# taz.de -- Stefan Austs Biografie zu Konrad Heiden: „Wer erzählt hier eigen… | |
> Stefan Aust hat eine Biografie über den NS-Gegner und Hitler-Biografen | |
> Konrad Heiden geschrieben. Hat er bei ihm auch abgeschrieben? | |
Bild: Stefan Aust wollte einen Ehrbaren ehren, war dabei aber nicht ganz ehrenh… | |
Der Journalist und Autor Konrad Heiden (1901–1966) war in den dreißiger und | |
vierziger Jahren wohl einer der erfolgreichsten publizistischen Gegner des | |
Nationalsozialismus. Seine Bücher über die Geschichte des | |
Nationalsozialismus, über die Anfänge der NS-Diktatur, über Adolf Hitler | |
und über die Reichskristallnacht wurden mehrfach aufgelegt und in | |
zahlreiche Sprachen übersetzt. | |
Heiden, der zunächst in Frankfurt und später in München aufwuchs, | |
beobachtete den Aufstieg der NSDAP in München fast von Beginn an. Bereits | |
während des Studiums engagierte er sich für die junge Demokratie und | |
bekämpfte die republikfeindlichen Kräfte. Als Journalist für die | |
Frankfurter Zeitung setzte er den Kampf gewissermaßen mit der Feder fort. | |
1933 musste er aus Deutschland fliehen, doch er schrieb aus dem Exil heraus | |
gegen das Regime an, zunächst im Saargebiet, später dann in Paris. Bekannt | |
wurde er vor allem durch seine Mitte der dreißiger Jahre veröffentlichte | |
zweibändige Hitler-Biografie. Thomas Mann feierte Heidens Hitler-Buch als | |
„Dokument ersten Ranges“, Harry Graf Kessler sah es als „kluges und | |
aufschlussreiches Buch“. | |
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Heiden von den französischen | |
Behörden interniert, nach dem deutschen Überfall auf Frankreich aber | |
freigelassen. Ihm gelang dank der Hilfe seines Züricher Verlegers Emil | |
Oprecht und des International Rescue Committee die Flucht über Portugal in | |
die USA, wo er seine Arbeit gegen Hitler und die Nationalsozialisten | |
wiederaufnahm. Hier veröffentlichte er 1944 das englischsprachige Buch „Der | |
Fuehrer. Hitler’s Rise to Power“, das innerhalb kürzester Zeit zu einem | |
Bestseller wurde und Heiden in den USA schlagartig berühmt machte. | |
## Heiden-Biografie war überfällig | |
Diesen nach dem Krieg zu Unrecht schnell vergessenen Konrad Heiden wollte | |
Stefan Aust nun mit einer Biografie – eine TV-Dokumentation ist ebenfalls | |
angekündigt – ins Gedächtnis zurückholen. Einem großen Journalisten und | |
Publizisten, einem Aufklärer und brillanten Stilisten wollte Aust so ein | |
Denkmal setzen. | |
Eine Biografie Konrad Heidens war und ist in der Tat längst überfällig. | |
Allerdings ist die Quellenlage schwierig. Über weite Phasen seines Lebens | |
gibt es keine persönlichen Dokumente. Die Zeit von Heidens größten | |
Erfolgen, das Exil in den dreißiger und vierziger Jahren, ist praktisch | |
tabula rasa. | |
Das sind hohe Hürden für einen Biografen. Der Verfasser dieses Artikels, | |
der selbst eine Heiden-Biografie plant, war daher besonders gespannt auf | |
das Buch. Wie würde Aust diese Hürden nehmen? Hatte er womöglich bislang | |
unbekanntes Quellenmaterial entdeckt? | |
Aust hat sich entschieden, Leben und Aufstieg Hitlers parallel zum Leben | |
und Wirken Konrad Heidens und gewissermaßen aus dessen Sicht zu erzählen. | |
Diese Entscheidung löst die Quellenprobleme jedoch nicht, es bringt neue | |
Schwierigkeiten und einen grundlegenden Konstruktionsfehler. Das wäre | |
sicherlich zu kritisieren, die Schwachstellen dieser Konstruktion wären im | |
Detail aufzuzeigen. Wären – wenn nicht die eigentliche Problematik des | |
Buches ganz woanders läge. | |
## Aust verschleiert wahre Autorenschaft | |
Über bedeutende Teile geriet ihm sein Buch nicht zu einer informativen | |
Biografie, sondern lediglich zu einer Zitaten-Collage, vornehmlich mit | |
Auszügen aus Heidens Hitler-Biografie. Das alleine wäre sicherlich ein | |
Schwachpunkt, aber kein Skandal, sind Heidens Bücher doch immer noch eine | |
Lektüre wert. Was Aust seinen Lesern aber verschweigt, ist, dass er sich | |
Heidens Text sehr viel umfassender zu eigen macht, als es durch | |
Anführungszeichen ausgewiesen ist. Austs Buch ist voll von Heiden-Zitaten, | |
die als Text von Stefan Aust erscheinen, von wörtlichen Übernahmen, die | |
nicht kenntlich gemacht wurden – von Verschleierungen der wahren | |
Autorschaft. | |
Der einzige Unterschied ist mitunter das Tempus. Wo Heiden im Präsens | |
schrieb, hat Aust den Text ins Präteritum gesetzt. Schreibt Heiden in alter | |
Rechtschreibung, ändert Aust dies in die neue; hinzu kommen manchmal kleine | |
stilistische Eingriffe – das Semikolon aber, Heidens Marotte, blieb. Ein | |
paar Beispiele, deren Liste sich mühelos erweitern ließe, mögen dies | |
illustrieren: | |
O-Ton Konrad Heiden: | |
Adolf Hitler bekommt eine Chance. In einem „Bildungskurs“ – die Reichswehr | |
sucht durch das Mittel sogenannter Bildung die Soldaten gegen die Republik | |
aufzuhetzen – hält er eine heftige antisemitische Rede. Die Offiziere | |
finden Gefallen an dem jungen Mann. Er darf nun selber bei der Truppe | |
Vorträge halten. | |
(Konrad Heiden: „Adolf Hitler. Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit. | |
Eine Biographie“, Zürich 1936, S. 80) | |
Stefan Aust: | |
Und Adolf Hitler bekam seine Chance, von Anfang an. In einem Bildungskurs – | |
die Reichswehr suchte auf dem Wege sogenannter Bildung die Soldaten gegen | |
die Republik aufzuhetzen – hatte er eine antisemitische Rede gehalten. Die | |
Offiziere fanden Gefallen an dem jungen Mann, und so durfte er nun selbst | |
bei der Truppe Vorträge halten . | |
(Stefan Aust: „Hitlers erster Feind. Der Kampf des Konrad Heiden“, Reinbek | |
2016, S. 61) | |
Heiden: | |
Als er mit den dreien nicht weiterkam, kehrte Hitler in den Saal zurück und | |
hielt dort eine kurze, meisterhafte Rede. Er wendete, wie ein Zeuge sagt, | |
die Stimmung der anfangs feindseligen Versammlung „wie einen Handschuh um“. | |
(Heiden, S. 160) | |
Aust: | |
Als er mit den dreien nicht weiterkam, kehrte Hitler in den Saal zurück und | |
hielt dort eine „kurze, meisterhafte Rede“. Er wendete, wie ein Zeuge | |
sagte, die Stimmung der anfangs feindseligen Versammlung „wie einen | |
Handschuh um“. | |
(Aust, S. 114) | |
Heiden: | |
Aber inzwischen war außerhalb Bayerns etwas geschehen, wovor der ganze Spuk | |
aus dem Bürgerbräu zerstob. Es wurde nämlich bekannt, daß der | |
Reichspräsident Ebert dem General von Seeckt die ganze vollziehende Gewalt | |
im Reich übertragen hatte. Seeckt ließ in München telegraphisch wissen, daß | |
er den Putsch niederschlagen lassen werde. | |
(Heiden, S. 168) | |
Aust: | |
Inzwischen war außerhalb Bayerns etwas geschehen, wovor der ganze Spuk aus | |
dem Bürgerbräu zerstob. Es wurde nämlich bekannt, dass der Reichspräsident | |
Ebert dem General von Seeckt die ganze vollziehende Gewalt im Reich | |
übertragen hatte. Seeckt ließ in München telegraphisch wissen, dass er den | |
Putsch niederschlagen lassen werde. (Aust, S. 117) | |
## „Behutsame“ Aktualisierungen | |
Heidens Lesepublikum war näher an den Ereignissen und brauchte manche | |
Erklärung nicht, kannte das handelnde Personal. Das sieht heute anders aus. | |
Daher ergänzt Aust bisweilen kurze Einschübe (hier kursiv hervorgehoben), | |
die heute nicht mehr so bekannte Personen erläutern. Bei ihm heißt es zum | |
Beispiel: „Dann rief er Kahr, dem Münchner Reichswehrführer Generalleutnant | |
Lossow und dem Chef der bayerischen Landespolizei Oberst Hans Ritter von | |
Seißer, die in der Nähe saßen, in gebieterischem Tone zu, sie sollten ihm | |
folgen. Mit Hilfe einer SA-Eskorte brachte Hitler die drei Machthaber | |
Bayerns aus dem Saal.“ (Aust, S. 112) | |
Heiden konnte sich darauf verlassen, dass die Genannten bekannt sind: „Dann | |
rief er Kahr sowie Lossow und Seißer, die in der Nähe saßen, in | |
gebieterischem Tone zu, sie sollten ihm folgen. Unter einer SA-Eskorte | |
transportierte Hitler die drei Machthaber Bayerns aus dem Saal.“ (Heiden: | |
Hitler, S. 158.) | |
Mitunter unterzieht Aust Heidens Text einer „behutsamen“ begrifflichen | |
Aktualisierung, wenn aus „einem lockenden Geschäft für die internationalen | |
Geldgeber“ ein „attraktive[s] Geschäft für internationale Investoren“ w… | |
Warum diese und manch andere, ähnlich unspektakuläre Stelle aus Heidens | |
Buch wörtlich übernommen wird, bleibt ein Rätsel. Am Unvermögen Austs, | |
solche Vorgänge in anderen Worten zu schildern, kann es eigentlich nicht | |
liegen. Zeitdruck kann auch keine Rolle gespielt haben, wurde das | |
Erscheinungsdatum des ursprünglich für Juni 2015 groß angekündigten Buches | |
doch erst auf November 2015, dann auf September 2016 verschoben. Auch | |
Unachtsamkeit scheidet als Erklärung angesichts der Fülle solcher Stellen, | |
angesichts des Tempuswechsels und der systematischen orthographischen | |
Anpassung aus. | |
Unweigerlich stellt sich bei der Lektüre mit Uwe Johnson immer wieder die | |
Frage: „Wer erzählt hier eigentlich?“ Austs Kapitel über den Hitler-Putsch | |
zum Beispiel besteht zu rund zwei Dritteln aus direkt wiedergegebenen | |
Heiden-Zitaten, die als solche kenntlich gemacht sind. Aust selbst steuert | |
nur einen verschwindend kleinen Teil zu dem Kapitel bei. Annähernd ein | |
Viertel des Textes machen nämlich Heidens Worte aus, seine oft plastischen | |
Schilderungen und pointierten Zuspitzungen, die Aust allerdings als seine | |
eigenen erscheinen lässt. Jeden Hinweis auf die ursprüngliche, auf die | |
eigentliche Autorschaft sucht man vergeblich. Selbst Nachweise der | |
markierten Zitate gibt es nicht. Es sind keineswegs an wenigen Stellen | |
Anführungszeichen nur irrtümlich verrutscht. | |
## Autorenschaft bleibt oft unklar | |
Überprüft man im Kapitel über den Hitler-Putsch all jene Passagen, die | |
keine Anführungszeichen aufweisen oder nicht in indirekter Rede geschrieben | |
sind, stößt man fast immer auf ein nicht kenntlich gemachtes Heiden-Zitat, | |
das daher als Text von Aust erscheinen muss. Doch auch da, wo im | |
„Aust-Text“ indirekte Rede gebraucht wird, kann man sich der Autorschaft | |
nicht immer sicher sein. | |
Gegen Ende des Kapitels, auf Seite 122/123, heißt es über die Verlesung der | |
Anklage im Prozess: „In den letzten Abschnitten befasste sich die | |
Anklageschrift mit der besonderen Schuldfrage der einzelnen Angeklagten. | |
Adolf Hitler wird als die ‚Seele‘ des ganzen Unternehmens bezeichnet, denn | |
er habe den Plan zu dem Unternehmen entworfen, sich bei der Ausführung an | |
dessen Spitze gesetzt, den Sturz der Regierung im Reiche und in Bayern | |
erklärt, immer neue Ämter verteilt und für sich selbst die oberste Leitung | |
der Reichspolitik allein in Anspruch genommen.“ | |
Hier zitiert Aust nicht etwa indirekt aus der Anklageschrift. Vielmehr | |
handelt es sich um den O-Ton der Frankfurter Zeitung vom 26. Februar 1924 – | |
wie die Passagen aus Heidens Hitler-Buch mit geändertem Tempus und | |
angepasster Rechtschreibung. In anderen Kapiteln, in denen es um den | |
Aufstieg Hitlers geht, sieht es kaum anders, mitunter sogar noch schlimmer | |
aus. Das kurze Kapitel über Hitlers Landsberger Haftzeit zum Beispiel | |
besteht zu gut 40 Prozent aus solchen Passagen. | |
## Fasziniert von Heiden | |
Im Vorwort bereitet Aust Leserinnen und Leser darauf vor, dass sie im Buch | |
viel O-Ton Heiden geboten bekommen. Eine frühere Textfassung enthielt, wie | |
er erzählt, noch mehr: „Ich war oft so fasziniert von Heidens Texten, dass | |
sie in diesem Buch jeden Rahmen gesprengt hätten. Die wichtigsten und | |
eindrucksvollsten Passagen sind dennoch, in einigen Fällen auch über | |
mehrere Seiten, erhalten geblieben.“ (S. 13) Er habe kein Buch über Heiden, | |
sondern „mit Heiden“ schreiben wollen, sagte er kürzlich in einem | |
Interview. | |
Wo Heidens Worte jedoch enden und Austs beginnen, wird in mehreren Kapiteln | |
verschleiert. Dabei beklagte Aust vor wenigen Wochen in Hildesheim noch, | |
dass die Autoren in Deutschland „Heidens Schriften lieber geplündert als | |
zitiert“ hätten. Er selbst nutzt das Werk Konrad Heidens, dem ein Denkmal | |
gesetzt werden sollte, als Steinbruch. Und so erscheint auch das Ende von | |
Austs Vorwort in einem neuen Licht, wenn es heißt: „Das ist die Geschichte, | |
die ich erzählen möchte. Mit meinen Worten – vor allem aber mit denen | |
Konrad Heidens.“ Der Ernst-Dieter-Lueg-Preisträger erweist im Zeitalter | |
der Angriffe unter dem Banner der „Fake News“ mit dieser Methode dem | |
seriösen Journalismus einen Bärendienst. | |
27 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Markus Roth | |
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