# taz.de -- Freiheit für unseren Kollegen: Briefe an Deniz Yücel | |
> Ex-tazler Deniz Yücel befindet sich seit sieben Tagen in Polizeigewahrsam | |
> in Istanbul. Sechs Botschaften an ihn von Kolleg*innen und Freund*innen. | |
Bild: Deniz Yücel, 2016 beim taz.lab | |
Mein lieber Deniz, | |
wie das ist, eingesperrt zu sein, mag ich mir nicht vorstellen. Bei dir | |
erst recht nicht. Aus unserer taz-Zeit habe ich im Kopf praktisch kein Bild | |
eines verharrenden Deniz. Du sammelst Ideen zwischen Tischen und | |
Stockwerken. Gehst eine rauchen, kommst zurück. Hackst Sätze in die | |
Tastatur. Springst wieder auf. Wirfst im Vorbeigehen einer Kollegin eine | |
These hin. | |
Du bist kein Sitzer – und jetzt sitzt du. In der Enge. Mir fällt ein, wie | |
wir einmal zusammen eingepfercht waren. Nachts in einem Zugabteil. Es ging | |
nach Frankfurt zur Beerdigung des Kollegen Klaus-Peter. Dort wurde | |
Degenhardt gespielt. Die letzten Zeilen schicke ich dir für den Weg aus dem | |
Knast: „Ich möchte Weintrinker sein / Auf dem Nachhauseweg wie Kinder | |
darauf achten / Dass man beim Bürgersteig nicht auf die Ritzen tritt / Und | |
im Bett dran denken, wie die Mädchen lachten.“ | |
Georg Löwisch | |
## | |
Deniz, | |
als ich zur taz kam, warst du einer der ersten Redakteure, dem ich als | |
Prakti für eine Recherche zugeteilt wurde, bei diesem Deutschlanddings. Du | |
hast eine Augenbraue verzogen und gefragt: „Bist du Türke oder was?“. | |
Super, dachte ich, die finden das witzig, die Kanakin muss zum Elite-Türken | |
(sorry, ich dachte, du seist so ein Istanbulfutzi). | |
Natürlich ist dir dein Ruf als Krawallschachtel vorausgeeilt. Und sie | |
hatten recht, du bist kein bequemer Typ. „Journalismus darf nicht bequem | |
sein“, sagst du immer wieder. „Sonst ist das alles Scheize.“ Du stellst | |
Fragen, die wehtun, Denizcan. Das ist gut. Aber besser ist, du bist | |
unbequem und frei. | |
Ich schicke dir und allen Kolleg*innen, die den Finger tief in die Wunde | |
gelegt haben, Grüße aus Kreuzberg. Du fehlst hier sehr. | |
Canset Icpinar | |
## | |
Deniz, mein Freund, | |
was konntest du mir auf die Nerven gehen. Eine Säge sondergleichen, und | |
öfter, als mir lieb sein konnte, hattest du recht. Oder den richtigen | |
Gedanken am Wickel. Das war damals, als du noch in der taz gearbeitet hast, | |
wir beide gern in einem Team zu großen Ereignissen, sportlichen, auch | |
politischen. | |
Für mich warst du der hessischste Hesse unter allen, nicht mal Lia Wöhr war | |
je so hessisch. Dass du von vielen als Türke verstanden wurdest, ist für | |
mich ein großes Missverständnis. Du bist aber vor allem ein Kollege, der | |
seine Interessen gut durchsetzen kann, ohne intrigant zu sein. Für | |
kommentierende Deckchenstickerei aus der journalistischen Wohnstube | |
dicklicher Kleinbürger hattest du kein Verständnis. Jemand, der so viel | |
intellektuellen Wahrheitsmut hat wie andere nicht in vier Leben, muss frei | |
sein. Wer dich einsperrt, hat jeden Respekt verloren. | |
Jan Feddersen | |
## | |
Dragi Deniz, | |
weißt du, was die hier über dich erzählen? Es ist so lustig. Ich würde dich | |
so gern lachen und deinen Spruch hören, wenn du erfährst, dass sie dich | |
„Türke vom Dienst“ nennen. Das war aber nur einer von diesen Egalos. Nimmt | |
eh niemand ernst. Alle anderen aber sind soooooo süß. Sooooo großartig. | |
Dein Arbeitgeber: Hammer! Dein Ex-Arbeitgeber: Fantastisch! Und deine | |
Lieblingslinkewochenzeitung: Bombe! | |
Hast du gesehen, dass die Berlinale bei der Preisverleihung das Foto von | |
dir im blauen T-Shirt vor dem Goldenen Horn gezeigt hat? Und Kosslick die | |
Faust dazu in die Höhe gestreckt hat? Wir fahren übrigens Korso für dich. | |
Ohne Scheiß. Und zwar als Nächstes, halt dich fest, in Flörsheim! Natürlich | |
gibt es Leute, die fragen, ob es nicht umweltfreundlichere Soli-Aktionen | |
gibt und Fotos von dir ohne Zigarette. Hihi. Ach, Deniz, du fehlst mir. | |
Sehr. | |
Doris Akrap | |
## | |
Hallo Deniz, | |
wie oft habe ich in den letzten Jahren gedacht: Wenn du jetzt noch da | |
wärst! Hier, in der taz. Dann wäre: die Konferenz spannender, die | |
Beleidigtenquote höher, die anschließenden Versöhnungsfeiern größer, das | |
verboten böser und überhaupt: alles heftiger und origineller, Presse- und | |
Redaktionsrat gut beschäftigt. Weil du eines immer lieferst: | |
Gesprächsstoff, den ich jetzt oft vermisse. | |
Aber Scheiße, so war das nicht gemeint! Und jetzt? Plötzlich alle einer | |
Meinung! Die Kanzlerin, die Linken, die Grünen, sogar der Bundesverband | |
Deutscher Banken, die Welt und die taz. Zum ersten Mal wurde die Kreuzung | |
Springer-, Dutschkestraße zum friedlichen Korso-Treffpunkt gleichgesinnter | |
Zeitungskollegen. Historisches Ereignis – wegen dir, alter Sack, haben wir | |
uns alle lieb. So kann das nicht weitergehen! Schau, dass du da rauskommst. | |
Bitte. Schnell. | |
Lukas Wallraff | |
## | |
Yützel, | |
nun kann ich dir endlich schreiben, wie erstaunt ich war, dass du so ein | |
formidables Türkisch sprichst. Dieser Querkopf kann doch nur krummes | |
Kanakisch, dachte ich. Ha! Falsch. Gezi holte aus uns allen das beste | |
Türkisch heraus. Bis dahin hatten wir uns nur auf Deutsch unterhalten. | |
Irre. | |
Ohne diese Anekdote kann man die gedankliche Grätsche deiner Texte zum | |
[1][Lebensgefühl der Einwandererkinder] (nach dem Trauma von Mölln) zum | |
[2][Lebensgefühl der derzeitigen Generation in der Türkei] (klug und | |
traumatisiert) nicht verstehen, finde ich. Aber die besten Texte sind eh | |
die, die noch nicht geschrieben wurden. | |
Ich hoffe sehr, dass es dir gut geht. Und auch den anderen Kolleg*innen, | |
die nicht in Freiheit sind. [3][Es gibt noch so viel zu berichten.] Denn | |
besser: Deniz, wenn Deniz frei ist. Alles Liebe, Denizcan. | |
Ebru Taşdemir | |
21 Feb 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Lebensgefuehl-von-Einwandererkindern/!5186897 | |
[2] https://www.welt.de/kultur/article148418463/Die-Tuerkei-verspielt-ihre-klue… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=JoLtyDYjWfU | |
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