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# taz.de -- Schrottmeiler Thihange in Belgien: Bürger messen lieber selbst
> Um das belgische AKW Tihange haben Anwohner ein Netzwerk aus eigenen
> Geigerzählern gebaut. Sie treffen Vorsorge für einen möglichen GAU.
Bild: Die Gefahr immer im Blick: Wohnhäuser neben dem Atomkraftwerk Tihange
Aachen taz | Ende März bekam Max Printzen im niederländischen Kerkrade nahe
Aachen einen besorgten Anruf. Eine Freundin hatte im Radio gehört, „dass
Tihange eilig evakuiert würde“, ob er Näheres wisse? War der belgische
Skandalreaktor, keine 60 Kilometer entfernt, außer Kontrolle?
Printzen suchte eilig Informationen und konnte die Evakuierung sogar
bestätigten, weil nach den Terroranschlägen von Brüssel alle
Fremdfirmenarbeiter das AKW-Gelände für eine Personalüberprüfung hatten
verlassen müssen. „Aber es war typisch“, sagt der 65-jährige technische
Redakteur heute, „du denkst sofort an das Schlimmste. Zeitnahe Infos kann
man bei einem GAU ja nicht erwarten.“ Sein Entschluss reifte: „Ich muss
selber messen.“
Der fachkundige Hobbybastler baute einen Geigerzähler. Im April war ein
unscheinbarer Kasten an seinem Haus installiert und misst seitdem rund um
die Uhr die Gammastrahlung. Gleichzeitig fand Printzen Gleichgesinnte. Die
TDRM-Gruppe entstand: Tihange Doel Radiation Monitoring. Ein Netzwerk um
das Forum InformatikerInnen für Frieden mit Dietrich Meyer-Ebrecht, einem
emeritierten Professor für Messtechnik an der TH Aachen, die Ärzte gegen
den Atomkrieg und das Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie. Zwölf
Messstationen gibt es bislang, alle Daten sind live viersprachig im Netz
einsehbar ([1][www.tdrm.eu]).
Die Pannenliste von Tihange 2 nahe Lüttich ist lang: tausende feine Risse
in der Betonhülle („Bröckelreaktor“), lückenhafte Baudokumentation, Feuer
auf dem Betriebsgelände, mehrfach lange Abschaltungen wegen technischer
Probleme. Das deutsch-belgische Informationsabkommen vom Montag nannte
Städteregionsrat Helmut Etschenberg (CDU) „einen reinen Papiertiger“. Am
Donnerstag wird Etschenberg mit weiteren hundert Kommunen in Brüssel
offiziell ihre Klage gegen den Betrieb von Tihange einreichen.
Beim einem GAU Katastrophenwarnungen auszurufen, sagt Meyer-Ebrecht, sei
„nicht unsere Aufgabe“. Die könnten zudem Panik auslösen. Das Netzwerk
würde allerdings umgehend den Katastrophenschutz alarmieren. Printzen
bastelt zudem an einer Alarmfunktion, durch die registrierte Freunde
automatisch eine SMS bekommen – auch er selbst, wenn er gerade schläft.
Die offizielle Alarmierungskette ginge von Tihange nach Brüssel, von da
nach Berlin, anschließend nach Düsseldorf und dann erst nach Aachen. „Wenn
das nachts ist“, argwöhnt Max Printzen, „muss man hoffen, dass überall
jemand wach ist.“ Jodtabletten muss man mindestens drei Stunden vorher
nehmen, länger bräuchte eine strahlende Wolke bei Westwind auch nicht.
„Jodtabletten zu bunkern ist publikumswirksam beruhigend“, so Printzen –
und wahrscheinlich ohne Bedeutung am Tag x.
Und was würde er machen? „Sofort ins Auto und weg ist wahrscheinlich das
Verkehrteste, was man tun kann“, sagt Printzen. „Das machen wohl alle. Und
dann stehen alle ohne Atemmasken im Stau – und die Wolke kommt. Lieber ’ne
Woche in den Keller.“ Printzen und seine Frau haben 50 Liter frisches
Trinkwasser gebunkert, die besten verfügbaren Masken gekauft („auch gegen
feinste Stäube“) und Folien für eine Eingangsschleuse zum Haus. „Das
Schlimmste wäre, den radioaktiven Staub reinzuschleppen.“
Er komme sich vor „wie ein Militärstratege“, sagt Max Printzen. „Das ist
gar nicht schön.“ Auf seiner Website enden die Infos mit dem Satz: „In der
Hoffnung, dass dies alles nur technische Spielereien ohne ernsthaften
Nutzen bleiben.“
20 Dec 2016
## LINKS
[1] http://www.tdrm.eu
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Belgien
Tihange
Anti-AKW
Anti-AKW-Proteste
Brennstäbe
Atomaufsicht
Atomenergie
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