| # taz.de -- Frankreichs neuer Premierminister: Der Kumpel von rechts | |
| > Einst war er links, später wurde er zum Berater von Alain Juppé. Édouard | |
| > Philippe ist in der „Transgression“ angekommen. | |
| Bild: Sein Großvater sei der erste Kommunist von Le Havre gewesen, so Philippe | |
| PARIS libé | Im März 2014 wurde Édouard Philippe, angetreten für die | |
| Rechte, mit großer Mehrheit zum Bürgermeister der eher linken Arbeiterstadt | |
| Le Havre gewählt. Noch bei den Präsidentschaftswahlen zwei Jahre zuvor | |
| hatte der Sozialist François Hollande dort weit vor dem Konservativen | |
| Nicolas Sarkozy gelegen. „Dieses Ergebnis ist ein Sieg über das | |
| Lagerdenken“, erklärte Philippe am Wahlabend. Die Führung seiner Partei UMP | |
| legte eine andere Lesart vor: Dieser lokale Sieg sei eine „historische“ | |
| Revanche der Rechten und ihrer Werte. | |
| Der Kontrast zwischen diesen Reaktionen zeigt die Einzigartigkeit des neuen | |
| französischen Premierministers: Ebenso wie sein Mentor Alain Juppé | |
| misstraut er politischen Lagern. Für Emmanuel Macron war er die | |
| bestmögliche Wahl. | |
| Der neue Staatschef, 39, und sein Premierminister, 47, sind nicht eng | |
| befreundet. Sie trafen sich 2011 bei einem Essen. Macron war damals Bankier | |
| bei Rothschild, Philippe plante, das Bürgermeisteramt in Le Havre zu | |
| erobern. | |
| ## Fließig und krawallig | |
| Sportlich und drahtig, bärtig und elegant, die Hände in den Hosentaschen, | |
| so erzeugt Philippe den Eindruck einer Lässigkeit, die er mit dem ernsten | |
| Gesichtsausdruck nicht wirklich zu korrigieren vermag. Er reißt oft Witze | |
| und wirkt dabei wie der Jugendliche von früher: fleißig und krawallig | |
| zugleich. | |
| Philippe achtet auf sich, unterzieht sich mehrmals in der Woche mit einem | |
| Trainer intensiven Box-Sessions, die ihm „wahnsinnig guttun“, wie er sagt. | |
| Manchmal erzählt Philippe auch Geschichten. 2011 schrieb er einen Krimi, | |
| „Dans L’Ombre“ (Im Schatten) über eine Präsidentschaftswahl voller | |
| Intrigen. Am Schluss entdeckt der Erzähler, dass der designierte | |
| Premierminister in Verbrechen verwickelt ist. Aber alles geht gut aus. In | |
| letzter Sekunde enttarnt, zieht der Böse nicht in Matignon ein, dem Pariser | |
| Sitz des Premierministers. | |
| Der Dokumentarfilmer Laurent Cibien hat versucht, die politischen Abenteuer | |
| seines ehemaligen Schulkameraden Philippe zu filmen. „Mon pote de droite“ | |
| (Mein Kumpel von rechts) heißt der Film. Der erste Teil, der von den | |
| Kommunalwahlen 2014 handelt, wurde letztes Jahr ausgestrahlt. Man sieht da | |
| einen professionellen und geselligen Kandidaten, der einen ironischen Blick | |
| auf die Komödie der Machteroberung wirft. Zwischen zwei Wahlkampftreffen | |
| überrascht man ihn in seinem Bürgermeisterbüro in einem seltenen Augenblick | |
| der Entspannung. Als großer Rock- und Blues-Fan zieht er sich Muddy Waters | |
| rein, dreht die Lautstärke auf und improvisiert furios auf dem Schreibtisch | |
| mit den Fingern das Schlagzeug. | |
| ## Ungebrochene Treue zu Juppé | |
| Philippes erster Kontakt mit der nationalen Politik geht auf 2002 zurück, | |
| als der damalige UMP-Präsident Alain Juppé ihn zu seinem Hauptberater | |
| machte. Auf diesem Posten fand er sich an vorderster Front angesichts der | |
| Schachzüge des Ministers Sarkozy, der entschlossen war, sich mit allen | |
| Mitteln 2007 bei der Präsidentschaftswahl durchzusetzen. Es war hart. Der | |
| junge Philippe, damals noch kein Boxer, war von Handgreiflichkeiten nicht | |
| weit entfernt. Seine Treue zu Juppé blieb unverbrüchlich. | |
| Im Parlament hat er sich nicht nur Freunde gemacht. Manche Abgeordnete | |
| finden ihn hochnäsig. Sie liegen nicht ganz falsch, denn er gibt sich | |
| keinerlei Mühe, die Sympathien derer zu gewinnen, die er für unter Niveau | |
| hält. Philippe ist ein Einzelgänger. Anders als der neue | |
| Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, ebenfalls ein Abweichler von Sarkozys | |
| Partei, hat er sich nie darum gekümmert, ein Netzwerk von Getreuen zu | |
| pflegen. Er hatte nur ein Ziel: Juppé zum Sieg zu verhelfen. Le Maire | |
| hingegen zielte viel höher: er wolle „Erneuerung“ verkörpern und damit | |
| Präsident werden. Seine Diagnose war richtig. Frankreich brauchte | |
| tatsächlich ein neues Gesicht. Aber nicht seins. | |
| Für Emmanuel Macron hat Philippe die beiden Eigenschaften, die nötig sind, | |
| damit er „Premierminister der Rechten“ werden konnte, dessen Ernennung das | |
| konservative Lager spaltet und die Neuformierung der politischen Landschaft | |
| herbeiführt. Die erste Eigenschaft: Der Bürgermeister von Le Havre ist, da | |
| vorher nie Minister, den Franzosen weitgehend unbekannt. So verkörpert er | |
| die von Präsident Macron versprochene Erneuerung. | |
| Aber insbesondere vertritt er die moderate Rechte, die die | |
| Rechts-links-Spaltung überwinden will. „Man muss vielleicht eines Tages | |
| daran denken, darauf hinzuwirken, dass vernünftige Menschen zusammen | |
| regieren und die beiden Extreme von rechts und links, die von der Welt | |
| nichts begriffen haben, beiseitelassen“, erklärte Juppé schon im Januar | |
| 2015. In einer Stadt gewählt, die mit 58 Prozent für Hollande gestimmt | |
| hatte, praktiziert Edouard Philippe zwangsläufig dieses Zusammengehen der | |
| „vernünftigen Menschen“. | |
| ## Von links nach moderat rechts | |
| Anders als die meisten Verantwortungsträger seiner politischen Familie | |
| entstammt Philippe nicht dem Großbürgertum. Stolz verweist er auf seinen | |
| Großvater, einen Hafenarbeiter, und auf einen Urgroßvater, der „einer der | |
| ersten Kommunisten von Le Havre“ gewesen sein soll. | |
| Philippes erstes politisches Engagement war links. Nachdem er in Bonn das | |
| Abitur machte – sein Vater war Oberstudienrat an der französischen Schule | |
| der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik – näherte er sich während | |
| seines Studiums an der Pariser Sciences Po, der berühmten Kaderschmiede der | |
| französischen politischen Elite, dem sozialliberalen Flügel der Sozialisten | |
| an. | |
| Im Dezember 2015 hatte Philippe kritisiert, dass die Sarkozyisten die | |
| Einheit von rechts und links gegen den Front National bei den | |
| Regionalwahlen ablehnten. „Am schlimmsten ist es, wenn sich links und | |
| rechts abwechseln, ohne etwas zu lösen“, erklärte er damals der Libération. | |
| „Es ist diese wiederkehrende Ohnmacht und Enttäuschung, die den FN | |
| aufsteigen lässt. Und es wird Erfolg sein, der ihn zurückdrängt.“ | |
| Nachdem Alain Juppé im November 2016 die Vorwahlen auf der Rechten gegen | |
| François Fillon verlor, schlug Libération Philippe eine Kolumne über den | |
| Präsidentschaftswahlkampf vor. Er nahm an, was zeigte, dass er nicht davor | |
| zurückscheute, mit einer klar als links, von manchen gar als linksextrem, | |
| identifizierten Zeitung zusammenzuarbeiten. In seiner letzten Kolumne, vier | |
| Tage vor Macrons Wahl, bekannte Philippe Farbe: Um die Widersprüche zu | |
| überwinden, die das Land lähmen, habe der neue Präsident keine andere Wahl | |
| als die „Transgression“, schrieb er; er müsse „sich von den alten Regeln | |
| lösen, um neue zu schaffen“. Im Nachhinein kann man sich gut vorstellen, | |
| dass dieser Libération-Kolumnist längst mit Macron im Gespräch war, als er | |
| dies schrieb. | |
| Übersetzung: Dominic Johnson | |
| 19 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Alain Auffray | |
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