# taz.de -- Spektakuläre Ausgrabung in Ägypten: Gottheit aus dem Schmutz | |
> In einem Armenviertel Kairos haben Wissenschaftler einen sehr bedeutsamen | |
> Fund gemacht: eine große Statue, die Ramses II. zeigen soll. | |
Bild: Für Ramses Oberkörper geht wieder die Sonne auf | |
Langsam entsteigt der Pharao dem Schlammloch im Armenviertel Kairos. Erst | |
vor wenigen Tagen entdeckt, hebt ein Kran die Büste einer acht Meter großen | |
Statue aus dem Grundwasser, mitten im Kairoer Slumviertel Mataria. Sie | |
stellt wahrscheinlich den wichtigsten ägyptischen Pharao und Feldherrn | |
Ramses II. dar. Es war eine bunte Mischung, die der Bergung eines der | |
wichtigsten Funde der Ägyptologie der letzten Jahre beiwohnte. | |
Männer in Anzügen, darunter der ägyptische Antikenminister Khaled El-Enany; | |
eher im Indiana-Jones-Look der deutsche Archäologe Dietrich Raue, der die | |
dortige Ausgrabungsmission leitet; und hunderte Schaulustige aus dem | |
Viertel. Als die Statue schließlich trockenen Boden erreicht, brechen die | |
Einwohner in spontanen Jubel aus. „Mataria, Mataria“, rufen sie den Namen | |
ihres Viertels. „Ich bin voller Stolz, dass jetzt die ganze Welt auf unser | |
Viertel schaut, das ist doch toll“, sagt Abdu Gad, der das Geschehen vom | |
Rande aus betrachtet. „Ich bin 20 Jahre alt, und seit ich mich erinnern | |
kann, wird hier gegraben. Wir freuen uns immer, wenn bei uns etwas Neues | |
gefunden wird“, meint Omar Ahmad, der neben ihm steht. | |
Seit Anfang der 90er Jahre arbeitet der deutsche Archäologe Dietrich Raue | |
zu dieser Tempelanlage. Vor 16 Jahren begann das Projekt, seit 2012 wird | |
dort durchgehend unter seiner Leitung gegraben. Er versucht so viele | |
Fundstücke wie möglich der 3.000 Jahre alten Tempelanlage Heliopolis zu | |
bergen. | |
Es handelt sich nicht um irgendein altägyptisches Monument. Helipolis ist | |
die größte bekannte altägyptische Tempelanlage, größer als Karnak in | |
Luxor. Sie war aber in griechisch-römischen Zeiten völlig zerstört worden. | |
Und nun liegen die Reste der von Ramses II. gegründeten Anlage unter dem | |
modernen Kairo, unterhalb des Grundwasserspiegels. Dass es sich um Ramses | |
II. handelt, auch wenn die Statue keine Inschrift trägt, davon gehen die | |
Archäologen deshalb aus, weil er die Anlage ja gegründet hat. Die Statue | |
soll nun restauriert und dann im neuen, noch im Bau befindlichen | |
ägyptischen Museum in Kairo in der Nähe der Pyramiden ausgestellt werden. | |
## Ein Ort der Weltschöpfung | |
„Den Pharaonen war es verboten, in dieser riesigen Anlage zu wohnen. Sie | |
war ausschließlich dem Sonnengott gewidmet“, erklärt Raue in einem Gespräch | |
mit dieser Zeitung. „Hier durfte kein Pharao residieren.“ Das habe dazu | |
geführt, dass hier gewaltige und großartige Monumente produziert wurden. | |
„Wenn die Italiener wieder einmal gegen die Deutschen im Fußball gewinnen, | |
dann feiern sie auf der Piazza del Popolo unter dem dortigen Obelisken, und | |
der stammt auch von hier“, sagt er und erklärt die besondere spirituelle | |
Bedeutung, die dieser Ort für die alten Ägypter hatte. | |
„Hier war für sie der Ort der Weltschöpfung. Hier hat der Sonnengott seinen | |
ersten Aufgang, hier fand quasi der Urknall der ägyptischen Kosmologie, die | |
Weltentstehung statt“, erklärt Raue. Und erläutert weiter, dass es hier | |
nach dem Glauben der alten Ägypter eine wüste Ursuppe gegeben habe. | |
„Das ist ein anderes Modell, als das, welches wir aus dem Judentum und | |
Christentum und Islam kennen, wo Gott hier und die Schöpfung da ist“, | |
beschreibt Raue und deutet in zwei verschiedene Richtungen. Die Urmasse, | |
Atum, sei für die Ägypter das Allessein gewesen. „Man kann damit auch | |
Negationen bilden. Alles ist da, aber noch nichts ist vorhanden. Und dann | |
spaltet sich die ganze Geschichte auf, erst in Feuchtigkeit und Luft, dann | |
in Himmel und Erde und anschließend in verschiedene Generationen.“ | |
Es ist keine einfache Ausgrabungsstätte, vor allem nach dem Aufstand gegen | |
Mubarak galt das Slumviertel Mataria als sehr unsicheres Territorium. Dort | |
fanden 2013 viele tödliche Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und | |
der Polizei statt, in den Wochen nachdem ein Protestlager der Muslimbrüder | |
nach der Machtübernahme durch das Militär blutig geräumt worden war. Aber | |
seine Mitarbeiter, auch die ausländischen, fühlten sich immer vollkommen | |
sicher, sagt der deutsche Archäologe. | |
„Wir pflegen sehr gute Beziehungen zu der Nachbarschaft, auch wenn es | |
natürlich wie an vielen anderen Orten einen Grundkonflikt zwischen dort | |
lebenden Menschen und der Archäologie gibt.“ Er deutet hinter eine der | |
Häuserfronten. „Dahinten müssen wir erst einmal 15 Meter hohe Müllberge | |
abtragen, bevor wir mit einer Ausgrabung beginnen können“, erklärt er. Aber | |
Raue nimmt diesen Konflikt gelassen. | |
„Archäologie muss auch mit dem Menschen leben. Es macht keinen Sinn, sich | |
hinzustellen und zu sagen: Köln liegt auf einer römischen Stadt, also | |
bitte, alle Kölner, zieht aus! Wir wollen hier Archäologie machen und | |
müssen hier auch im Einvernehmen mit den örtlichen Bedingungen arbeiten“, | |
meint er dazu. Auch sein zweites Problem, dass sehr aufwändig unter dem | |
Grundwasserspiegel gegraben werden muss, hat für Raue etwas Positives. | |
„Versuchen Sie einmal“, sagt er lachend, „als Grabräuber unter diesen | |
Bedingungen eine Statue zu klauen.“ | |
14 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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