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# taz.de -- Schach-WM in New York: Schielen auf Schnitzer
> Weltmeister Magnus Carlsen braucht zehn Partien, um seinen Herausforderer
> Sergei Karjakin zu besiegen. Hat er nun zu seiner Form gefunden?
Bild: Spielt wieder grandios: Weltmeister Magnus Carlsen
Der wahre Carlsen ist zurück: So wie in der zehnten Partie der
Schachweltmeisterschaft in New York kennen ihn die Fans und fürchten ihn
die Gegner. Der Titelverteidiger aus Norwegen presste aus dem Nichts alles
heraus, ganz viel Hirnschmalz. In einer völlig ausgeglichenen Stellung
lavierte der Weltmeister geduldig und umsichtig, erhöhte den Druck – bis
Herausforderer Sergei Karjakin in vermeintlich einfacher Stellung patzte.
Entspannt lachte Carlsen nach dem Ausgleich zum 5:5 in die Kameras und war
zu Scherzen aufgelegt. „Ich bin extrem erleichtert. Ich blieb noch nie so
viele Partien hintereinander ohne Sieg“, gab der Weltranglistenerste
Einblicke in sein Seelenleben. „Es war schwer, ihn zu brechen.“ Nach
zermürbenden sieben Remis war er nach der Niederlage in der achten Partie
entnervt von der Pressekonferenz geflüchtet, was ihn noch bis zu 60.000
Euro Strafe kosten könnte.
Im neunten Aufeinandertreffen des Millionenwettkampfs hatte Carlsen
übrigens nur mit Mühe den vorzeitigen K. o. durch eine zweite Schlappe
vermieden. „Da war ich einfach froh, überlebt zu haben“, gestand der
Weltmeister. Carlsen versuchte ihn in Partie Nummer neun mit der
Archangelsker Variante zu überraschen, die er in der Vergangenheit sehr
selten angewandt hatte. Karjakin zeigte sich aber bestens präpariert.
Die Spieler folgten 22 Züge lang dem bekannten Vorgänger, bis Carlsen die
schwarze Spielweise verbesserte. Dann übernahm Karjakin dank seiner starken
Läufer in einer völlig offenen Stellung die Initiative, doch Carlsen fand
eine Möglichkeit, mit der er ein etwas schlechteres, aber haltbares
Endspiel aufs Brett zauberte.
Niedergeschlagen klang der bis bislang dominierende Karjakin nach Partie
zehn. Bis dahin hatte er dem Favoriten erbitterten Widerstand geleistet.
Selbstkritisch analysierte der 26-Jährige von der Krim: „Magnus hat mir
Probleme gestellt, und ich beging mehrere Fehler.“ Entsprechend gut habe
sich Partie zehn für Carlsen angefühlt. „Das war genau das, was ich
brauchte.“ Der Weltmeister aus Lommedalen spielte erstmals so, wie es die
Experten erwartet hatten und von ihm gewohnt sind: Carlsen zelebrierte
seine hohe Kunst, kleinste Vorteile auszunutzen, bis der Gegner
zusammenbricht.
Im 20. Zug verpasste Karjakin allerdings ein kompliziertes Remis-Manöver
mit seinen schwarzen Springern. Der jüngste Großmeister aller Zeiten, der
den „schwarzen Gürtel“ des Denkspiels mit zwölf Jahren und sieben Monaten
eroberte, hätte mit einem Rappen einen Bauern auf f2 mit Schach vertilgen
können. Das sah aber sehr gefährlich aus, weil der kecke Springer hernach
in einer Fesselung durch einen weißen Turm auf f1 gestanden wäre. Den
Springerverlust hätte der Weltranglistenneunte nur durch ein Opfer des
zweiten Springers abwenden können. Carlsen hätte anschließend nur die
schlechte Wahl zwischen einer dreifachen Zugwiederholung samt
Friedensschluss und einer Niederlage gehabt. Ein Remis zu einer
5,5:4,5-Führung hätte Karjakin ganz nahe an den WM-Titel herangebracht.
## Carlsens Magie ist zurück
Doch bei bereits knapper werdender Bedenkzeit entging dem Großmeister die
wilde Variante mit dem Springeropfer vermutlich, und er spielte defensiver.
Fortan übernahm Carlsen das Ruder und baute seinen Vorteil aus, obwohl nur
noch zwei Türme und ein Springer übrig geblieben waren. In solchen
Stellungen fühlt sich der Norweger wie ein Fisch im Wasser. Im 56. Zug
unterlief Verteidigungskünstler Karjakin in unangenehmer, aber noch
haltbarer Stellung ein unmerklicher Schnitzer. Das kostete einen Bauern.
Und auch wenn Weiß noch einmal kurz die Zügel locker ließ, musste sein
Rivale die Partie nach sechseinhalb Stunden im 75. Zug aufgeben. Carlsens
Magie war zurück.
Am Samstag und Montag folgen nach jeweils einem Tag Ruhepause die beiden
letzten Runden. Sollte es hernach 6:6 stehen, käme es am 26. Geburtstag von
Carlsen zu einem Stechen im Schnellschach.
25 Nov 2016
## AUTOREN
Hartmut Metz
## TAGS
Schach-WM
Magnus Carlsen
Sergej Karjakin
Schach
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