# taz.de -- Karneval der Kulturen in Berlin: Der Karneval der anderen | |
> Gegen Rassismus ist der Karneval der Kulturen einst angetreten. | |
> Reproduziert das Massenevent mittlerweile selbst rassistische Strukturen? | |
Bild: Dieses Bild stammt vom Kinderkarneval und aus dem Jahr 2015. | |
Berlin taz | Ein Mann mit nacktem Oberkörper und tätowierten Armen streckt | |
angriffslustig die Zunge aus dem Mund, sein schwarzes Haar ist zu einem | |
Dutt gebunden. Dieses Foto von einem Auftritt der Sri Lanka Association | |
Berlin hat der Karneval der Kulturen als Plakat für seine diesjährige | |
Veranstaltung gewählt. | |
Den Namen zu dem Gesicht verrät das Programmheft nicht. Angesichts | |
zunehmender rassistischer Gewalt in den früher neunziger Jahren hatte sich | |
der Karneval der Kulturen 1996 gegründet – als „Reaktion auf den | |
zunehmenden Nationalismus und Rassismus in den 90er Jahren in Deutschland. | |
Ziel war, die Vielfalt der Stadt zu feiern und Räume für Minoritäten in der | |
Öffentlichkeit zu schaffen“, heißt es auf der Internetseite des Karnevals. | |
Bei der Pressekonferenz zu dem Großevent 2017 haben vor allem sechs weiße | |
Männer in mehrheitlich blauen Sakkos Raum. Zwischen den Herren, Sponsoren | |
zur Rechten, Politiker zur Linken, sitzt Nadja Mau. Mit zwei Jahren Pause | |
organisiert sie seit 2002 den Karneval. | |
Nach einer Tanzdarbietung der Karnevalsgruppe Grupo Chile nehmen die | |
Künstler*innen Platz – im Publikum. Das Wort ergreifen die Herren am | |
Podium. Eine Struktur, die Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen | |
in Deutschland am Karneval kritisiert: „Natürlich ist es angenehmer, eine | |
Salsagruppe auftreten zu lassen als AktivistInnen mit kritischen | |
Redebeiträgen. Die werden eher an den Rand gedrückt“, meint Della. Die | |
tatsächliche Vielfalt Berlins repräsentiere der Karneval dadurch eben | |
nicht. | |
## „Zusammenwachsen aller Stämme“ | |
Auf der Pressekonferenz lobt Oliver Schlink, Vertreter der | |
Gewerbesiedlungsgesellschaft Berlin (GSG), als Sponsor den Karneval in | |
kolonialem Jargon als „Zusammenwachsen aller Stämme“. Kai Uwe Peter von der | |
Sparkasse lässt es sich nicht nehmen, das Jubiläum seiner Bank zu erwähnen, | |
und überrascht dann mit der geschichtsverklärenden Beschreibung von „200 | |
Jahren Berlin als Stadt der Toleranz und des friedlichen Miteinanders“ – | |
„wenn denn gute Zeiten waren“. | |
Jetzt sei wieder so eine gute Zeit, glaubt Peter und lässt offen, ob er | |
sich damit auf das Gelingen des Karnevals bezieht oder einfach Ignoranz | |
gegenüber einem gesellschaftlichen Klima beweist, in dem Rassismus erneut | |
gut gedeiht. Er deutet auf Teilnehmer*innen im Publikum und fragt: „Wer | |
will nicht mit denen feiern und aufs Foto?“ | |
Einer derjenigen, mit denen Peter aufs Foto will, ist ein Berliner Student | |
aus dem westindischen Bundesstaat Gujarat. Er nehme dieses Jahr zum ersten | |
Mal am Karneval teil und freue sich auf das Wochenende, erklärt er auf | |
Englisch. Fragen zu seiner Gruppe kann er nicht beantworten. Dazu ruft er | |
eine blonde Frau heran. Jahrelang habe sie eine indische Gruppe beim | |
Karneval der Kulturen vermisst, erklärt die Deutsche, und dann mit einem | |
indischen Freund eine gegründet. „Wir müssen sie einfach in einen Rahmen | |
setzen, indem sie sich wie zu Hause fühlen, und sie dann dazu bringen, das | |
zu tun, was sie zu Hause machen“, beschreibt sie ihre Rolle, die eher an | |
Völkerschau als an Rassismuskritik denken lässt. | |
Um mehr als Feiern und Fotografieren geht es Fatma Adamu. Ihre Gruppe | |
gehört zu denen, deren Motivation, am Karneval teilzunehmen, politisch ist: | |
Mit dem Motto Ghana @ 60 wollen sie nicht nur die 60-jährige Unabhängigkeit | |
des Landes feiern, sondern auch den Freiheitskämpfer Kwame Nkrumah ehren. | |
Der Verfechter des Panafrikanismus sei eine zentrale Figur im Kampf um die | |
Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien gewesen und war erster | |
Präsident Ghanas nach der Unabhängigkeit. Auf dem Karneval sei für solche | |
inhaltlichen Sachen nur wenig Platz, bedauert Adamu, im Programmheft fände | |
man immerhin ein paar Zeilen dazu. Trotzdem: Sie liebe den Karneval und | |
stecke voller Motivation mitten in den Vorbereitungen. | |
Im Vorbereitungsstress ist auch Sonia de Oliveira. Ihre Sambagruppe | |
Amasonia feiert 2017 20-jähriges Karnevalsjubiläum. 600 Kostüme hat de | |
Oliveira mit der Zeit angesammelt. In den neuen Räumen des Karnevals in | |
Marzahn ist dafür Platz. Auf zwei weiträumigen Etagen kommen Übungs- und | |
Arbeitsräume, Lager und Werkstätten unter. In einem der Arbeitsräume | |
stapeln sich Kartons, aus denen paillettenbesetzte Stoffe quellen. Die | |
Sambakostüme nehmen fast den gesamten Raum ein. | |
## Nie nach Marzahn | |
Ein Raum, in den Sonia nie ziehen wollte. Ursprünglich war das | |
Karnevalsbüro in Kreuzberg. Nachdem die Räume gekündigt wurden, wich der | |
Karneval im März 2016 nach Marzahn aus. Sonia und andere Teilnehmer*innen | |
protestierten aus Angst vor rassistischen Übergriffen, doch der | |
Immobilienmarkt ließ keine andere Option zu, entschuldigt Ruth | |
Hundtsdorfer, Mitorganisatorin des Karnevals. Der Stadtteil ist Schwerpunkt | |
rechter Aktivitäten. 58 rechtsextreme Übergriffe dokumentiert das Berliner | |
Register für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf allein in den fünf Monaten seit | |
Jahresbeginn. Nachdem Sonia ihre Kostüme eine Zeit lang in einem Container | |
gelagert hatte, überwand sie sich trotz rassistischer Erfahrungen in | |
Berliner S-Bahnen zum Umzug nach Marzahn. Unter Einhaltung von Regeln: In | |
die S-Bahn steigt sie nie allein und nicht nach 23 Uhr. | |
Ihre Teilnahme stand bis vor vier Wochen noch auf der Kippe, sagt sie: aus | |
finanziellen Gründen. Einen Großteil der Kosten berappen die Gruppen immer | |
noch selbst. Die aufwändigen Sambakostüme sind teuer, Sponsoren aber knapp. | |
Sonia kritisiert, dass viele Gruppen ausgebeutet würden, und meint: „Wir | |
sind nur während des Karnevals interessant.“ | |
Am Ende der Pressekonferenz bekommt Peter sein Foto. Die Vertreter*innen | |
der Karnevalsgruppen werden ans Podium gebeten. Wofür, erklärt die | |
Anweisung dazu: „Und jetzt noch mal Stimmung, bitte!“ | |
1 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Anne Pollmann | |
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