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# taz.de -- Hartz-IV-Familien: Bremens arme Kinder
> „Kinderarmut“ war am Dienstag Thema einer Podiumsdiskussion – und das
> Problem ist drängend: Über ein Drittel der Bremer Kinder gelten als arm.
Bild: Kinderarmut ist und bleibt auch in Bremen ein Problem.
BREMEN taz | Mehr als jedes dritte Kind in Bremen lebt in Armut oder ist
davon unmittelbar bedroht – das sind doppelt so viele wie im
Bundesdurchschnitt. Damit nimmt Bremen laut „Kinderreport 2016“ bundesweit
die traurige Spitzenposition ein. Was kann man dagegen tun, was sind die
Ursachen und welche Strategien gibt es? Darüber diskutierten am vergangenen
Dienstag PolitikerInnen und ExpertInnen im SOS Kinderdorf-Zentrum.
Auf dem Podium saß auch Katja Dörner, stellvertretende Vorsitzende der
Grünen-Bundestagsfraktion und Koordinatorin für die Bereiche Wissen,
Generationen und Gesundheit. Sie hält vor allem die Hartz-IV-Regelsätze für
Kinder für nicht ausreichend: „Kinder werden da wie kleine Erwachsene
verrechnet. Das ignoriert deren Bedürfnisse“, sagte sie. „Ihnen muss eine
Teilhabe am normalen Leben ermöglicht werden.“ Aufholbedarf sieht sie auch
bei der Bereitstellung finanzieller Unterstützung: „Viele Eltern, die
Anrecht auf Kinderzuschlag haben, beantragen ihn nie.“ Entweder wüssten
Eltern davon gar nichts oder sie scheiterten an den bürokratischen Hürden.
„Viele Hilfsangebote gelten für Hartz-IV-Haushalte“, erklärte Kirsten
Kappert-Gonther, Bremer Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen und deren
gesundheitspolitische Sprecherin. „Aber was ist mit Familien, die knapp
über der Mindestgrenze liegen?“ Kinder, sagte sie, sollten sich nicht um
Geld sorgen müssen. Armut sei nicht nur ein materieller Mangel, sondern
erschwere auch die gesellschaftliche Teilhabe. So gebe es in Bremen viele
kulturelle und soziale Angebote für Kinder, „aber viele Kinder,
beispielsweise aus Tenever, können Angebote am Theater gar nicht
wahrnehmen, weil das Geld für das BSAG-Ticket fehlt“, sagte sie.
Kappert-Gonther machte auch auf die gesundheitlichen Auswirkungen von Armut
aufmerksam: „Armut macht krank, und Krankheit macht arm“, sagte sie.
„Männer, die in Gröpelingen leben, sterben im Durchschnitt acht Jahre
früher als Männer in Schwachhausen.“
„Kinderarmut ist immer Elternarmut“, sagte Christian Palentien, Erziehungs-
und Bildungswissenschaftler an der Uni Bremen. Deswegen müsse der Blick
nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf die Eltern gerichtet werden,
wenn es um Prävention gehe. „Die Mittelschicht ist in den Städten durch
steigende Mieten zunehmend von Armut bedroht“, sagte er.
Und was das bedeutet, fasste Maresi Lassek, Vorsitzende des
Grundschulverbandes, in einem Satz zusammen: „Familienarmut erzeugt
Bildungsarmut.“ Kinder aus armen Familien hätten schlechtere
Aufstiegschancen. Hinzu komme die problematische Schulfinanzierung in
Bremen: „Bremer Grundschulen sind für jedes Kind pro Jahr mit 2.000 Euro
weniger ausgestattet als Grundschulen in Hamburg“, sagte sie. Innerhalb
Bremens wiederum seien Schulen finanziell und materiell sehr
unterschiedlich aufgestellt. „In Schulen mit vielen armen Kindern können
die Eltern nicht aushelfen, um die Schule zu unterstützen“, so Lassek.
Der Geschäftsführer von Kita Bremen, Wolfgang Bahlmann, erklärte, dass die
Hälfte der Bremer Eltern aktuell vom Kita-Beitrag freigestellt sei, da sie
Hartz-IV bekämen oder zu wenig verdienten. „Mit der neuen Beitragsordnung
ab Sommer rechnen wir damit, dass die Zahl auf 60 Prozent steigen wird“, so
Bahlmann.
Viele arme Kinder bekommen aber gar nicht erst einen Kita-Platz. „Bei 8.000
Einwohnern fehlen allein bei uns 120 Kita-Plätze“, sagte Aykut Tasan,
Quartiersmanager des Schweizer Viertels im Osten Bremens. „Es gibt einen
riesigen Mangel an Kita-Plätzen in Bremen, besonders in den benachteiligten
Quartieren“, so Tasan. Dazu gehört das Schweizer Viertel: Über die Hälfte
der dort lebenden Kinder gilt als arm. Auch an SozialarbeiterInnen mangele
es dort: So sei an einer Grundschule mit 200 Kindern lediglich eine halbe
Stelle dafür vorgesehen, sagte Tasan.
Was hilft nun gegen Kinderarmut? Karin Mummenthey, Leiterin des
SOS-Kinderdorf-Zentrums, fordert eine bessere Zusammenarbeit der Ressorts,
die sich um Kinder kümmern. Kappert-Gonther will Kinder absichern,
Beratungsangebote erleichtern und Kitas zu Familienzentren ausbauen. „Da
muss natürlich auch über Steuern nachgedacht werden“, sagte sie.
Problematisch sei aber auch das Kooperationsverbot zwischen Bund und
Ländern in der Bildung. „Das muss aufgehoben werden“, sagte sie.
29 Mar 2017
## AUTOREN
Sebastian Krüger
## TAGS
Kinderarmut
Kinderarmut
Kita
Bildung
Schwerpunkt Armut
Familie
Schwerpunkt Flucht
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