# taz.de -- Route der technischen Denkmäler Polens: Kneipenbesuch unter Tage | |
> Immer mehr ehemalige Zechen und Industriebauten in Oberschlesien werden | |
> zu Besucherzentren für Touristen umgebaut. | |
Bild: Das Schaubergwerk Guido im oberschlesischen Zabrze | |
Als wir in Katowice, der Hauptstadt der Woiwodschaft Schlesien, im noblen | |
Hotel Monopol ankamen, erfuhren wir, dass Rod Stewart gerade 56 Zimmer | |
gemietet hatte, weil er in einer Halle am Stadtrand ein Konzert geben | |
wollte. Der im ganzen Ostblock bekannte deutsche Sänger Thomas Anders | |
begnügte sich derweil mit zehn Zimmern. Vielen Bergarbeitern, deren Gruben | |
geschlossen wurden, bleibt in dieser Region hingegen wenig anderes, als | |
sich zu Tode zu amüsieren, was sie jedoch nicht lustig finden. | |
Auf unserer Rundfahrt durch Oberschlesien sahen wir, dass man nach und nach | |
ähnlich wie im Ruhrgebiet die stillgelegten Zechen zu Kultur- und | |
Tourismuszentren umwidmet, aber mit weniger Kapital und mehr proletarischem | |
Engagement. Bei der ersten „Wende“ wurden in Schlesien Ende des 19. | |
Jahrhunderts aus Gutsknechten und Kleinbauern Bergarbeiter, jetzt, Ende des | |
20. Jahrhunderts, wandeln diese sich zu Dienstleistern. | |
Im ehemaligen Silberbergwerk von Tarnowskie Gory (Tarnowitz) hat man einen | |
Schacht unter Wasser gesetzt, den die Besucher nun mit einem Boot befahren | |
können. Er wird „Stollen der Schwarzen Forelle“ genannt. In den niedrigen | |
Seitenstollen wurde mit lebensgroßen Puppen die Arbeit der Bergarbeiter | |
nachgestellt. Unser Fährmann und Führer war ein Bergarbeiter: Neben | |
Polnisch und Deutsch sprach er noch Schlesisch – eine im Bergbau darüber | |
hinaus mit mährischen Worten angereicherte Sprache, die für ihn so etwas | |
wie eine Geheimsprache geworden war nach 1945. Eine Umfrage ergab im Jahr | |
2011, dass noch eine Million Menschen Schlesisch sprachen. | |
In Zabrze, nahe Beuthen, das von 1915 bis 1945 Hindenburg O.S. hieß, hat | |
man die riesige Waschkaue der Bergarbeiter des Schaubergwerks „Guido“ | |
(benannt nach dessen ehemaligen Besitzer Guido Henckel von Donnersmarck) | |
einheimischen Künstlergruppen zur Nutzung überlassen. An den Wänden hängen | |
nun Hunderte ihrer Bilder. Unter Tage eröffnete man 2008 die ersten 1,4 | |
Kilometer der 320 Meter tiefen Sohle. | |
Im Bergwerk Ignacy (Hoym) des Rybniker Kohlereviers ließen wir uns die | |
gewaltige Schrämmaschine im Stollen vorführen, wie sie sich in den | |
Kohleflöz frisst – aber nur noch für zwei Minuten pro Besuchergruppe. In | |
einem anderen Stollen befindet sich ein großes Restaurant und eine Bar. Man | |
kann dort Hochzeitsfeiern buchen. Die Anreise geschieht noch mit dem alten | |
Aufzug; ein ehemaliger Bergarbeiter, nunmehr eine Art „Liftboy“, bedient | |
ihn auch. | |
## Wohnen im Museumsdorf | |
Auch einige Bergarbeitersiedlungen hat man quasi mit ihren Bewohnern | |
musealisiert, also unter Denkmalschutz gestellt: so die Arbeitersiedlung | |
Nikiszowiec (Nikischschacht) in Kattowice und die Wohnkolonie Ficinus in | |
Ruda Śląska Wirek (Antonienhütte). Über Erstere veröffentlichte die | |
Reporterin Małgorzata Szejnert gerade eine Chronik ihrer Bewohner von | |
Beginn 1908 an. Weil die Kommunisten es nicht ertragen konnten, dass die | |
deutschen Kapitalisten ihren Arbeitern solch eine moderne Siedlung bauten, | |
um sie zum Bleiben zu veranlassen, ließen sie die Hälfte der Häuser | |
abreißen und durch Plattenbauten ersetzen. | |
Während wir von einem Eventbergwerk und Industriemuseum zum nächsten | |
fuhren, bewegten wir uns auf der „Straße technischer Kulturdenkmäler in der | |
Woiwodschaft Schlesien“, die vom Museum für Streichholzherstellung und dem | |
Museum für Bahngeschichte in Częstochowa (Tschenstochau) bis Żywiec | |
(Saybusch), in den Beskiden nahe der slowakischen Grenze, reicht. Dort gibt | |
es ein Museum in einer Brauerei, die einst von den Habsburgern gegründet | |
wurde und heute dem holländischen Heineken-Konzern gehört. | |
## Sender Gleiwitz | |
Schließlich machten wir noch am musealisierten Sender Gleiwitz Halt. Seine | |
Sehenswürdigkeit kommt daher, dass die Deutschen 1939 eine kurze Besetzung | |
durch polnische „Freischärler“ fingierten, die als Vorwand für den Überf… | |
auf Polen diente – den Beginn des Zweiten Weltkriegs. In Gliwice | |
besichtigten wir auch noch das Kunstmuseum in der Fabrikantenvilla Caro. | |
Hier stieß ich auf einen Roman von Horst Bienek – auf Deutsch. Er hat | |
seiner Geburtsstadt Gleiwitz, die er 1945 mit 15 gezwungenermaßen verlassen | |
musste, in neun Büchern eine bleibende Erinnerung an die Jahre davor | |
hinterlassen. | |
Zu Bieneks Zeiten, er starb 1990, gab es zwar schon das „Zechensterben“, | |
aber die Opel-Fabrik noch nicht: die heute größte Industrieansiedlung in | |
der Sonderwirtschaftszone Gliwice. Im Jahr 2003 wurde auch der | |
Gebäudekomplex des ehemaligen Bergwerks Gleiwitzer Grube in das Projekt | |
Nowe Gliwice einbezogen. Es wurde in ein Bildungs- und Geschäftszentrum | |
umfunktioniert, in die sanierte Lohnhalle zog eine private Fachhochschule | |
für Betriebswirtschaft. | |
Im selben Jahr veranstaltete das Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit | |
in Gliwice eine Konferenz über den „Stadtpoeten von Gleiwitz“ Horst Bienek. | |
Neben der Veröffentlichung historischer Studien finden dort auch | |
„Schlesienseminare“ statt – zusammen mit dem Oppelner Verband der deutsch… | |
Minderheit in Polen. | |
29 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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