur das Kabarett.
Passau 2017. Die Stadt hat jetzt 50.000 Einwohner, jeder vierte ist Student
an der 1978 eröffneten Uni. Bei der letzten Oberbürgermeisterwahl hat die
CSU-Kandidatin 18 Prozent bekommen, der Erzbischof ist ein ehemaliger
Moderator einer Morning-Show im Radio, und die PNP-Verlegerin ist
regelmäßiger Gast im Scharfrichterhaus.
„Früher war es spannender“, gesteht aber auch Landshuter. Die Umarmung der
Honoratioren wird immer fester. „Wenn der frühere CSU-Oberbürgermeister
hereinkommt und sagt: ,Das ist unser berühmtes Scharfrichterhaus’, dann
sehne ich mich schon zurück nach den Kampfzeiten, als noch jeder brave
Passauer einen weiten Bogen um dieses Haus gemacht hat.“
In einer früheren Version dieses Artikels war in einer Bildunterzeile von
Bruno Jonas die Rede. Das Bild zeigt jedoch Walter Landshuter. Wir haben
den Fehler korrigiert.
23 Jul 2017
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Bayern
Passau
Kabarett
Kabarett
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