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# taz.de -- Urteil gegen Bonner Kofferbomber: Lebenslange Haft für Marco G.
> Im Prozess um die Bombe, die 2012 am Bonner Hauptbahnhof deponiert wurde,
> erhalten die Angeklagten eine lange Haftstrafe.
Bild: Polizisten untersuchten am 10.12.2012 im Bonner Hauptbahnhof die Reste de…
Düsseldorf taz/dpa | Mehr als 150 Mal hat Marco G. in den vergangenen
zweieinhalb Jahren hinter der Panzerglasscheibe im Hochsicherheitssaal des
Düsseldorfer Oberlandesgerichts gesessen. Am Montag hat ihn der fünfte
Strafsenat unter Vorsitz von Richter Frank Schreiber wegen versuchten
Mordes in einer Vielzahl von Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. Das
Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Eine
Entlassung nach 15 Jahren Haft ist damit ausgeschlossen.
Für die Mitangeklagten verhängte das Gericht Freiheitsstrafen zwischen
neuneinhalb und zwölf Jahren. Es sieht es als erwiesen an, dass Marco G. im
Dezember 2012 eine Bombe am Bonner Hauptbahnhof deponierte. Und dass die
vier Männer eine terroristische Vereinigung bildeten und planten, den
Vorsitzenden der rechtsextremen Splitterpartei „Pro NRW“ zu ermorden.
Die Bonner Bombe ist nicht explodiert. Ob sie dazu überhaupt in der Lage
war, war der große Streitpunkt in dem Prozess. Unstrittig war, dass Marco
G. am 10. Dezember 2012 gegen 13 Uhr eine blaue Reisetasche mit einer
selbst gebauten Rohrbombe darin unter einer Bank auf Gleis 1 des Bonner
Hauptbahnhofs abstellte. Der Zündwecker war auf 13 Uhr 30 gestellt.
Jugendliche wurden auf die Tasche aufmerksam, sahen den Wecker und die
Drähte darin und verständigten die Polizei. Der Bahnhof wurde geräumt,
wenige Minuten vor halb zwei zielte ein Beamter mit einem Wassergewehr auf
die Bombe und zerstörte sie so.
Anschließend stellten die Ermittler die zerfetzten Überreste sicher:
Drähte, Teile des Weckers, Nägel, Batterien und ein mit Ammoniumnitrat
gefülltes Metallrohr. Einen Zünder und Initialsprengstoff, der für das
Auslösen der Bombe wohl nötig gewesen wäre, fanden sie nicht.
## Ein Relikt aus einer anderen Zeit
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass die Bombe explodieren sollte.
Marco G. habe beabsichtigt, „eine möglichst große Anzahl von Menschen zu
töten“, sagte Bundesanwältin Duscha Gmel in ihrem Plädoyer. Die Bombe sei
nur wegen eines Konstruktionsfehlers nicht explodiert. Nur durch „ein
Quäntchen Glück“ habe es keinen Toten und Verletzten gegeben. Gmel forderte
für Marco G. eine lebenslange Haft und beantragte zudem die Feststellung
der besonderen Schwere der Schuld.
Die Verteidiger dagegen behaupten, die Bombe sei eine Attrappe gewesen, ihr
Mandant habe gar keinen Anschlag begehen wollen. „Dass kein Zünder gefunden
wurde, ist eine Tatsache, die für die Verteidigung streitet“, sagte
Rechtsanwalt Peter Krieger.
Außerdem sei die Rohrbombe nicht einmal zu einem Drittel mit lediglich 115
Gramm Sprengstoff gefüllt gewesen, obwohl bei dem Angeklagten zu Hause noch
600 Gramm gefunden worden seien. Das mache keinen Sinn, wenn G. einen
echten Anschlag begehen wollte. Es habe sich entweder um eine Warnung
gehandelt oder um eine gescheiterte Übergabe der Utensilien – jedenfalls
nicht um ein gescheitertes Bombenattentat. Krieger beantragte Freispruch
für seinen Mandanten.
Der Prozess wirkt heute wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Als die vier
Männer im März 2013 verhaftet wurden, hatte es zuvor nur einen islamistisch
motivierten Anschlag in Deutschland gegeben: Arid U. hatte 2011 am
Frankfurter Flughafen zwei US-amerikanische Soldaten erschossen und zwei
weitere schwer verletzt.
Ermittlungsverfahren wegen islamistischen Terrorismus gab es kaum, Prozesse
nur wenige. Dann nahmen die Ausreisen zum „Islamischen Staat“ in Syrien und
in den Irak drastisch zu, IS-Kämpfer kehrten zurück, es gab die Anschläge
am Hannoveraner Hauptbahnhof und auf den Essener Sikh-Tempel, in Würzburg
und Ansbach, zuletzt das Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz mit
zwölf Toten.
## Über Propaganda im Internet radikalisiert
Laut BKA gibt es derzeit fast 800 Ermittlungsverfahren mit mehr als 1.000
Beschuldigten im Bereich des islamistischen Terrorismus, die
Bundesanwaltschaft ist komplett überlastet, das Düsseldorfer
Oberlandesgericht hat wegen der vielen Prozesse eine neue
Staatsschutzkammer eingesetzt und kommt dennoch nicht hinterher.
Marco G. hat während des gesamten Prozesses geschwiegen. Seit in seiner
Zelle Rasierklingen, ein selbst gebasteltes Stichwerkzeug aus
Kugelschreibern und Skizzen von den An- und Abfahrtswegen des
Sonderkommandos, das ihn bewacht, gefunden wurden, wird er stets gefesselt
und mit Augenbinde in das Oberlandesgericht gebracht. Seine Post wird
gesichtet, Besucher werden gefilzt.
Marco G. ist in Oldenburg geboren, sein Lebenslauf weist viele typische
Merkmale von gewaltbereiten Islamisten auf. G. wuchs bei der
alleinerziehenden Mutter auf, in der Schule hatte er Probleme – und früh
auch mit der Polizei: Drogendelikte, Körperverletzung, dann raubte er einen
Supermarkt aus und bekam zweieinhalb Jahre Jugendarrest.
Im Gefängnis kam soll G. mit dem Islam in Kontakt gekommen sein, nach der
Entlassung konvertierte er. Ab 2010 soll er sich radikalisiert haben, vor
allem über Propaganda im Internet. Obwohl er den Staat ablehnte, habe er
weitgehend von staatlichen Sozialleistungen gelebt, berichtete der
Gutachter.
Aus der Untersuchungshaft schrieb G., der Anschlag auf die Sairezeitschrift
Charlie Hebdo 2015 in Paris sei ein „gesegneter Angriff“ gewesen.
## Schon länger im Blick der Ermittler
2011 zog G. mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn in den Bonner Stadtteil
Tannenbusch. Im Mai 2012 provozierte „Pro NRW“ unter dem Slogan „Freiheit
statt Islam“, bei Kundgebungen zeigte sie Mohammed-Karikaturen vor
Moscheen. Marco G. beschloss, etwas dagegen zu tun. Erst legte er die Bombe
ab, wenige Wochen später traf er sich mit den drei Mitangeklagten. Laut
Ermittlungen beschlossen sie, den Vorsitzenden der Partei auszuspähen, sich
Waffen zu besorgen und ihn zu töten.
Die Ermittler hatten die vier schon länger im Blick, wussten aber nicht,
was diese vorhatten. Marco G.s Auto wurde verwanzt. Im März 2013 hörten die
Beamten mit, wie Marco G. und ein zweiter Mann das Haus des „Pro NRW“-Chefs
in einem Vorort von Leverkusen ausspähten. Möglicherweise wollten sie schon
am frühen Morgen zuschlagen. Die Polizei nahm die zwei noch in Leverkusen
fest, die beiden anderen in Essen und Bonn.
Bei Hausdurchsuchungen fand die Polizei eine Liste mit 28 Namen darauf,
neun waren markiert. Einer davon: „Pro NRW“-Chef Markus Beisicht. In G.s
Wohnung fanden die Beamten eine Pistole der Marke Ceska , Schalldämpfer und
Ammoniumnitrat. Eine Beretta, die in einem Staubsauger versteckt war, und
Sprengstoff, der im Kühlschrank lagerte, übersah die Polizei zunächst. G.
aber machte sich in der Untersuchungshaft Sorgen um seine schwangere Frau
und den kleinen Sohn und erzählte, was sich in seinem Kühlschrank befand.
Erst bei der Festnahme stellten die Beamten einen Bezug zwischen Marco G.
und der Bombe am Hauptbahnhof her. Das bei G. sicher gestellte
Ammoniumnitrat ähnelte der Mischung, die bei der Bombe verwendet wurde. Auf
einem Metallrohr der Bombe stellten die Ermittler DNA fest, die der von
Marco G. sehr ähnlich ist: Die seines Sohnes, der anscheinend mit dem
Material gespielt hatte. Auf dem Wecker fanden sie die DNA von G.s Frau.
Die Ermittler gehen aber davon aus, dass G. die Bombe allein gebaut hat.
3 Apr 2017
## AUTOREN
Sabine am Orde
## TAGS
Bonn
Bombenfund
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