| # taz.de -- Debatte EU-Flüchtlingspolitik: Von Solidarität keine Spur | |
| > Ehrenamtliche beklagen, dass die Asylverfahren in Griechenland | |
| > intransparent und diskriminierend sind. Die EU weiß das – und tut nichts. | |
| Bild: Dort zeigt sich die EU von ihrer schönsten Seite: das Flüchtlingslager … | |
| Genau ein Jahr ist es her, dass der Europäische Rat seinen berüchtigten | |
| Flüchtlings-Deal mit der Türkei geschlossen hat. Die darin angekündigte | |
| Unterstützung Griechenlands durch die europäischen Staaten lässt allerdings | |
| weiter auf sich warten. | |
| Von Solidarität keine Spur: Demnächst sollen Asylsuchende aus anderen | |
| EU-Ländern wieder im Wege des Dublin-Verfahrens nach Griechenland | |
| zurückgeschickt werden. Die EU-Kommission hält die Zustände in griechischen | |
| Flüchtlingslagern für ausreichend. | |
| Die katastrophale humanitäre Situation auf den Inseln ist medial beleuchtet | |
| worden, nachdem Anfang des Jahres Campingzelte unter der Schneelast | |
| zusammenbrachen. Daraufhin haben Umquartierungen begonnen. Wie aber steht | |
| es um die Rechtsstaatlichkeit der Asylverfahren? | |
| Die [1][Initiative „Respekt für Griechenland“] hat selbst keinen Zutritt | |
| zum Flüchtlingslager in Moria auf Lesbos. Sie erhielt jedoch Berichte von | |
| zwei Juristen, die dort für mehrere Wochen ehrenamtlich tätig waren. Weil | |
| diese durch eine kritische Stellungnahme den Zugang für weitere Freiwillige | |
| zum Lager nicht erschweren wollen, werden sie hier namentlich nicht | |
| genannt. Ihre Innensicht des Lagers legt jedenfalls die Einschätzung nahe, | |
| dass sich die Geflüchteten dort einem Asylverfahren gegenübersehen, das aus | |
| juristischer Sicht gravierende Mängel aufweist und auf Abschreckung zielt. | |
| Flankiert wird es durch ein System der Intransparenz nach innen und nach | |
| außen. | |
| ## Erzwungenes Ausharren | |
| Die griechischen Inseln waren zunächst nur Durchgangsstationen auf dem Weg | |
| in andere europäische Länder. Seit Inkrafttreten des Türkei-Deals werden | |
| Asylsuchende gezwungen, untätig auf den Inseln auszuharren. Auf Lesbos | |
| warten sie nun bis zu einem knappen Jahr allein auf ihre Anhörung. Die | |
| Reihenfolge der Bearbeitung ihrer Anträge folgt dabei keinem von außen | |
| erkennbaren, nachvollziehbaren System. Sie werden gesammelt und nach | |
| Nationalitäten behandelt – unabhängig davon, wie viel Zeit jemand bereits | |
| im Lager verbracht hat. Eine Praxis, die diskriminiert und damit die | |
| Flüchtlingskonvention verletzt. | |
| Fast alle Betroffenen sind uninformiert über ihre Rechte im Asylverfahren | |
| und dessen Ablauf. Sie fühlen sich einem undurchschaubaren System | |
| ausgeliefert. Dieses Gefühl wird durch den Aufbau und das Erscheinungsbild | |
| der Lager verstärkt. Eine ungehinderte Kommunikation mit der | |
| fallbearbeitenden EU-Asylbehörde (EASO) ist für Helfende und Geflüchtete | |
| schlicht nicht möglich. Es fehlt Personal sowie ein geordneter Zugang zum | |
| EASO-Büro, um etwa in Fällen der Familienzusammenführung Dokumente | |
| nachreichen zu können. Öffnungszeiten oder Sprechstunden existieren nicht. | |
| Für alle Anfragen ist man daher auf den guten Willen der Mitarbeiter | |
| angewiesen – die sich jedoch hinter Stacheldraht verschanzen. Die | |
| Möglichkeit, sämtliche relevanten Gesichtspunkte vorzutragen, essenziell | |
| für ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren, wird so massiv | |
| eingeschränkt. Dazu kommt: Bevorstehende Anhörungstermine werden über | |
| Lautsprecher bekannt gegeben. Es besteht so die akute Gefahr, einen Termin | |
| zu verpassen – was den Prozess weiter in die Länge zieht. | |
| ## De-facto-Inhaftierungen | |
| Eine weitere Neuerung seit Inkrafttreten des Türkei-Deals sind die | |
| besonderen Verfahrensregeln, denen bestimmte Gruppen von Geflüchteten | |
| unterworfen werden. Im Rahmen der sogenannten Pilot-Project- oder | |
| Fast-Track-Procedures werden Menschen aus Algerien, Marokko, Tunesien, | |
| Ägypten, Bangladesch und Pakistan nach ihrer Ankunft standardmäßig in | |
| Gewahrsam genommen, was aber aufgrund mangelnder Kapazitäten nur teilweise | |
| geschieht. Rationale Kriterien dafür, wer in Gewahrsam genommen wird und | |
| wer nicht, scheinen nicht zu bestehen. | |
| Das Vorgehen wird lediglich in griechischer Sprache erklärt – eine | |
| De-facto-Inhaftierung, deren Grund die Betroffenen nicht kennen. Die im | |
| griechischen Recht vorgesehene Maximaldauer von 25 Tagen, in denen das | |
| individuelle Asylgesuch sodann geprüft werden soll, wird dabei regelmäßig | |
| überschritten. | |
| Die Praxis knüpft zudem in diskriminierender Weise allein an das Merkmal | |
| der Staatsangehörigkeit an. Die Bedrohungslage der Geflüchteten in ihrem | |
| Heimatland ist aber von vielen anderen Kriterien wie Ethnie, soziale, | |
| wirtschaftliche, politische und religiöse Gruppenzugehörigkeit abhängig. | |
| Eine Zugangsbeschränkung für Moria mag aus Sicherheitsgründen diskutierbar | |
| sein. In der vorliegenden Form widerspricht sie aber eindeutig dem | |
| Versprechen der EU, ein System flächendeckender Rechtsberatung | |
| bereitzustellen, um ein faires Asylverfahren für jede und jeden zu | |
| gewährleisten. | |
| ## Undurchsichtige Verfahren | |
| Von Ausnahmen abgesehen, sind Nichtregierungsorganisationen, die solche | |
| Beratung anbieten und auf Anhörungen vorbereiten, gezwungen, dies vor den | |
| Lagertoren in der Öffentlichkeit ungeschützt vor Zuhörern zu tun – oder den | |
| Ratsuchenden einen zweistündigen Fußmarsch nach Mytilini zuzumuten. | |
| Regulären Zugang zum Hotspot erlangt nur, wer ein äußerst kompliziertes und | |
| undurchsichtiges Registrierungsverfahren beim Migrationsministerium in | |
| Athen durchläuft. So bleibt der Eindruck, dass von den Zuständen im Lager | |
| nur gerade so viel nach außen gelangen soll, wie zu Abschreckungszwecken | |
| nötig ist. | |
| Diese Schilderungen stehen beispielhaft für die Erosion des europäischen | |
| Asylsystems nach Abschluss des Türkei-Deals. Die beschriebenen Missstände | |
| wären mit solidarischer Unterstützung Griechenlands durch die EU-Länder | |
| leicht behebbar. Zur weiteren Entlastung Griechenlands müssen auch die | |
| zugesagten Flüchtlingskontingente im Rahmen des Relocation-Programms von | |
| europäischen Ländern ohne weitere Verschleppung aufgenommen werden. Und | |
| über eine Wiederaufnahme von Dublin-Abschiebungen sollte gar nicht erst | |
| nachgedacht werden. | |
| Sonst steht Griechenland weiter vor einem Dilemma: Schafft es | |
| Voraussetzungen in den Flüchtlingslagern, die humanitär und rechtsstaatlich | |
| zufriedenstellend sind, sieht es sich einer neuerlichen Überlastung durch | |
| Dublin-Rückschiebungen gegenüber. | |
| 23 Mar 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://xn--respekt-fr-griechenland-kpc.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Hilde Schramm | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Griechenland | |
| EU-Türkei-Deal | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Norwegen | |
| Griechenland | |
| Griechenland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kongolesischer Flüchtling in Griechenland: Der Musterschüler | |
| Sein erster Versuch, Kongo zu verlassen, endet dramatisch. Doch schließlich | |
| landet Julien in Griechenland – und schafft neue Maßstäbe. | |
| Situation der Flüchtlinge auf Lesbos: Der Unmut der Wartenden wächst | |
| Trotz begrenzter Fluchtwege bleiben die griechischen Inseln ein begehrtes | |
| Ziel. Doch das, was sie dort erwartet, treibt viele in die Verzweiflung. | |
| Türkische Militärs in Norwegen: Asyl beim Partner | |
| Das Nato-Mitgliedsland Norwegen gewährt türkischen Offizieren Asyl. Ankara | |
| fordert die Auslieferung der „Banditen“. | |
| Deutscher in Griechenland verurteilt: Das Urteil bleibt ein Skandal | |
| Ein deutscher Rentner, der syrische Flüchtlinge über die Ägäis | |
| transportierte, wurde in der Revision vor einem Gericht schuldig | |
| gesprochen. | |
| Flüchtlinge und die Kälte in Griechenland: Die EU nimmt das Sterben in Kauf | |
| Der Tod von drei Flüchtlingen wirft ein Schlaglicht auf die | |
| Kältekatastrophe auf Lesbos. Ursache war vermutlich eine | |
| Kohlenmonoxidvergiftung. |