# taz.de -- CSU ehrt linken Vater des Freistaats: Die Kurtchen-Frage | |
> Kehrtwende bei der CSU: Dem Revolutionär Kurt Eisner, der vor knapp 100 | |
> Jahren den Freistaat Bayern gründete, wird späte Anerkennung zuteil. | |
Bild: Die CSU huldigte bislang eher der Bavaria – dabei rief der Linke Kurt E… | |
MÜNCHEN taz | Über diese Auskunft der bayerischen Staatsregierung war | |
Markus Rinderspacher nicht wenig überrascht. Wie man es denn mit Kurt | |
Eisner halte, dem ersten bayerischen Ministerpräsidenten und Vater des | |
Freistaats, wollte der SPD-Fraktionschef in einer schriftlichen Anfrage | |
wissen. Wie bewerte man seine historische Rolle, wie stelle man sich | |
künftig das Gedenken an den Revolutionär vor? | |
Für die CSU-Regierung ist das eine heikle Frage, fast schon die | |
Gretchenfrage. Schließlich geht es um den ehrwürdigen Begriff des | |
Freistaates, besser bekannt unter der lateinischen Bezeichnung: Republik. | |
„Bayern ist ein Freistaat“, heißt es schon in der Landesverfassung. Nicht | |
irgendwo, nein, Artikel 1, Absatz 1. | |
Nun ist es ein historisch belegtes, in konservativen Kreisen aber gut | |
gehütetes Geheimnis, dass dieser Freistaat gar nicht der CSU zu verdanken | |
ist, jener „Partei, die das schöne Bayern erfunden hat“, wie es Herbert | |
Riehl-Heyse in einem Buchtitel formulierte. Denn die CSU wurde im Jahr 1945 | |
gegründet – der Freistaat aber schon 1918 ausgerufen. Ein chronologisches | |
Detail, über das sich in normalen Zeiten trefflich hinwegsehen lässt. Was | |
aber, wenn ein so runder Geburtstag wie der hundertste ansteht? | |
Dann gibt es auch mal Überraschungen. „Außerordentlich positiv“, so | |
antwortete nun das Kultusministerium, bewerte man die Rolle Eisners. Sei es | |
mit Blick auf das Ende von Weltkrieg und Monarchie, die Einführung der | |
Demokratie oder auch eine neue Friedensordnung in Europa. An seine | |
„herausragende historische Leistung“ werde man bei einem Staatsakt am 8. | |
November 2018 und im neuen Museum für Bayerische Geschichte in Regensburg | |
erinnern. | |
## Berliner, Intellektueller und Linker | |
Das ist neu. „Bisher hat Eisner der CSU ja fast schon als Feindbild | |
gedient“, sagt Rinderspacher. Tatsächlich vereinte Eisner in seiner Person | |
nicht gerade die Eigenschaften, derer es bedarf, damit einem christsoziale | |
Herzen zufliegen. Er war Berliner, Intellektueller – und Linker. | |
1867 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren, trat Eisner 1898 | |
in die SPD ein, war Chefredakteur des Vorwärts, später der Fränkischen | |
Tagespost. 1910 verschlug es ihn nach München. Anfangs unterstützte er noch | |
die Kriegskredite, dann aber wurde er zum radikalen Pazifisten. Als sich | |
dann der Anti-Kriegs-Flügel der SPD als USPD abspaltete, folgte auch | |
Eisner. Im Januar 1918 initiierte er in München einen | |
Munitionsarbeiterstreik und kam für neun Monate ins Gefängnis. | |
Kaum entlassen, wurde Eisner zum Kopf der Revolution in Bayern. Es war der | |
7. November 1918, als sich Arbeiter, Soldaten und Frauen auf der | |
Theresienwiese zur Friedensdemo versammelten. Eisner führte den Zug an, es | |
ging von Kaserne zu Kaserne, im Mathäserbräu kam es zur Proklamation, die | |
tags darauf auch in den Münchner Neuesten Nachrichten nachzulesen war: | |
„Bayern ist fortan ein Freistaat.“ König Ludwig III. floh noch in der | |
Nacht. | |
Eisner wurde erster Ministerpräsident, die Landtagswahl für den Januar | |
angesetzt. Bei dieser kam die USPD auf gerade einmal 2,53 Prozent der | |
Stimmen. Als sich Eisner am 21. Februar mit seiner Rücktrittsrede in der | |
Tasche auf den Weg in den Landtag machte, wurde er von dem 22-jährigen | |
antisemitischen Nationalisten Anton Graf von Arco auf Valley erschossen. | |
## Von Antisemiten erschossen | |
Nur rund drei Monate regierte Eisner seinen Freistaat, umso beachtlicher | |
ist es, was er in dieser Zeit auf den Weg brachte: das Frauenwahlrecht, den | |
Acht-Stunden-Tag oder die Abschaffung der kirchlichen Schulaufsicht. „Die | |
100 Tage der Regierung Eisners haben mehr Belebung der Geister gebracht als | |
die 50 Jahre vorher“, sagte Heinrich Mann auf der Trauerfeier. | |
Trotzdem tat man sich noch in den Achtzigern schwer mit dem Gedenken an | |
Eisner. 1969 stieß die Benennung einer kleinen Straße in der | |
Hochhaus-Siedlung Neuperlach nach Eisner auf den Widerstand der CSU, 20 | |
Jahre später folgte eine Debatte um ein Denkmal am Ort des Mordes. Man | |
einigte sich auf ein unauffälliges, in den Gehsteig eingelassenes | |
Bodendenkmal. Und als 1993 Renate Schmidt zu einem Festakt zum 75-jährigen | |
Bestehen des Freistaats in die Residenz einlud, schickte ihr CSU-Chef Theo | |
Waigel eine Absage. Die SPD-Chefin werde verstehen, dass „ich die | |
Geburtsstunde des demokratisch verfassten Bayern nicht mit der Ausrufung | |
der Räterepublik durch Kurt Eisner in Verbindung zu bringen vermag“. | |
Waigels eigenwillige Geschichtsdeutung – die Münchner Räterepublik wurde | |
erst Wochen nach Eisners Ermordung ausgerufen – macht zumindest eines | |
deutlich: Für das Museum der Bayerischen Geschichte besteht Bedarf. | |
30 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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