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# taz.de -- Porträt Ari Rath: Ari, das Kind
> Er war 13, als er 1938 Wien verließ, und Israel mitaufbaute. Vor vier
> Jahren spazierten wir mit ihm durch die Stadt seiner Kindheit.
Bild: Sein Gedächtnis ist sagenhaft gut, jedes Detail weiß er noch, wie er mi…
Freitagmorgen starb der langjährige Chefredakteur der Jerusalem Post, Ari
Rath. taz-Autor Felix Zimmermann schrieb 2012 ein Porträt über ihn. Wir
veröffentlichen es an dieser Stelle, um an ihn zu erinnern.
***
Da geht ein Mensch, er geht die Porzellangasse entlang, Wien, 9. Bezirk.
Ein alter Mann, beschwerlicher geht er als noch vor wenigen Jahren, trägt
den Gehstock aber nicht als Stütze, sondern, wie seine Tasche, unterm Arm.
Es ist windig, kurz bleibt er stehen, richtet den Schal.
Der Mann heißt Ari Rath, er ist jetzt 87 Jahre alt, aber er sieht die
Gründerzeitfassaden, die Straßenbahn – den D-Wagen –, die Bäume mit den
Augen des Kindes, das er war. Da drüben war die Konditorei Aida, „da holten
wir uns Tortenreste“. Dort das Kino, in das er sich stahl. „Ich setzte mir
einen Hut auf, damit sah ich aus wie 16, dabei war ich erst 12“; und da
drüben „unser Spielplatz“ im Liechtensteinpark.
Alles wurde anders, erst schleichend, dann schlagartig. Schon 1934 waren
Juden wie Ari von nichtjüdischen Kindern in der Schule getrennt worden, die
ersten spürbaren Ausprägungen des Austrofaschismus, zu der Zeit fuhren aber
auch die jüdischen Kinder noch zum Skifahren in die Tauern. Am 11. März
1938 der „Anschluss“ Österreichs an Hitlers Deutschland. Wien jubelt,
Hakenkreuzfahnen werden gehisst, auch über der Aida-Konditorei.
„Am Tag darauf trugen die Polizisten Hakenkreuz-Armbinden, mein Bruder und
ich waren auf dem Weg zu unserer Großmutter in der Kochgasse. Da war es uns
klar“, sagt Rath vor dem Haus, Porzellangasse 50, sein Elternhaus. Sie
mussten weg aus Wien, am Spielplatz im Liechtensteinpark stand: „Zutritt
für Juden verboten“.
Ari Rath, 1925 in Wien geboren, zweiter Sohn einer großbürgerlichen
Familie, der Vater Besitzer einer Papiergroßhandlung mit Wagen und Fahrer,
im Speisezimmer der Bechstein-Flügel.
„Ari heißt Löwe“
Er hat sein Leben jetzt aufgeschrieben, die Berliner Journalistin Stefanie
Oswalt hat ihm geholfen dabei, „Ari heißt Löwe“ ist kürzlich erschienen.
Sein Gedächtnis ist sagenhaft gut, jedes Detail weiß er noch, wie er dem
Naziterror entkam mit 13, nach Palästina floh. Er baute den Staat Israel
mit auf, man kann das nur so sagen. Er mistete den Kuhstall im Kibbuz
Chamadiya aus, molk Kühe, wurde in die USA geschickt, um dort Juden für ein
Leben in Palästina zu begeistern.
Wieder in Israel wurde er Journalist, Chefredakteur und Herausgeber der
angesehenen Jerusalem Post, bevor die zum rechten Blatt wurde. Rath gehörte
zum engsten Kreis um Staatsgründer David Ben-Gurion, war dabei, als der
sich im New Yorker Waldorf Astoria 1960 mit Konrad Adenauer traf. Er
veranlasste – trotz Schabbat-Ruhe und dem orthodoxen
Betriebsratsvorsitzenden – einen Sonderdruck seiner Zeitung, als Ägyptens
Präsident Anwar as-Sadat 1977 nach Jerusalem kam, um Frieden zu schließen.
Dieses neue Leben begann auf einem Schiff in Triest. Den Moment, der den
Schnitt zwischen Kind und Erwachsenem markiert, zeigt der Buchumschlag.
„Das Bild sagt alles. Da bin ich wütend und traurig, weil meine Kindheit
vorbei ist.“ Sein Bruder hat das Foto geschossen, als die „MS Galiläa“
ablegte, das Schiff, das die beiden von Triest ins damalige Palästina
brachte.
Geschossen mit einer Kamera, die Rath 1937 nach seiner Bar-Mizwa während
eines Besuch bei Verwandten in Berlin gekauft hatte. „Ich fotografierte die
Schaukästen mit dem Stürmer, Schilder ‚Juden ist der Eintritt verboten‘ u…
‚Judenbänke‘, die standen überall“, sagt er. Am 31. Dezember ein
rauschender Tanz ins neue Jahr – unglaublich, findet er, wie unbeschwert da
Juden noch feiern konnten, obwohl die Katastrophe lauerte. Hitler, nur
vorübergehend?
## Nicht die erste Rückkehr
Der Vater wollte nicht, dass seine Jungen gehen. Als Maxi mit der Broschüre
einer Landwirtschaftsschule nahe Tel Aviv kommt, sagt er unter Tränen:
„Mein Sohn wird nicht Mist führen.“ Wenig später wird der Vater verhaftet,
mit 3.000 anderen jüdischen Kaufleuten Wiens. Er kommt ins KZ. Ari und sein
Vater treffen sich erst 1946 in New York wieder.
Zugig die Straße, der Herbsttag frisch, das graue Haar verweht. Rath will
ins Warme. Weil das Kaffeehaus an der Ecke zu ist, klingelt er bei Familie
Pech, in seinem Haus.
Es ist nicht die erste Rückkehr, 1948 kam Rath zum ersten Mal wieder. „Es
war, als ginge ich über einen Friedhof.“ Die Stadt zerbombt, die Juden –
180.000 hatten in Wien gelebt – weg, viele tot. Jetzt greift er den
Handlauf der Treppe, „nichts hat sich hier verändert“, sagt er, die bunten
Fliesen, die dunklen Flure zu den Wohnungen, das Fenster zum Innenhof, in
den sich seine Mutter stürzte, als er vier Jahre alt war. Sie konnte mit
ihrer Depression nicht weiterleben.
An der Wohnungstür steht Hans Peter Pech, ein kurzhaariger Mann mit blauem
Pullover. Altwiener Wohnung mit hohen Decken, oben drüber, im ersten Stock,
war Ari zu Hause, hier unten sein Freund Walter und dessen Adoptivbruder
Hans Peter. Walter fiel im Krieg in Frankreich – und steht wie eine Brücke
in Aris Leben. Eben noch Freunde, dann trägt der eine die HJ-Uniform, der
andere nicht.
Walter nimmt Aris Fahrrad – ein Geschenk zur Bar-Mizwa –, beschlagnahmt es
für die Hitlerjugend, verspricht ihm aber, es zurückzugeben, sollte er
eines Tages Wien verlassen müssen. Walter hält Wort, Ari nimmt das Fahrrad
mit nach Palästina, fährt damit im Kibbuz. „Es ist das einzige Fahrrad, das
der HJ und der Kibbuzbewegung diente.“ Weil Walter Wort gehalten hat,
bleibt er in Aris Erinnerung ein Freund, trotz der HJ.
## Eine Seelenwanderung
Am Wohnzimmertisch der Pechs verschwimmen die Zeiten, so als sähe er in
Hans Peter Walter, als säßen dort die Jugendfreunde von damals. Mit
brüchiger Stimme verabschiedet sich Rath, Hans Peters – und Walters –
Mutter, sagt er, „hätte sich gefreut, wenn sie hätte erfahren können, dass
wir eben hier zusammen saßen“.
Von einem Grabmal hatte er vorher erzählt, einem Karpfen aus Stein. Den
will er jetzt zeigen. Hinter der Porzellangasse liegt ein alter jüdischer
Friedhof, der Zugang über ein – ehemals jüdisches – Seniorenheim. Zwischen
den Gräbern sucht sich Ari Rath seinen Weg, bleibt stehen, „also bitte“,
sagt er, „hier ist unser Karpfen“. Er liebt diese Geschichte, „eine
Seelenwanderung“ nennt er sie. Dieser Karpfen soll im Moment, als er
erschlagen wurde, zum jüdischen Gebet Schma Jisrael – Höre Israel –
angesetzt haben.
„Dann wurde er beerdigt.“ Ari geht vor, raschelndes Laub, aus einem
Hinterhof dringen Kinderrufe herüber; Ari, das Kind. Die hinterste Ecke des
Friedhofs, er hebt den Stock, zeigt auf die Rückseite seines Elternhauses.
„Das war unsere Kinderveranda, dort spielten wir im Sommer, im Winter war
es zu kalt.“ Da stand die Märklin-Eisenbahn. Sie stand dort noch, als ein
Junge auf der „Galiläa“ das Foto seines Bruders knipste.
Wien hatte ihn verloren, aber er wurde die Stadt nie los.
„Ari heißt Löwe“ ist auch die Geschichte einer Wiederannäherung. Lange m…
Rath seine Geburtsstadt, hatte in Israel sein Leben und in New York. Aber
er spürte: Da fehlt etwas. Er konnte es sich erst holen, als Österreich,
das den Wehrmachtsoffizier Kurt Waldheim 1986 zum Präsidenten gewählt
hatte, über seine Vergangenheit nachdachte. Wegen Waldheim. Und weil sich
fünf Jahre später Bundeskanzler Franz Vranitzky bei den Überlebenden und
den Nachkommen der Toten entschuldigte. Wien war seitdem ein Stück besser
geworden.
Und heute? Lebt Ari Rath weitgehend wieder dort, Ärzte im Allgemeinen
Krankenhaus retteten ihm vergangenes Jahr das Leben, Blinddarmdurchbruch.
Er hat eine Wohnung im Maimonides-Zentrum mit Blick auf die Donau, einer
Einrichtung der Israelitischen Kultusgemeinde, gelegen auf einer Halbinsel,
die früher Mazzesinsel genannt wurde, weil dort die meisten Juden Wiens
lebten. Er staunt darüber, dass es so gekommen ist. 1938 verjagt, 2011
gerettet. Er sagt, dass er jetzt mehr Freunde in Wien hat als in Jerusalem.
Als sei ihm nun diese Stadt irgendwie fremd geworden, vielleicht auch das
Land.
13 Jan 2017
## AUTOREN
Felix Zimmermann
## TAGS
Journalist
Israel
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