# taz.de -- Die Wahrheit: Zum Verwechseln ehrlich | |
> Durchs Leben gegangen wird heutzutage mit der absoluten Deutungshoheit | |
> von Diktatoren. Dank Google und Navi erkennen wir nichts mehr. | |
Bild: Sehen die sonst so abgeklärten Finnen ein schillerndes Nordlicht wie in … | |
Neuerdings kommt das Verwechseln immer mehr in Mode. Im besten Falle ist | |
man selbst das Opfer einer Verwechslung, im schlechteren Falle verwechselt | |
man jemanden oder etwas. Neulich erst fuhr ein Busfahrer statt nach | |
Norddeich/Mole in Niedersachsen nach Norddeich in Schleswig-Holstein, also | |
über 300 Kilometer daneben. | |
Ich selbst musste vor zwei Wochen nach Kerpen und fuhr Richtung Heimatstadt | |
von Michael Schumacher. Den Weg kenne ich, eine Freundin lebt dort. | |
Allerdings stellte ich unterwegs fest, dass es ein zweites Kerpen gibt, zum | |
Glück gar nicht so weit entfernt, aber trotzdem! Ein kleines, schnuckeliges | |
Eifeldorf. Und das war mein Ziel, wie ich nun überrascht feststellte. Das | |
eine Kerpen lag genau auf dem Weg zum anderen. Also falsch, aber richtig. | |
So viel Glück hat man selten. | |
Neulich in Kassel, als ich Documenta und Caricatura besuchte, wurde ich auf | |
Ersterer innerhalb einer halben Stunde gleich zweimal verwechselt, was | |
eindeutig gegen die Documenta spricht. Dabei sagt man mir nach, ein | |
ziemliches Unikum zu sein, meint aber eher Unikat. Das mag an meiner Glatze | |
und dem ungünstigen Verhältnis von Körpergröße und Gewicht liegen. Wie es | |
Witzbolde gern formulieren: Ich bin nicht groß genug für das, was ich | |
wiege. | |
Jedenfalls sprach mich eine Dame an, ob ich denn ein gewisser Butzko sei? | |
Den kenne ich sogar persönlich und schätze ihn sehr. Wir sind | |
Berufskollegen. Er trägt auch Glatze, aber immer mit Kappe, ist größer und | |
schlanker. Nur wenige Minuten später hieß es, diesmal ein Herr: „Sie sind | |
Frenz, oder?“ Auch den kenne ich persönlich, ein enger Freund, wir wohnten | |
viele Jahre in einer WG, ein fröhlicher Lockenkopf, aber – ich hoffe, es | |
kostet mich nicht die Freundschaft – weit schwerer als ich! | |
Wie konnte ich für die anderen gehalten werden? Wieso passieren in der Welt | |
so viele Verwechslungen? Man hätte mich ja auch mit gewaltigen Unsympathen | |
oder irgendwelchen Drecksäcken verwechseln können und nicht mit Menschen, | |
mit denen ich sogar befreundet und verbrüdert bin. Oder bin ich mit denen | |
schon so weit befreundet, dass es mir geht wie Hund und Herrchen? Nähere | |
ich mich über die Freundschaft ihrer Physiognomie? | |
Ich habe eine Theorie: Schuld an allem sind das Navi und Google. „Ich weiß, | |
dass ich nichts weiß“, hieß es noch bei Cicero. Oder Sokrates. Die beiden | |
verwechsle ich immer. Nun heißt es: „Ich muss nichts wissen. Und merken | |
muss ich mir schon gar nichts und auch niemanden! Ich weiß, wo alles steht. | |
Ich habe Internet. Mein Abitur heißt Wikipedia.“ Plötzlich geht der Mensch | |
mit der absoluten Deutungshoheit von Diktatoren durchs Leben, verwechselt, | |
statt zu erkennen. | |
Das alles kommt davon, weil mit Navigationsgerät jeder Hirni das richtige | |
Kerpen vom falschen unterscheiden kann, aber ohne Navi kämen sie nicht mal | |
auf dem Nürburgring ans Ziel, dabei ist das ein Rundkurs! Um es mit Theodor | |
W. Adorno zu sagen: „Es gibt kein richtiges Fahren zum falschen!“ Außer | |
nach Kerpen in der Eifel. | |
19 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Bernd Gieseking | |
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