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# taz.de -- „Fake News“ zu Deniz Yücel: Quellen? Wer braucht die schon
> Seit Erdoğan den inhaftierten „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel als
> „Spion“ bezeichnete, überbieten sich Regierungsmedien in seiner
> Darstellung als „Agent“
Bild: Und auf einmal stiegen sie alle darauf ein
Würden Medienwissenschaftler*innen irgendwann in ferner Zukunft die
derzeitige Nachrichtenlage zur Türkei betrachten – welches Bild würden sie
dann in den türkischen Medien vorfinden?
Während die deutsche Medienlandschaft im Falle des ehemaligen taz-Kollegen
und derzeitigen Welt-Korrespondenten Deniz Yücel [1][eine unfassbar
solidarische Linie hinlegt] – mit ein paar Ausreißern bei der SZ, der FAZ
und dem Freitag –, sieht das in der Türkei ganz anders aus. Die Polizeihaft
des deutschen Kollegen wurde in den ersten Tagen kaum aufgegriffen, allein
die oppositionelle Zeitung Cumhuriyet berichtete darüber.
Was aber nach einer Rede des Staatspräsidenten Erdoğan am vergangenen
Freitag passierte, könnte man im mildesten Fall als „Entgleisung“, im
schärfsten Fall als „Fake News“ im wortwörtlichen Sinne bezeichnen.
Als der Staatspräsident am Rande einer Preisverleihung den Journalisten
Deniz Yücel als „Spion“ bezeichnete, griffen anderntags vor allem [2][die
regierungsnahen Blätter], die sogenannten Pool-Medien, diese Behauptung des
Staatspräsidenten auf. Noch mehr: Die Versuche, sich gegenseitig in der
Darstellung des Journalisten als „Agent“ zu übertreffen, waren besonders
perfide.
Mit einer täglichen Auflage von 100.000 Exemplaren liegt das Revolverblatt
[3][Güneş ] bei diesem Wettbewerb um das systematischste Lügengerüst ganz
vorn. [4][Dieselben Unwahrheiten waren zuvor bereits über inhaftierte
türkische Kollegen verbreitet worden.] Insofern sind sie für
türkischsprachige Leser*innen nicht ganz so neu.
## Mit orangfarbenem Pfeil, für die ganz Doofen
So sei ein „Aufsehen erregender Vorwurf“ gegen Deutschland erhoben worden,
titelt die Güneş. Von welcher Seite und durch wen? Die Quelle ist
unbekannt. Das interessiert die Leser der Zeitung womöglich auch nicht. Auf
dem gestrigen Titelblatt wird – für die ganz Doofen noch mit einem
orangefarbenen Pfeil versehen – über das Bild des Journalisten Deniz Yücel
profan ein „ Die Angst, dass er ein Geständnis ablegt“ gedichtet.
Und weiter: „Die vor einem Monat Hals über Kopf in die Türkei gereiste
Merkel bettelte Erdoğan förmlich um die Freilassung des Terroristen-Agenten
der PKK, Deniz Yücel, an. Als dies erfolglos blieb, brach sie wegen Yücel
alle Brücken ab. Deutschland befürchtet, dass der Agent Yücel gesteht und
so etliche Kontakte ausliefert.“
Belege dafür? Sucht man vergeblich. Die weitere Betextung erspare ich Ihnen
und mir, es ist doch zu panne, wie hier mit einem Kollegen verfahren wird.
An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass auch deutsche Medien in der
Causa Türkei zu Übertreibungen neigen. Dann nämlich, wenn in der Debatte
über Auftritten türkischer Minister, eine altbekannte Diskussion wieder
aufflammt: Die um die hiesigen Deutschtürk*innen und ihre vermeintliche
„Integrationsunwilligkeit“.
Oftmals ist da die Rede von „60 Prozent aller Deutschtürken“, die angeblich
die AKP wählen. Das aber stimmt rein rechnerisch nicht. Betrachtet man
nämlich die Zahlen der stimmberechtigten türkischen Wählerinnen und Wähler
in Deutschland, so waren es bei [5][den letzten Wahlen 1.411.198
Stimmberechtigte], von denen 575.564 gewählt hatten. Also etwas mehr als
ein Drittel. Von diesem Drittel wählten die zitierten 60 Prozent die AKP.
Das ist ein Unterschied.
## Falsche Zahlen
Auch wenn die Zustimmung unter den Türkeistämmigen womöglich höher liegen
kann, so sind es im Endeffekt nicht die in vielen Artikeln umhergeisternden
„60 Prozent der Deutschtürken“, sondern eben viel weniger.
Hoffen wir, dass zukünftige Medienwissenschaftler*innen uns diesen kleinen
rechnerischen Fehler verzeihen. Ein Fehler, der eine breite Zustimmung
verdeutlichen soll, ist in Zeiten wie diesen, in denen Türkeistämmige viel
öfter zu Ihrer Meinung befragt werden, als sonst, eben auch nur eine Zahl.
Mit der Berichterstattung über den vermeintlichen „Spion“ Deniz Yücel hat
das nichts gemein.
Liebe Medienwissenschaftler*innen der Zukunft: mein Mitleid, wenn Sie diese
baren Lügen auseinander montieren müssen.
Bis dahin wohl besser: die Worte von Yücels Anwalts Veysel Ok lesen
([6][„Rechtlich gesehen gibt es keinen Grund, Yücel in Gewahrsam zu
behalten.“]) sich nicht ärgern lassen und weiter hoffen, dass er bald frei
kommt.
8 Mar 2017
## LINKS
[1] http://uebermedien.de/13633/lasst-sie-alle-frei-erdogan-deniz-yuecel/
[2] https://gazete.taz.de/article/?article=!5378655&category=!t5372561
[3] http://www.gunes.com/
[4] https://gazete.taz.de/article/?article=!5387171&category=!t5372561&…
[5] https://tr.wikipedia.org/wiki/Kas%C4%B1m_2015_T%C3%BCrkiye_genel_se%C3%A7im…
[6] https://gazete.taz.de/article/?article=!5387252&category=!t5372561&…
## AUTOREN
Ebru Tasdemir
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