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# taz.de -- Aktivismus nach Legida in Leipzig: Und jetzt?
> Legida läuft nicht mehr. Wie kann der Kampf für eine offene Gesellschaft
> weitergeführt werden? Vier Ideen.
Bild: Tausende Leipziger sind gegen Legida auf die Straße gegangen
Jürgen Kasek: „Leipzig war bei allem, was so in Sachsen passiert ist, lange
die „Insel der Glückseligen“. Auch hier gibt es eine recht große
Neonazi-Szene, aber eben auch eine ungeheuer starke linke Szene. Jetzt, wo
Legida nicht mehr demonstriert, könnte der Eindruck entstehen: Wir haben es
geschafft. Bei der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung ist das fatal.
Was Legida geschafft hat: Im Gegenprotest haben sich viele Menschen
kennengelernt, aus sämtlichen Schichten und mit verschiedenen
Hintergründen. Es ist ein neues Gefühl des Zusammenhalts entstanden. Viele
Menschen wurden durch die Proteste politisiert und sind bei uns Grünen
Mitglied geworden, weil sie uns so stark auf der Straße wahrgenommen haben.
Aber klar, ein Teil der Leute, die zu den Gegendemonstranten gehörten, ist
eingeschlafen. Nach dem Motto: Jetzt hat man wieder andere Themen, um die
man sich kümmert. Da müssen wir versuchen, jetzt zumindest ein paar der
ehemaligen Gegendemonstranten abzufangen und Angebote zu unterbreiten.
Einer der Punkte, weswegen ich immer dankbar bin in Leipzig zu wohnen: Hier
gibt es einen Brückenschlag. Das war von der ersten Demo an deutlich.
Dieser Brückenschlag von der bürgerlichen Stadtgesellschaft über die
Politik, Gewerkschaften und Kirchen bis hin ins linke Lager. Die gehen alle
zusammen auf die Straße. Und das führte eben dazu, dass bei den ersten
Versammlungen 35.000 Menschen auf der Straße waren.
In Dresden hingegen gibt es auch linke Bündnisse; die arbeiten aber nicht
mit den bürgerlichen Bündnissen zusammen. „Dresden Nazifrei“ etwa, das ist
vergleichbar mit „Leipzig nimmt Platz“, gilt in Dresden als Teil der
Antifa. Und das hat dort eine sofortige Ausschlusswirkung, sie sind vielen
zu radikal. „Leipzig nimmt Platz“ hingegen konnte die Brücke zwischen
bürgerlichem und linkem emanzipatorischen Protest schlagen.
Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Denn dass Legida kapituliert hat –
das ist auch der Erfolg von zwei Jahren kontinuierlicher Gegenerzählungen
und -protest. Das war psychologisch ungeheuer wertvoll. Weil es das Signal
ist – auch nach Dresden! -, dass es möglich ist. Wir können etwas
erreichen. In Zeiten wie diesen, wo man sich genauso gut mit schlechten
Nachrichten bombardieren lassen kann, ist sowas wichtig.
Nur weil die Rechten die viel einfacheren Antworten haben und scheinbar
viel mehr sind, heißt das nicht, dass sie gewonnen haben. Ich glaube, das
muss man immer wieder deutlich machen.“
Jürgen Kasek, 36, ist Landeschef von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen. Er
war von Anfang an bei den Gegendemos dabei. Nur zweimal konnte er
urlaubsbedingt nicht gegen Legida auf die Straße gehen.
***
## „Mal nach Dresden rüberfahren“
Thorsten Mense: „Im September habe ich einen Workshop beim sächsischen
Streetworkertreffen organisiert. Wir funktionieren als Verein doch eher als
Schnittstelle zwischen Aktivismus und Wissenschaft. Thema waren neurechte
Gruppierungen: Pegida, Legida, diese ganzen „Nein zum Heim“-Initiativen.
Das ist ja doch ein bisschen diffus, wie die zueinanderstehen.
Ich habe versucht, in dem Workshop einen Überblick zu geben. Da war diese
Streetworkerin aus Bautzen, die davon erzählt hat, wie die Situation bei
ihr in der Stadt ist – dass es maximal noch vier Wochen dauern werde, bis
die Lage zwischen den jugendlichen Geflohenen und den Rechten eskaliert.
Zwei Stunden später kamen die Nachrichten rein, dass es in Bautzen
Hetzjagden gegeben hat.
Ich halte die Arbeit von Streetworkern für unheimlich wichtig. In der
öffentlichen Diskussion geht das häufig unter, aber in manchen Regionen
stehen diese Leute direkt an der Frontlinie. Da geht es konkret um die
Probleme wie: Hier ist eine rechte Jugendclique mit fünf Leuten und dort
ist eine linksalternativ angehauchte Jugendclique mit fünf Leuten. Um wen
kümmert man sich mehr? Lieber zwei von den Rechten zurückgewinnen oder doch
die linke Clique unterstützen? So entstehen nämlich Strukturen, die selber
in der Lage sind, rechten Jugendkulturen entgegenzutreten.
Das ist zwar eine anstrengende Arbeit vor Ort, auf lange Sicht ist das
jedoch viel effektiver als Kurzaktionen wie: Man macht da mal eine große
Demo gegen Rechts. Sowas ist auch wichtig. Die Frage ist aber, wohin wir
das gesellschaftliche Bewusstsein in den kommenden Jahrzehnten verändern
wollen. In manchen Gegenden muss man sowas wie Zivilgesellschaft überhaupt
erstmal aufbauen.
Dresden ist tatsächlich nicht weit entfernt von Leipzig und ich halte es
für wichtig, den Montagabend von Pegida zurückzugewinnen. Wenn 300
Leipziger da mal rüberfahren, wäre das zwar auch nur punktuell, aber
zumindest ein Zeichen. So entstehen auch wieder neue Strukturen. Die Leute
aus dem Dresdener Gegenprotest haben zusätzlich das gesamte Umland
abgedeckt. Die waren im Sommer jedes Wochenende damit beschäftigt,
Unterkünfte zu schützen. Die persönlichen Ressourcen sind alle, die
finanziellen Ressourcen sind alle. Irgendwann hat man hat auch einfach
keinen Bock mehr.“
Thorsten Mense, 36, ist Soziologe und freier Autor, unter anderem für die
Wochenzeitung Jungle World.
***
## „Die aus der Mitte kommen nicht mehr“
Nadja Neqqache: „Im Laufe der Zeit waren wir nicht mehr nur auf den
Legida-Demos und Gegendemos, sondern auch bei Veranstaltungen im Leipziger
Umland, zum Beispiel in Grimma oder Eilenburg. Die Demos dort sind
natürlich viel kleiner als Legida, mit teilweise nur fünf Zuschauern. Aber
es passiert trotzdem und die Idee war ja, wirklich auf alles aufmerksam zu
machen, was hier passiert.
Ich glaube schon, dass die Energie, derer, die gegen Legida auf die Straße
gegangen sind, wieder gebündelt werden kann – wenn mal wieder eine größere
Demo hier in Leipzig ist. Aber das wird nicht passieren, wenn jetzt zum
Beispiel an einem Samstag in Borna was stattfindet. Legida hatte großen
Einfluss darauf, dass man auf Sachen im Umland überhaupt aufmerksam wurde.
Da war dann häufiger auch mal „Leipzig nimmt Platz“ dabei. Die kommen
bestimmt immer noch, aber eben nicht mehr die aus der gesellschaftlichen
Mitte, die in Leipzig immer dabei waren.
Diese ganzen Bürgerwehren im Umland, die diese Veranstaltungen meist
organisieren, sind außerdem in letzter Zeit vorsichtiger geworden mit der
Art, wie sie auf ihre Demos aufmerksam machen. Facebook war immer der
Hauptpool, wo man sowas finden konnte. Das passiert inzwischen eher intern,
über Whatsapp-Gruppen oder so. Und wenn man trotzdem drauf aufmerksam wird,
frage ich mich schon, wer überhaupt noch zu den Gegendemos geht. Die
Bürgerlichen werden es nicht sein. Die eingefleischten Aktivisten
sicherlich schon hin und wieder, aber vielleicht nicht mehr in dem Maße.
Man muss immer auch bedenken: Legida LÄUFT nicht mehr. Was da jetzt sonst
so passiert, weiß man nicht. Sich unsichtbar machen können kann gefährlich
sein. Das kann auch ein wichtiger Bestandteil von Radikalisierung sein.“
Nadja Neqqache, 26, hat das Leipziger Straßengezwitscher-Team 2016
mitgegründet. Seitdem tweeten sie und ihre Kollegen von möglichst allen
Demonstrationen in Leipzig und im Umland.
***
## „Seit 2014 waren wir in Daueranspannung“
Willie Wildgrube: „Mit dem Ende von Legida kam erstmal die Erleichterung.
Wirklich groß war die aber nicht. Das Ziel, mit dem „Leipzig nimmt Platz“
2009 gegründet wurde, bleibt unabhängig von Legida bestehen. Heißt:
Nazidemos verhindern.
Die Beteiligung daran hat immer geschwankt. Direkt am Anfang war das
Aktionsnetzwerk sehr breit aufgestellt. 2012 gab es eine NPD-Tour namens
„Flaggschiff“ mit mehreren Gegenaufrufen. In unserem Verteiler haben wir
etwa 150 Adressen von Gruppen, Netzwerken und Einzelpersonen für Aktionen.
Als Legida kam, war es ein großes Glück, dass diese Strukturen schon da
waren. Gerade die Vernetzung von Kirchen und Gewerkschaften bis zu
Antifa-Gruppen hat da viel ausgemacht.
Ich sehe drei Gründe, aus denen Protestbewegungen einbrechen. Erstens: Die
zermürbende Wirkung. Du gehst immer wieder raus, machst deine Sitzblockaden
und diese rassistischen Gruppierungen kommen trotzdem jeden Montag
angetappelt. Da fragst du dich: „Warum mache ich das hier eigentlich?“
Zweitens: Die Strafverfahren. Es gibt aktuell keinen gemeinsamen Topf, mit
dem Bußgelder bezahlt werden könnten. Wenn ich als junger Mensch 300€
Strafe zahlen muss – da kriegt man schon Angst. Und drittens: Die Vorwürfe
aus der Zivilgesellschaft. Da heißt es häufig, dass Gruppen wie Legida erst
durch den Gegenprotest am Leben gehalten werden.
Seit 2014 waren wir in Daueranspannung. Ich bin der Meinung, dass das
Aktionsnetz seine Strukturen nun nicht verschleißen sollte. Dann ist einen
Monat lang halt mal nichts los. Nebenbei verfolgen wir einige andere
strategische Sachen. Die Initiative „Druck machen“ ist aus dem Netz heraus
entstanden und versucht, auf landespolitischer Ebene Änderungen
herbeizuführen. Dann bereiten wir uns auf die Bundestagswahl vor.
Angesichts der AfD ist das auch interessant. „Leipzig nimmt Platz“ hat
mehrfach gespendet. Pausen sind schön und ja, wir haben jetzt gerade sowas
wie eine Pause. Dadurch schaffen wir eben aber auch ganz viele andere
Dinge.“
Willie Wildgrube, 48, ist in Leipzig geboren und engagiert sich seit 2014
beim Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“.
17 Feb 2017
## AUTOREN
Sarah Emminghaus
Markus Lücker
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