# taz.de -- taz-Serie Der Zuckerberg | Teil 1: IT-Blümchen ist jetzt bei Faceb… | |
> Menschen ab Mitte 40 lassen ihr Leben bequem austrudeln. Doch Vorsicht! | |
> Wir werden älter. Und noch 50 Jahre bei Facebook können lang werden. | |
Bild: Draußen ist besser mit Internet | |
Neulich im Radio. Der Autor Jonathan Safran Foer gibt an, seinem Sohn das | |
Internet wie folgt zu erklären: „Das Internet ist ein relativ sicherer Ort | |
mit vielen gefährlichen Teilbereichen, also ungefähr so wie New York.“ | |
Demnach ist das Internet aber auch spannend, lebendig und ein Quell schier | |
unbegrenzter Möglichkeiten. Wenn das World Wide Web New York ist, dann ist | |
Facebook wahrscheinlich Braunschweig. Ein noch sicherer Ort, von ein paar | |
notorischen Nazis abgesehen, die hier weitgehend ungestört ihr | |
befremdliches Werk verrichten dürfen. Dafür nicht sehr aufregend: Einsamer | |
Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens ist der wöchentliche | |
Zehnsekundenfilm von Detlefs Eichhörnchen. | |
Um in dieser Städteanalogie zu bleiben – Facebook ist auch ein bisschen wie | |
Berlin: Es war mal hip und denkt, das wäre es immer noch, doch die | |
Verantwortlichen haben es ausgesaugt und kaputt gemacht. Nun ist es voller | |
komischer Menschen und überall liegt Scheiße. | |
Trotzdem ziehen die Leute weiter dorthin wie die Lemminge. Und neuerdings | |
ist sogar mein alter Kumpel Blümchen, der geistige Herr über das analoge | |
Atlantis, eine versunken geglaubte Welt aus Tintenfüllern, Wählscheiben und | |
Rauchzeichen, in dieses Facebook-Berlin gezogen. Der ultraorthodoxe | |
Archaiker beantwortet jede Spammail höflich und gewissenhaft. Ironisch | |
nennen wir ihn auch „IT-Blümchen“. Er ist der lebende Beweis dafür, dass | |
aus der ehemals jugendlichen Idee eines globalen sozialen Netzwerks ein | |
Tummelplatz für gelangweilte Best Ager geworden ist, die in ihren eigenen | |
Leben lebendig begraben sind. Die Jungen nehmen schreiend Reißaus vor einem | |
Medium, das zugleich nach seinem eigenen Tod riecht und doch omnipräsent | |
bleibt – darin verhält es sich nicht anders als die Pest im Mittelalter. | |
## Viele Freundinnen aus Ländern, die er nie bereiste | |
Meine Timeline ist nun von oben bis unten gefüllt mit Blümchens | |
Orientierungsfragen. „Was passiert, wenn ich auf den Button rechts oben | |
….?“, „Wo kann man hier …?“, „Ist es möglich, gleichzeitig …?“… | |
ein News Feed …?“ Viele helfen dem Neubewohner und antworten geduldig, weil | |
sie ihn kennen. Doch auch das ist nach wenigen Tagen vorbei, da hat er | |
nämlich bereits über tausend Friends. Darunter auch auffällig viele | |
attraktive Frauen um die zwanzig, aus fernen Ländern, die er nie bereiste. | |
Das ist schön. Die Chat-Verständigung wird schon klappen, ihre Sprache wird | |
die Liebe sein. | |
IT-Blümchen ist repräsentativ für die heute größte Gruppe der | |
Facebook-User: Leute, die mit realen Abenteuern und Herausforderungen | |
weitgehend durch sind, und ihre Leben ab Mitte 40, Anfang 50 einfach nur | |
bequem austrudeln lassen, wozu sich das fortwährende Herumhängen in einem | |
bunten Nichts bestens anbietet. Nicht berücksichtigt haben die, besser, | |
haben wir, dass die Lebenserwartung mittlerweile derart gestiegen ist, dass | |
wir tendenziell noch mal fast dasselbe an Lebenszeit übrig haben. Aber | |
wohin damit? Fünfzig weitere Jahre nur auf Facebook können verdammt lang | |
werden. Doch zum Glück gibt es ja auch noch Youtube. | |
23 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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