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# taz.de -- Das Jahr: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
> 2016? Wehende Deutschland- und Union-Jack-Fahnen, Passivität in Syrien
> und rote Ampeln in der US-Wahl. 2017? Weniger Breaking News bitte.
Bild: Dieser Flegel von einem Kalenderjahr darf jetzt gerne mal zu Ende gehen
taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht im zurückliegenden Jahr?
Friedrich Küppersbusch: Zeig deinen Feinden, dass es dir gut geht. Und an
Feinden war 2016 kein Mangel.
Was wird besser im nächsten?
2011 war ein Breaking-News-intensives Jahr, 2016 wieder. Schauen wir, wie
2017 uns erholsam verwöhnt.
Januar: Das Jahr ging apokalyptisch los. Da stirbt David Bowie, kurz darauf
sterben Prince, Götz George, Manfred Krug, Leonard Cohen, Muhammed Ali, Bud
Spencer, Ilse Aichinger, Fidel Castro und sein „Last Christmas“: George
Michael. Wer bleibt noch von den Großen?
These: Es sterben nicht mehr oder tollere Menschen – im Medienzeitalter
wird einfach näher gestorben. Der Sensemensch mäht Biografien ab, die wir
von Jugend an miterlebt und vom Starschnitt im Kinderzimmer an in unserem
Leben hatten. Die Popkultur schafft eine globale Familie, und wir betrauern
virtuelle Angehörige. Luzider Gedanke, mal Roger Willemsen fragen, wie er
das einordnet. Ach ja, okay. Traurig.
Februar: In Clausnitz demonstrieren rund 100 Einwohner gegen Flüchtlinge.
Hässliche Szenen gehen durchs Netz. Dabei waren die Ausschreitungen in
Dresden, Freital und Heidenau noch nicht lange her. Haben Sie noch Mitleid
mit den Sachsen?
In jedem anderen Entwicklungsland würde man ja auch fragen, wie man die
demokratische Opposition stärken kann. Von 1933 bis 1989 nichts gelernt,
außer: Vor unterschiedlich schlimmen Regimes unterschiedlich devot zu
kuschen ist auch keine solide Staatsbürgerkunde. Zweierlei Tücke: Man kann
keinem Migranten raten, dorthin zu ziehen – dabei hülfe nichts so gut gegen
die Angst der Insassen vor Umschluss. Und wer so drum bettelt, autoritär
angeschrien zu werden, muss sich schmerzhaft dran gewöhnen, nur noch sein
eigenes Gebrüll zu hören. Es mag hoffärtig sein, eine Bevölkerung pubertär
zu nennen. Andererseits wären Pickel im Landeswappen von Sachsen lustig.
März: Die AfD zieht beim Superwahlsonntag am 11. März mit wehenden Fahnen
in drei Landtage ein: 24 Prozent in Sachsen-Anhalt, 15 Prozent in
Baden-Württemberg und knapp 13 Prozent in Rheinland-Pfalz. Ein Vorgeschmack
auf die Bundestagswahl 2017?
Stelle mir gerade eine Fahne in den Wehen vor. Ihr habt aber auch Ideen! So
ähnlich bläht das deutsche Tuch sich wieder. Rechnerisch dürfte die Zahl
der Rechtswähler früher mal bei Union, FDP und SED verhortet gewesen sein,
das gibt der AfD ein paradox modernes Arom von Coming-out. Vize Gauland ist
in der CDU an Merkel gescheitert, Bundespräsidentenkandidat Glaser nach 40
Jahren CDU eine monströse Karikatur des beschmähten
Altparteien-Apparatschiks. Also: Die Form ist neu, der Inhalt stinkt aus
altbewährtem Stiefel.
April: Im April bezeichnet Jan Böhmermann den türkischen Präsidenten
Erdoğan in einem Gedicht als „Ziegenficker“ und löst damit eine Staatskri…
aus. Die Causa gibt einen dezenten Vorgeschmack auf das, was in den
folgenden Monaten sonst noch in der Türkei passiert: Putschversuch,
kritische Medien werden geschlossen, Journalisten verhaftet, Tausende
Lehrer, Wissenschaftler und Beamte entlassen. Erdoğan drückt brutal seine
Macht durch. Sollte so einer noch unser Verbündeter sein?
Wer 110.000 Beamte, Soldaten, Polizisten, Lehrer, Richter entlässt oder
inhaftiert, bekämpft nicht einen Putsch, sondern verhaftet eine
Massenbewegung, eine Bürgerinitiative. Erdoğan ist gerade in diesem Furor
in vollem Umfang geständig: Die türkische Bevölkerung ist demokratischer
als der Ruf ihres Herrschers. Die Kernfrage ist also, wie türkisch-deutsche
Freundschaft konstruktiv gemacht werden kann. Dazu war der humoristische
Touretteschub Böhmermanns ein etwas irrlichternder Beitrag: Das nämliche
Schmähgedicht auf Juden, Behinderte, Frauen hätte ihm einhellige Ächtung
eingebracht. Also mögen sich viele kompetent durchbeleidigt gefühlt haben
nach der Melodie „Das denken die Deutschkartoffeln doch wirklich über uns
Türken.“ Konstruktiv wäre das Gegenteil: Wen oder was in und an der Türkei
können wir loben, preisen, lieb haben und unterstützen – der oder das nicht
morgen von Erdoğan eingemeindet oder verhaftet würde ? Wäre Erdoğan mein
tyrannischer Nachbar, würde ich seinem Sohn Schokolade zustecken. Übersetze
das mal wer in Außenpolitik.
Mai: Die Panama Papers zeigen im Mai: Korruption, wohin man blickt.
Überrascht?
Dass es gleich 28 deutsche Banken waren – darunter sechs der sieben größten
Geldhäuser –, überrascht dann doch. Wie verpeilt sind denn die anderen? Wer
wurde gefeuert in der einen Großbank, die nicht mitmachte?
Juni: Die Briten stimmen im Juni für den Brexit. Jetzt, wo sich der Schock
gesetzt hat: Wie sehr werden sie Ihnen fehlen?
Na ja, auf dem Weg von der Weltmacht zum schrulligen Reiheneckhausbewohner
haben die Briten ein paar Jahrzehnte Pause als Diva vom Dienst in der EU
gemacht. Wenn in einer Beziehung ein Partner Angst bekommt unterzugehen,
sagt das etwas über die Beziehung aus. Und über das Selbstbewusstsein des
Partners. Stärkere Briten würden bleiben.
Juli: Das war ein Monat voller Terror und Amok: Ansbach, Ochsenfurt, Nizza,
München, Burkadebatte. Haben Sie seitdem Angst, wenn Sie in Köln unterwegs
sind?
Keine Witze über Weiberfastnacht. Der Mörder in München war ein offenkundig
psychotischer Rechtsextremist, die „Burkadebatte“ handelt wesentlich von
einem Phantom, und je differenzierter man die Themen betrachtet, desto
weniger taugen sie zu einer gemeinsamen Überschrift. Ihr Pech.
August: Brasilien ganz groß im Hochsommer. Erst Olympia, dann wird
Präsidentin Dilma Roussef abgesetzt. Was von beidem blieb Ihnen mehr im
Gedächtnis?
Bemerkenswert wenig, gemessen an den Wehwehchen, die uns hier in Atem
halten.
September: Anfang September berichten Ärzte aus Aleppo von einem erneuten
Giftgasangriff. In den folgenden Monaten wird die Stadt vor allem vom
syrischen und russischen Militär stellenweise dem Erdboden gleichgemacht.
Wieder sterben Tausende Menschen. Es ist das fünfte Jahr des Syrienkrieges,
jetzt mal ganz im Ernst: Haben Sie noch Hoffnung auf Frieden dort?
Na ja, wenn die Amerikaner damals auch gesagt hätten, sie befreiten
Deutschland erst, wenn der Russe damit aufhört, hätte Hitler sehr alt
werden können. Ein Siegermächtestatus für Syrien wäre ungerecht und
undemokratisch. Sterben ist noch einen Tick undemokratischer.
Oktober: Bob Dylan gewinnt den Literaturpreis. Erst mal aber meldet er sich
nicht und gibt sich dann unbeeindruckt. Gehört sich das für einen
Preisträger?
Er dachte, er bekäme wenn schon den Nobelpreis für Musik, und war ziemlich
beleidigt.
November: Für viele völlig überraschend gewinnt Donald Trump die Wahl zum
US-Präsidenten. Gewählt wurde er vor allem von mittelalten, weißen Männern.
Nun sind Sie ja auch so einer. Fühlen Sie sich schuldig?
Viel und klug wurde geschrieben über Fußball als Kriegsersatz, über legalen
Urlaub von der Vernunft: 2 x 45 Minuten „die sind böse, wir müssen sie
besiegen“. Ein kontrollierter Rausch, der den nüchternen Alltag
erträglicher macht. Das Gefühl auf Politik zu übertragen ist auch mal eine
Idee. Rechtspopulisten zu wählen hat etwas von: über die rote Ampel fahren
und hoffen, dass man nicht erwischt wird. Und die Tage, an denen wir
mittelalten weisen Männer nicht von unserer eigenen Vernunft erwischt
werden, sind lange her.
Dezember: Puh, Norbert Hofer bleibt uns doch erspart. Eine knappe Mehrheit
der Österreicher wählt den Grünen Alexander Van der Bellen zum neuen
Bundespräsidenten. Kaum ließ dies Hoffnung schöpfen, da rast ein Lkw auf
einen Berliner Weihnachtsmarkt und tötet 12 Menschen, fünf Tage vor
Heiligabend. 2016 in a nutshell, oder?
Es ist schwarze Pädagogik, doch: So ergeht es denen, die ihre Ausaufgaben
nicht machen. Viele Konflikte und Katastrophen lesen sich wie
Worst-case-Szenarien von vor 20, 30 Jahren: Was, wenn wir es nicht
schaffen, Wanderungsgesellschaft zu werden? Was, wenn wir global Geschäfte
machen, doch regional uns abschotten? Und also: Welche Aufgaben der Zukunft
verpassen wir jetzt gerade mit Blick auf diesen Flegel von einem
Kalenderjahr?
Und was machen die Borussen?
Neven Subotic. Er kommt mit der Straßenbahn ins Stadion, ist abwechselnd
verletzt, vertragslos oder beides und kümmert sich nebenher um Kinder in
Elendsgebieten und/oder der Dortmunder Nordstadt. Klarer Sieger bei der
Wahl zum Nichtspieler des Jahres.
30 Dec 2016
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Jahr 2016
Friedrich Küppersbusch
Friedrich Küppersbusch
Schwerpunkt AfD
2017
Fake News
CDU-Parteitag
Kanzlerkandidatur
Schwerpunkt AfD
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