# taz.de -- Zivile Drohnenopfer in Pakistan: Manche sind gleicher | |
> Taxifahrer Mohammed Asam stirbt im pakistanischen Belutschistan bei einem | |
> US-Drohnenangriff. Dieser galt einem afghanischen Talibanführer. | |
Bild: Das Autowrack, in dem Mullah Akhtar Mohammad Mansour und Mohammad Azam st… | |
Als Mohammed Asam seinen Arbeitstag am 21. Mai begann, war es ein sonniger | |
Morgen in Taftan, einer kleinen Stadt in der pakistanischen Provinz | |
Belutschistan. Wie jeder andere Taxifahrer auf der Welt glaubte Asam zu | |
wissen, wie sein Arbeitstag verlaufen würde: Er wartet auf Fahrgäste und | |
chauffiert sie von einem Ort zum anderen. Asam wusste allerdings nicht, | |
dass jener Arbeitstag der letzte in seinem Leben sein würde. | |
Am selben Tag wurde die Leiche des Taxifahrers geborgen, verbannt und kaum | |
identifizierbar. Sein letzter Fahrgast war das Ziel eines US-amerikanischen | |
Drohnenangriffs: Mullah Akhtar Mohammed Mansur, der damalige Führer der | |
afghanischen Taliban. Und so wurde auch Asam wie zahlreiche weitere | |
Menschen in Pakistan, Afghanistan, im Jemen oder in Somalia zum | |
Drohnenopfer. | |
Wie die meisten von ihnen fand sein Name in den internationalen | |
Schlagzeilen kaum Beachtung. Immer stand lediglich Mansur im Fokus. | |
Doch anfangs stand sogar dessen Tod nicht fest. Während sowohl das Weiße | |
Haus als auch die afghanische Regierung in Kabul den Tod Mansurs | |
bestätigten, waren viele Beobachter skeptisch und verlangten eindeutige | |
Beweise. Der Grund: In der Vergangenheit hieß es immer wieder seitens | |
verschiedener Regierungen und Medien, dass dieser oder jener | |
Extremistenführer durch einen vermeintlich präzisen Drohnenangriff getötet | |
worden sei – bis besagte Person wieder lebendig in Erscheinung trat. Wer | |
stattdessen getötet worden war, blieb meistens im Dunkeln. | |
## Einfach vergessen | |
Im Fall von Mansur kam es jedoch anders. Die pakistanische Regierung | |
bestätigte letztendlich seinen Tod, nachdem sie die DNA der Leiche mit der | |
eines nahen Verwandten des Talibanführers verglichen hatte. Der Fall war | |
damit abgeschlossen. Kurz darauf wurde Mansurs Platz von einem weitaus | |
radikaleren Mann eingenommen. Der Taxifahrer Asam hingegen, das andere | |
Opfer des Drohnenangriffs, wurde vergessen. | |
Asams Bruder, Mohammed Qasim, war erbost darüber. „Mein Bruder war | |
unschuldig“, sagt er. „Wir sind uns alle sicher, dass er nichts über die | |
wahre Identität seines letzten Fahrgastes wusste. Wie viele andere | |
Drohnenopfer hatte Asam keinerlei Verbindungen zu militanten | |
Gruppierungen.“ | |
Das US-amerikanische Verteidigungsministerium sieht das anders: Asam sei | |
ein „Kombattant“ gewesen. Ausführlichere Informationen kann das Ministerium | |
allerdings nicht bieten. | |
Wer alles ein Kombattant sein kann, machte 2012 die New York Times | |
öffentlich: Jede männliche Person im wehrfähigen Alter im Umkreis eines | |
Drohnenangriffs sei für das Weiße Haus als „feindlicher Kombattant“ zu | |
betrachten, schrieb die Zeitung. | |
Laut Qasim wurde Asam am Tag seines Todes darüber informiert, dass ein | |
Geschäftsmann aus der Region auf ein Taxi wartete. Mansur reiste regelmäßig | |
unter falschem Namen und gab sich als Geschäftsmann aus. Nach seinem Tod | |
wurde bekannt, dass der ehemalige Talibanführer in den letzten Jahren | |
diverse arabische Staaten regelmäßig besucht hatte. | |
Mehreren Berichten zufolge war der Iran Mansurs letztes Reiseziel. | |
Iranische Behörden meinten allerdings, dass er das Land zum genannten | |
Zeitpunkt nicht betreten habe. Jahrelang reiste Mansur also frei durch die | |
arabische Welt. Er muss mit größter Mühe versucht haben, seine Identität zu | |
verschleiern. Trotzdem soll ein einfacher Taxifahrer ihn enttarnt und sich | |
dazu entschlossen haben, mit ihm gemeinsame Sache zu machen? | |
Kurz nachdem Asam getötet woren war, füllte sein Bruder Qasim einen | |
sogenannten First Information Report in einer Polizeistation in | |
Belutschistan aus. Durch den Antrag wollte er eine Untersuchung von Asams | |
Tod – für Qasim ein klarer Mordfall – erreichen. In dem handgeschriebenen | |
Dokument verlangt Qasim Gerechtigkeit für seinen Bruder und betont, dass er | |
die Vereinigten Staaten als Täter und damit Hauptverantwortliche für den | |
Tod Asams betrachtet, der eine Frau und vier Kinder hinterließ. | |
## Gerichtsverfahren gegen die USA | |
Das Ziel der Familie ist, ein Gerichtsverfahren gegen die amerikanische | |
Regierung zu erreichen. Qasim will, dass sowohl Islamabad als auch | |
Washington die Unschuld seines Bruders anerkennt. Außerdem verlangt er eine | |
finanzielle Entschädigung für seine Familie. Sie habe schließlich ihren | |
Hauptversorger verloren und lebe nun in noch größerer Armut. | |
Doch auch Monate nach Asams Tod fühlt sich die Familie weiterhin allein und | |
machtlos. „Niemand interessiert sich für den Tod meines Bruders. Kein | |
einziger Politiker hat uns sein Beileid bekundet“, sagt Qasim. | |
Im vergangenen Monat wurde bekannt, dass die US-Regierung der Familie von | |
Giovanni Lo Porto eine Entschädigung von mehr als einer Million US-Dollar | |
auszahlen wird. Lo Porto, ein italienischer Entwicklungshelfer, wurde 2015 | |
von einer US-amerikanischen Drohne in Pakistan getötet. Ebenfalls ums Leben | |
kam damals auch der US-Amerikaner Warren Weinstein, der zum damaligen | |
Zeitpunkt gemeinsam mit Lo Porto von al-Qaida als Geisel festgehalten | |
wurde. US-Präsident Barack Obama entschuldigte sich persönlich für den Tod | |
der beiden Männer. | |
Davon kann Mohammed Asams Familie nur träumen. Ihr geht es wie den meisten | |
Hinterbliebenen von Drohnenopfern: Sie sind schlichtweg zu arm. Sie können | |
keinen juristischen oder politischen Druck ausüben. Sie können keine | |
Aufmerksamkeit erregen. All das aber wäre nötig, um die Verantwortlichen | |
zur Rechenschaft zu ziehen. | |
Vor wenigen Monaten veröffentlichte Washington erstmals Daten zu den | |
zivilen Drohnenopfern. Laut dem dreiseitigen Papier fanden im Zeitraum 2009 | |
bis 2015 473 Drohnenangriffe in Pakistan, Libyen, Somalia und im Jemen | |
statt. Dabei wurden laut US-Administration 2.372 bis 2.581 „terroristische | |
Kämpfer“ sowie 64 bis 116 Zivilisten getötet. Staaten wie Afghanistan oder | |
Irak werden in keiner Weise erwähnt. Die veröffentlichen Zahlen wurden von | |
Beobachtern und Kritikern stark hinterfragt. Selbst die konservativsten | |
Schätzungen der Anzahl ziviler Drohnenopfer übertreffen die Angaben des | |
Weißen Hauses. | |
Laut dem Bureau of Investigative Journalism (TBIJ), einer in London | |
ansässigen Journalistengruppierung, die den Drohnenkrieg ausführlich | |
dokumentiert, wurden allein in Pakistan zwischen 2009 und 2015 zwischen 256 | |
und 633 Zivilisten getötet. Im Jemen töteten US-amerikanische Drohnen im | |
Jahr 2015 mehr Zivilisten als die Bomben von al-Qaida. | |
Klar ist: Die Obama-Administration hat in den vergangenen Jahren mit ihren | |
Drohnen zahlreiche Menschen getötet. Im Jemen, in Pakistan, in Afghanistan | |
oder in Somalia gibt es viele Familien wie die Asams. Diese Menschen leben | |
in abgelegenen Regionen, die im Westen völlig unbekannt sind, und sind | |
Opfer von Kriegen, die sie niemals begonnen haben – Opfer, die in den | |
Medien stets namenlos bleiben und kein Gesicht haben. | |
24 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Emran Feroz | |
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