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# taz.de -- Schulen in der Türkei: Proteste nach Brand in Mädchenheim
> Die Polizei löst eine Demonstration in Ankara gewaltsam auf. Nach dem Tod
> von elf Kindern und einer Lehrerin werden Haftbefehle ausgestellt.
Bild: Die Feuerwehr bei der Bekämpfung des Brandes in einem Mädchenheim in de…
ISTANBUL taz | Ein Brand in einem Mädchenheim im Süden der Türkei hat zu
einer scharfen Kontroverse zwischen der Opposition und der Regierung
geführt. Die kurdisch-linke HDP und die sozialdemokratische CHP werfen der
Regierung vor, das Mädchenheim nicht kontrolliert zu haben, weil es von
einer der Regierung nahestehenden sunnitischen Sekte betrieben wurde.
Vermutlich starben elf minderjährige Mädchen und eine Lehrerin deshalb,
weil die Tür zu Feuertreppe abgesperrt war. Der Verdacht ist, dass die
islamistische Heimleitung die Tür verrammelt hatte, um Außenkontakte der
Mädchen zu verhindern.
Wütende Demonstranten versuchten am Mittwochabend, zum Bildungsministerium
in Ankara vorzudringen. Sie wurden von der Polizei mit Wasserwerfern und
Tränengas angegriffen und vertrieben.
Die Regierung bestreitet die Vorwürfe der Opposition. Während der
Bürgermeister der nahe gelegenen Metropole Adana, Hüseyin Sözlü, Mitglied
der rechtsnationalistischen MHP, gegenüber der Presse sagte, der Notausgang
zur Feuertreppe sei versperrt gewesen, behauptet der stellvertretende
Regierungschef Veysi Kaynak nach einem Besuch im Heim, die Tür habe
überhaupt kein Schloss gehabt.
## Regierungschef Yilderim kündigt Untersuchung an
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte am Donnerstag an, wegen des Brandes
im Mädchenheim werde eine Parlamentarische Untersuchungskommission
eingerichtet. Zuvor hatte Bildungsministerin Fatma Betül Sayan Kaya
angekündigt, dass alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden,
sollte sich herausstellen, dass Fahrlässigkeit zu dem Feuer geführt habe.
Vorsorglich verhängte die Regierung aber eine Nachrichtensperre über den
Brand und die Ermittlungen.
Der Brand war Dienstagnacht vermutlich durch einen elektrischen Defekt im
Erdgeschoss ausgelöst worden. Das Feuer geriet schnell außer Kontrolle,
nach wenigen Minuten stand das ganze Haus im Flammen. Die meisten Leichen
wurden später im dritten Stock in der Nähe der Tür zur Feuerleiter
gefunden.
Getötet wurde zehn Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren, eine Lehrerin und das
vierjährige Kind des Heimleiters. 24 weitere Kinder und Lehrer wurden
verletzt. Etliche konnten sich nur durch einen Sprung aus dem Fenster
retten und verletzten sich dabei. Gegen 14 Personen wurde mittlerweile
Haftbefehl ausgestellt, darunter auch gegen den Leiter des Internats. Sechs
Personen sind in Untersuchungshaft.
## Religiöse Schulen sind kostenlos
Das Mädcheninternat in der Kleinstadt Aladag gehört dem Verein „Tahsil
Cagindaki Talebelere Yardim Dernegi“ einem Hilfsverein für Schüler und
Schülerinnen. Nach Angaben der linken Lehrergewerkschaft „Egitim Sen“ ist
dieser Verein Teil der einflussreichen sunnitischen Süleymanci-Sekte, die
die AKP unterstützt.
Nach Meinung der HDP besteht das generelle Problem darin, dass die
Regierung immer weniger Geld für das öffentliche Schulsystem bereitstellt
und stattdessen religiöse Schulen und Koran-Kurse unterstützt. So
berichteten Eltern der getöteten Mädchen, ihre Kinder seien zuvor in eine
öffentliche Schule mit Internat gegangen, die von der Regierung aber wegen
Baufälligkeit geschlossen wurde.
Die HDP beklagt, dass immer mehr Kinder vor allem aus armen Familien
gezwungen sind, in religiöse Schulen und Internate zu gehen, weil diese
kostenlos sind. „Das unsere Kinder gezwungen werden auf Internate zu gehen,
die keiner Kontrolle unterstehen, ist ein Verbrechen“, klagte ein
HDP-Parteisprecher.
Auch in den sozialen Medien wird die Regierung vielfach beschuldigt, die
Kinder religiösen Fanatikern auszuliefern, statt für eine ordentliche
Schulbildung zu sorgen. Das Problem hat sich seit dem Putschversuch im Juli
noch verschärft, weil seitdem rund 50.000 Lehrer suspendiert oder entlassen
wurden, was vor allem im armen Osten des Landes zu Schulschließungen
führte.
1 Dec 2016
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
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