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# taz.de -- Senegal beim Afrika-Cup: Akribischer Arbeiter mit Rastalocken
> Trainer Aliou Cissé will das Nationalteam des Senegal endlich zur
> Weltspitze führen. Die Chancen dieses Projekts stehen ganz gut.
Bild: Hat alles genau im Blick: Senegals Trainer Aliou Cissé
Franceville taz | Eine Brille mit dickem schwarzem Rand auf der
Nasenspitze, Dreadlocks hängen wild vom Kopf herab. So, wie Aliou Cissé da
auf der kleinen Terrasse seines Apartments im Teamhotel Heliconia vor einem
sitzt, wirkt er wie ein Künstler oder Schriftsteller. Die Zeichnungen und
Notizen aber, die der 40-Jährige um sich herum verteilt hat, haben mit
etwas zu tun, das man zunächst nicht vermutet: Fußball.
Cissé trainiert die Nationalmannschaft des Senegal. Und auch wenn er eher
untypisch für einen Fußballlehrer aussieht, ist er aktuell mehr als nur
einer der wichtigsten Männer in der Fußballszene des westafrikanischen
Küstenstaates. Vielmehr trägt er Verantwortung für die Trainergilde eines
ganzen Kontinents, denn Cissé könnte beim Afrika-Cup, der momentan in Gabun
ausgetragen wird, den Beweis antreten, dass es auch afrikanische Trainer
mittlerweile auf das Niveau ihrer Kollegen aus Europa geschafft haben.
Ganze vier von 16 am Afrika-Cup teilnehmenden Teams haben Coaches aus dem
eigenen Land. „Sie sind in der Erfahrung und Qualität ihrer Ausbildung noch
nicht so weit“, sagt Urs Siegenthaler. Der Schweizer schaut sich als Scout
der deutschen Nationalmannschaft das Turnier an und hat Jogi Löw schon
einige Eindrücke weitergegeben.
Eine etwas andere Erklärung findet Otto Pfister, selbst Trainerveteran mit
viel Afrikaerfahrung und aktuell ebenfalls als Beobachter in Gabun
unterwegs. „Es gibt ein paar talentierte Trainer auch in Afrika. Aber man
traut ihnen vonseiten des Verbands den Job des Nationaltrainers nicht zu“,
sagt er.
Pfister glaubt: „In Afrika gibt es ein System aus Clans, in dem der eine
dem anderen nichts gönnt und es kein Vertrauen gibt. Heißt, wenn ich einen
afrikanischen Trainer eines bestimmten Clans zum Nationaltrainer mache,
muss ich befürchten, dass er hauptsächlich Spieler aus seinem eigenen Clan
ins Team holt. Da holt man sich lieber einen Coach aus dem Ausland.“
Cissé ist nun angetreten, den Gegenbeweis zu liefern. Es gab schon einmal
so jemanden, vor vier Jahren war das. Da klagte Stephen Keshi die
Funktionäre der afrikanischen Fußballverbände lauthals an: „Kommt mir nicht
mit irgendeinem mittelmäßigen Trainer aus Europa und sagt mir, dass er
besser ist als ich“, schimpfte der Mann im Januar 2013, während er gerade
dabei war, das nigerianische Team zum Sieg im Afrika-Cup zu coachen. Keshi
brachte das Kunststück fertig, den Cup sowohl als Spieler (1994) wie auch
als Trainer (2013) zu gewinnen.
Wie Keshi, der rund 20 Jahre seines aktiven Fußballerlebens in Europa
verbrachte, hat auch Cissé seine Fußballausbildung nicht auf dem eigenen
Kontinent genossen. Schon mit 18 Jahren verließ er seinen kleinen Heimatort
Ziguinchor im Südosten Senegals und übersiedelte nach Frankreich. Scouts
des OSC Lille hatten den zweikampfstarken Mittelfeldspieler entdeckt und in
Richtung Norden gelockt.
Cissé blieb in Frankreich und wurde bald auch für die Nationalmannschaft
seines Heimatlandes interessant. Seinen größten sportlichen Erfolg erzielte
er 2002, als er als Kapitän der legendär gewordenen senegalesischen
Mannschaft um El Hadji Diouf im WM-Eröffnungsspiel den „großen Bruder“
Frankreich mit 1:0 bezwang und später in die Runde der letzten acht einzog.
Noch heute spricht man in Senegal stolz von diesem Team. Gleichzeitig
erfasst senegalesische Fans dann aber auch eine gewisse Trauer, denn man
hatte dem Team nach der WM Großes zugetraut. Weltmeister werden vielleicht,
den Afrika-Cup endlich mal gewinnen – das auf jeden Fall.
## Undiszipliniert und selbstzufrieden
Doch weder das eine noch das andere gelang, das Team zeigte in der Folge
jene Schwächen, die man senegalesischen Auswahlmannschaften irgendwie immer
schon nachsagt: Es war nicht diszipliniert genug. Es gab sich mit dem
zufrieden, was es hatte. Es kämpfte nicht wirklich um die nächsten Erfolge.
Teamkapitän Cissé hat das damals ganz besonders gefuchst, weil er
eigentlich aus ganz anderem Holz geschnitzt ist. Er packt zu, als Spieler
tat er das bisweilen sogar ein wenig zu hart. Als er nach der WM 2002 einen
Vertrag bei Birmingham City erhielt, flog er in seinem ersten
Premier-League-Spiel daheim gegen den FC Arsenal gleich mal mit einer Roten
Karte vom Platz. Als er wieder mitmachen durfte, sammelte er in den
folgenden sechs Begegnungen fünf Gelbe Karten ein.
„Das gehört zu meinem Spiel“, rechtfertigte sich Cissé damals. Er hat
gelernt, sich auch unter harten Bedingungen durchzusetzen. Und er lernte,
sich von Schicksalsschlägen nicht unterkriegen zu lassen. Im Herbst 2002
verlor er mehr als ein Dutzend engster Familienmitglieder, als vor Gambia
eine Fähre sank und 1.200 Menschen umkamen.
Cissé blieb in Europa, bis er 2009 seine Karriere in Nîmes, in Frankreichs
zweiter Liga, beendete. Dann kehrte er zurück, wurde Trainer, übernahm 2013
die Olympiamannschaft des Senegal. Und er stand bereit, als das A-Team 2015
einen neuen Coach brauchte. Unter Alain Giresse hatte die Mannschaft beim
Afrika-Cup in Äquatorialguinea nach drei Niederlagen in der Vorrunde schon
wieder enttäuscht und war früh ausgeschieden. Cissé übernahm.
## „Neue afrikanische Trainergeneration“
Seither ist vieles anders im Team der „Löwen von Teranga“, wie die
Mannschaft genannt wird. Zuallererst einmal hat der neue Trainer ein
gehöriges Maß an Selbstvertrauen mitgebracht: „Ich weiß ganz genau, was der
Senegal benötigt, um Erfolg zu haben“, meinte Cissé zu seinem Amtsantritt
selbstbewusst. Viel europäische Erfahrung auf der Trainerbank meinte er
wohl, allerdings gepaart mit den speziellen Kenntnissen über den
senegalesischen Fußball.
Jedenfalls hat er sich mit Torwarttrainer Tony Sylva, Kotrainer Omar Daf
und Teamkoordinator Lamine Diatta gleich eine Handvoll alter Teamkollegen
von 2002 an die Seite geholt, die so etwas wie die „neue afrikanische
Trainergeneration“ repräsentieren sollen. „Wir wissen doch am besten, wie
unsere Landsleute ticken“, sagte Cissé.
Den Afrika-Cup 2017 hatten sich die Kumpels schnell als Ziel auserkoren.
Schon die Qualifikationsspiele wurden mit höchster Konzentration und
akribischer Arbeit angegangen. Gegner wurden zigmal beobachtet, die Spieler
bekamen vor jeder Partie einen ganzen Schwung an Unterlagen über den
Gegner. Resultat: Ungeschlagen marschierte Senegal souverän durch die
Qualifikation, stand schon früh als Teilnehmer des Endturniers in Gabun
fest.
Akribische Detailarbeit ist eine Leidenschaft des Rastamanns auf der
Trainerbank. „Er schaut stundenlang Videos von gegnerischen Teams und
schreibt sich alles auf. Stundenlang tüftelt er dann vor dem Spiel an Auf-
und Einstellung unseres Teams“, beschreibt Omar Daf die Arbeitsweise seines
Chefs.
Gemeinsam mit seinen Kumpels von einst lässt Cissé den Spielern aber auch
ihren Spaß. Ob bei Albernheiten im Hotelpool oder beim Fußballtennis im
Sand hinter der Herberge – Cissé ist meist mit dabei. „Die Jungs sollen
locker bleiben“, sagt er.
Gleichwohl will er den Spielern jenen Schlendrian austreiben, der das Team
in der Vergangenheit stets irgendwann hat scheitern lassen. „Wir wollen
jeden Tag hart arbeiten und unser Spiel insgesamt auf ein neues Niveau
heben. Ich verlange, dass sich jeder Spieler optimal auf seinen
Gegenspieler einstellt und diesen 90 Minuten auf dem Platz bearbeitet und
unter Druck setzt. Dann sind wir so stark, dass uns eigentlich keiner
bezwingen kann“, sagt Cissé.
Den Titel beim Afrika-Cup hat der Senegal mit seinem ehrgeizigen Coach
längst ins Visier genommen. Zumal mit der Elfenbeinküste und Algerien zwei
der vermeintlich größten Konkurrenten bereits nach der Vorrunde die Segel
streichen mussten. Im Viertelfinale wartet mit Kamerun ein Team, das er gut
kennt. „Die Chance ist da, wir müssen sie nur nutzen“, sagt Cissé, der vor
dem Turnier ein wildes Versprechen abgab: „Holen wir den Titel, dürft ihr
mir meine geliebten Dreads abschneiden“, versprach er seinen Spielern halb
im Scherz.
Gut möglich, dass Cissé in Kürze mit Glatze an der Linie steht.
27 Jan 2017
## AUTOREN
Olaf Jansen
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