Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung „Have you seen this bird?“: So tot wie ein Dodo
> War er ein Mythos oder real? Das Neuköllner Centrum erzählt mit einer
> Sammlung von Objekten die Geschichte eines komischen Vogels
Bild: Im Raum sind über 100 Objekte mit Dodo-Motiven versammelt
In Kreuzberg eröffnete 2013 die Kneipe „Dodo“. Die Berliner Zeitung
berichtete: „Hier leben Dinge weiter, von denen man glaubt, sie seien
längst ausgestorben“ – wie der große auf Mauritius einst lebende
flugunfähige Vogel. Nun gibt es auch noch eine ganze Ausstellung über den
Dodo im 2010 eröffneten „Centrum“ – dem Projektraum für zeitgenössische
Kunst.
Sie verdankt sich dem auf Mauritius aufgewachsenen ehemaligen Logistiker
Rainer Dombromsky, der schier manisch Dodo-Objekte sammelte. Dazu gründete
er einen „Internationalen Dodoverein“ und sein Bruder eine „Dodo House
Band“. Dombromsky lebte und arbeitete im Moabiter Künstlerhaus
Huttenstraße, aber dann wurde die Miete erhöht und er musste ausziehen,
woraufhin die Kuratorin Lisa Gordon die Dodo-Sammlung für das „Centrum“
aufbereitete. Auch diese Galerie bekam eine Mieterhöhung; durch Abtrennung
und Vermietung zweier Räume als Büro und Atelier konnten sie aber –
verkleinert – bleiben.
Im Schaufenster steht nun ein großer, ausgestopft wirkender Dodo auf einem
Sockel und an der Rückwand hängt ein riesiger Dodo-Schrein der Künstlerin
Anne Oemig. Dazwischen werden im Raum etwa 100 Objekte mit Dodo-Motiven
gezeigt – in 4 Abteilungen: „Mauritius“ – wie alles anfing;
„Otherworldliness“ – Dodos überall; „Collecting“ – „Nicht selten…
sich dabei eine besondere Beziehung zwischen Sammler und Gesammeltes her“;
und mittendrin unter Glas: alles über den Dodo in „Alice im Wunderland“.
Mit dem hat sich der Autor, der charmante Päderast Charles Lutwidge Dodgson
alias Lewis Carroll, in seiner Geschichte selbst porträtiert, denn er
nannte sich unfreiwillig, weil stotternd „Do-Do-Dodgson“. Seine wunderbare
Geschichte für kleine Mädchen produzierte ab 1865 laufend neue
Sammelobjekte – mit „Alice and the Dodo“.
Zu hören ist in der Ausstellung ein Audiostück der Komponistin Yoko Hamabe
Wylegala „Willkommen im Dodoland“ sowie die „Dodo House Band“ – gleich
nebenan in der Kneipe „Sandmann“. Zu sehen sind Noten von „Dodo-Liedern�…
Infos über den New Yorker Tanz „The Dodo Dawdle“, Dodo-Figuren in allen
möglichen Größen und Materialien, Dodo-Gemälde, Farbdrucke, Dodos aus
Muscheln geklebt, geschnitzt, gezeichnet, Skelettfotos, Stiche,
Plattencover, Werbung: darunter eine der Austral Airlines, die Mauritius
anfliegt und über die Ausrottung des Dodos schreibt: „Perhaps it was for
the best.“ In Kamerun gibt es „Dodos to go“ – frittierte Kochbananen.
Die Madagaskar vorgelagerte Insel Mauritius, berühmt wegen der teuersten
Briefmarke der Welt, die „Blaue Mauritius“, ist etwa doppelt so groß wie
Berlin. Sie war lange Zeit nur von friedlichen Tieren bewohnt, die keine
Scheu kannten und wurde nur gelegentlich, von Piraten und
arabischenHändlern aufgesucht.
Aber dann kamen nacheinander die Portugiesen, die Holländer, die Franzosen
und die Engländer – und beanspruchten sie als Eigentum, siedelten Leute
dort an, holten Sklaven aus Afrika und „Vertragsarbeiter“ aus China und
Indien, rodeten den Wald, legten Plantagen an und töteten alle Dodos, den
letzten vermutlich 1681. In der Ausstellung hängen Stiche, die zeigen, wie
die holländischen Siedler die handzahmen und langsamen Dodos fingen und
zubereiteten.
Mit der Zeit dachte man, das es sich bei diesen Vögeln wie bei den Sirenen
des Odysseus bloß um einen Mythos handeln würde, aber dann fand man 1865
auf der Insel einige Knochen von Dodos – und begann sich näher damit zu
befassen, was eine ganze Dodo-Bibliothek hervorbrachte, einige Bücher
befinden sich in der Ausstellung. 2005 stieß eine holländisch-mauritische
Forschergruppe auf eine Erdschicht, in der sich ein „Massengrab“ von Dodos
befand: „Dieser jüngste Fund wird eine erste wissenschaftliche Erforschung
und Rekonstruktion der Welt des Dodo (Raphus cucullatus) ermöglichen“,
verkündeten sie.
Mauritius wurde erst 1968 selbständig, die multiethnische Inselbevölkerung
lebt vor allem vom Tourismus. Auf ihren Briefmarken, die natürlich in der
Ausstellung zu sehen sind, druckt sie gerne ein Bild von einem Dodo ab.
In einem Aufsatz über ausgestorbene und aussterbende Tiere schreibt der
Ökologe Josef Reichholf: „Wer ‚tot wie ein Dodo‘ ist, ist wirklich tot.�…
Inzwischen gibt es jedoch in England und Amerika immer mehr „Frozen Zoos“,
in denen Gewebestücke von stark gefährdeten Arten bei minus 195 Grad in
Flüssigstickstoffbehältern gesammelt werden.
Die Journalistin Elizabeth Kolbert interviewte in ihrem Buch „Das 6.
Sterben“ (2015) eine Biologin,die in dem „Frozen Zoo“ des Tierparks von S…
Diego arbeitet. Sie sprach u. a. über ihr erstes Objekt: ein toter Po’ouli,
eine Art Gimpel, von denen es zuletzt nur noch drei Männchen auf der
Hawaii-Insel Maui gab. Als man ihr den Kadaver schickte, dachte sie: „Das
ist unsere letzte Chance. Das ist der Dodo.“
Gemeint war damit der Dodo als Metapher für die kümmerlichen Überreste
einer verschwundenen Tierart, aus dessen letzten Gewebestückchen die
Genetiker schon in naher Zukunft das ganze Tier wieder auferstehen lassen
wollen. Der Philosoph Vilém Flusser schätzt, dass erst mit der Herstellung
solch lebender, d. h. „selbstreproduktiver Werke“, das Zeitalter der
wahren Kunst beginnt. In dieser Perspektive wäre die Dodo-Ausstellung eine
Vorwegnahme als magisch-künstlerische Praktik.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
2 Mar 2017
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Natur
Kulturgeschichte
Kolonien
Ausstellung
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.