# taz.de -- Die Wahrheit: „Thema verfehlt, trotzdem lustig“ | |
> Die Wahrheit wird 25! Zum Jubiläum sprechen verdiente Mitarbeiter der | |
> Seite über Gurken und die Welt, aber auch über Krokodile in Not. | |
Versuchsanordnung: Wir befinden uns im taz-Gebäude. Draußen herrscht | |
herbstliche Dunkelheit, drinnen um einen Couchtisch sitzen ©Tom, | |
Irland-Korrespondent Ralf Sotscheck und die Zeichnerin Kittihawk. | |
Wahrheit-Redakteurin Harriet Wolff hat Unmengen von Dominosteinen, | |
Mandarinen und Waffeleiern, Bier und Saft für einen reibungslosen | |
Gesprächsablauf bereitgestellt. Es fehlen die von Sotscheck angeforderten | |
Gummibärchen. Er nimmt trotzdem an der Runde teil. | |
Wolff: Es gibt auch noch je einen Contessa-Lebkuchen für jeden. | |
Sotscheck: Einen was? | |
Wolff: Sorte Contessa: Die mit der hellen Zuckerglasur. | |
Sotscheck: So, so. | |
Kittihawk: Geht es jetzt los? | |
Das Aufnahmegerät blinkt grün. | |
Kittihawk: Oh, geht los. | |
Sotscheck: Ihr wisst schon, dass alles Technische kaputtgeht, sitze ich mit | |
am Tisch. Hab mal in Irland einen Seilbahnwärter interviewt, als der | |
plötzlich hastig den Notstopknopf drückte. Sonst wäre die Seilbahn in sein | |
Büro gekracht. Da saßen wir gerade. | |
Entsetzte Geräusche der anderen. | |
Sotscheck: Ich hatte das Ding, also die Seilbahn, noch nicht mal angefasst. | |
Kittihawk: Nein, komm jetzt! | |
Allgemeines Gelächter. | |
Kittihawk: Das war ja Multitasking von dem Wärter – Interview mit dir | |
machen und Notknopf drücken. Respekt, hätte ich nicht hingekriegt. | |
Draußen fährt eine Feuerwehr mit Sirenengeheul vorbei. | |
©Tom: Ralf Sotscheck ist der Einzige bis jetzt, der meinen absolut | |
bombensicheren Mac zum Einfrieren gebracht hat. Einfach so. Er wollte nur | |
Mails checken. Sotscheck setzt Hundeblick auf. | |
©Tom: Du musst mal deine Aura checken, Ralf. | |
Wolff: Bis eben ist ja hier im Raum alles noch ganz gut gelaufen. Aber da | |
draußen in der Welt – holt uns da gerade sukzessive der Notfall ein? Die | |
Commerzbank zum Beispiel hat ihren Kunden, die sich finanziell gegen einen | |
Trump-Sieg abgesichert hatten, jetzt mitgeteilt, dass der | |
„Versicherungsfall“ eingetreten sei. | |
Sotscheck: Die haben sich also gegen Trump versichert? | |
©Tom: Tja, da kann man wohl viel Geld verdienen mit dem. | |
Wolff: Gilt für Schreiber und Zeichner nicht eigentlich immer der Notfall | |
da draußen in der Welt? | |
Sotscheck: Notfall ist dann für mich als Schreiber, wenn die Realität so | |
absurd ist, dass man ihr quasi nichts mehr Spaßiges hinzufügen kann. | |
Notfall ist, wenn es einem die Realität vermasselt. | |
©Tom: Da sollte man am besten schon vorproduziert haben. | |
Sotscheck: Also Trump, dass so einer Präsident wird, das ist schon ziemlich | |
absurd, so wie er sich geäußert hat vor der Wahl. | |
Kittihawk: Ich tu mir schwer Witze über ihn zu machen. Wie willst du den | |
toppen? Da kannst du nur was total Echtes machen, was das so runterkocht. | |
Denn die Übertreibung, die ist schon da, die lebt er. Bin mal gespannt, | |
wie’s weitergeht. | |
©Tom: Na ja, er rudert ja schon ein bisschen zurück. Wahrscheinlich führen | |
bald große Jungs Trump ins Hinterzimmer und erzählen ihm, was er darf und | |
was nicht, was Sache ist. Und danach kommt er wahrscheinlich ziemlich klein | |
wieder raus. Hoffen wir’s zumindest. | |
Wolff: Seid ihr eigentlich heute gern hier bei diesem Gespräch? | |
Sotscheck: Doch, solange ich Tegernseer Hell kriege, ist alles gut. | |
Wolff: Habt ihr schon mal an Berufswechsel gedacht? | |
Lautes Schmunzeln. | |
Wolff: Wie wär das denn bei euch, wenn ihr was Neues suchen würdet? | |
Sotscheck: Ich würde auf dem Amt sagen: Hallo, ich bin Ralf, ich hab 34 | |
Semester studiert und dann gab es für Wirtschaftspädagogen wie mich keinen | |
Job. Also, ich glaube, wenn es mit dem Schreiben nicht mehr hinhaut, | |
bewerbe ich mich bei Media Markt als Tester – Geräte, die mich überleben, | |
kriegen das „Ralf Sotscheck RS-Gütesiegel“. | |
Giggelndes Lachen. | |
Sotscheck: Den Job ließe ich mir gut bezahlen. | |
Kittihawk: Die wahren Notfallgeräte wären das dann im Verkauf. | |
Sotscheck: Genau. | |
©Tom: „Sotscheck proved“! Ich hab ja nix gelernt, kann ja fast nix, bin | |
deshalb Zeichner geworden. Ich würde ein Café aufmachen: Kuchen backen kann | |
ich, und mit Kaffee verdienst du viel Geld. Hinterm Tresen stehen und | |
quatschen kann ich auch. | |
Kittihawk: Dann erträgst du aber bald Kaffee nicht mehr! Also, ich würde | |
mir einen komplett neuen Job suchen – einen, den ich überhaupt nicht gern | |
mache. Wenn man einen macht, den man gern macht, dann hasst man den Job | |
irgendwann, weil er so normal geworden ist. Ich kann zum Beispiel überhaupt | |
nicht mehr über Witze lachen. Und das finde ich total scheiße. Ich hab | |
einen tollen Arbeitsplatz, mach den ganzen Tag Witze, und dann denke ich: | |
„O, schon wieder dieser Witz, wie langweilig . . .“ | |
Sotscheck: Ich erzähl euch nachher meinen Krokodilwitz. | |
Kittihawk: Im Kopf kann ich schon noch lachen, wenn ich gute Witze von | |
Kollegen sehe. | |
Wolff: Ist das vielleicht eine Déformation professionnelle, bei dir? | |
Kittihawk: Wahrscheinlich. | |
Wolff: Abgesehen davon, dass ihr bei uns in kargem Lohn steht – findet ihr, | |
dass es die Wahrheit-Seite überhaupt braucht?Sotscheck: Aber | |
selbstverständlich! Sonst müsste man die taz ja von vorne lesen. | |
Kittihawk: Na ja, 25 Jahre reichen nicht aus für die gesamte Wahrheit | |
dieser Welt, da geht noch was. Und ich meine, ist die Wahrheit nicht auch | |
jeden Tag eine neue und sogar schönere? Wo kämen wir da hin, wenn sie nicht | |
täglich neu geschrieben und gezeichnet wird? Und dann: Wenn es sie | |
tatsächlich eines Tages nicht mehr geben sollte, die Wahrheit, also bitte, | |
dann sagen wieder alle: Es gibt eben doch keine Wahrheit mehr. Wollen wir | |
in so einer Welt leben? | |
©Tom: Die Wahrheit ist gut für den Blutdruck – vergnatzte Miesepeter können | |
sich so schön über sie aufregen. | |
Wolff: Was sagt ihr – lässt sich Humor lernen? | |
Sotscheck: (resolut) Nee. | |
©Tom: Ich denk schon. | |
Sotscheck: Also manche Leute kenn ich schon 30 Jahre und länger – die | |
lernen das nicht mehr mit dem Humor. | |
©Tom: Ich erzähl mal aus unserer Familie. Bei uns haben alle immer Quatsch | |
gemacht, viel gelacht. Mein Vater hatte stets einen Cartoonkalender, | |
allerdings war der nicht besonders gut (lacht). Und ich durfte früh Comics | |
lesen. Also: Ich hab einen Hang zum Lachen entwickelt. | |
Sotscheck: Aber wenn du so ein Umfeld nicht hast, dann lernst du auch nicht | |
mit 20 plötzlich Humor. Ich zum Beispiel bin nicht mit so viel Humor | |
aufgewachsen. Bei mir ist der eher angeboren. Humor ist aus meiner Sicht | |
aber auch kulturell bedingt. Es gibt gar nicht so viele Sachen, worüber | |
alle lachen können. | |
Wolff: Wo ist der Unterschied zwischen Humor und Witz? | |
Kittihawk: Na ja, Hitler etwa – der hatte ganz sicher keinen Humor, fand | |
sich aber wahrscheinlich witzig. Stelle mir vor, wie er so rumging im Büro | |
und zu seiner Sekretärin gesagt hat: „Bin doch witzig, oder nicht? Hoho.“ | |
©Tom: Der Gag mit der Bananenschale funktioniert auf der ganzen Welt. | |
Pipikackapopowitze tun das auch. Und Gurkenwitze: Besonders im Spreewald! | |
Alles voll davon. Überall. Ich war viel dort. | |
Kittihawk: Die wachsen dort unterirdisch. | |
©Tom: Dabei sind es gar keine echten Gurken. Eher so Champignons. | |
Wolff: Also, unsere Wahrheit-Gurke ist täglich echt! | |
Sotscheck: Ich sage es doch: „Lass niemals die Wahrheit in die Quere einer | |
guten Geschichte kommen.“ Ist ein altes irisches Sprichwort. | |
Ralf steht auf, geht zur Tür, zieht eine Jacke an. | |
Wolff: Ist jetzt Schluss, ziehst du jetzt deine Feierabendjacke an? | |
©Tom: Wie viele von diesen Fleecejacken hast du eigentlich, Ralf? | |
Sotscheck: Du meinst die graue hier? Na ja, eine für jeden Tag. Muss doch | |
mein Jackett schonen, hab bald Lesung – Notfall sozusagen. | |
Wolff: Ich hebe das Gespräch hiermit auf. Danke – Thema verfehlt, trotzdem | |
lustig! Ach ja, wie geht eigentlich der Witz mit dem Krokodil, Ralf? | |
Sotscheck: Den erzähle ich auf Nachfrage heute Abend im Berliner | |
„Heimathafen“ bei der Wahrheit-Geburtstagssause. | |
Kittihawk entfernt eine Fluse von Ralfs Fleecejacke. Tom seufzt. | |
25 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Harriet Wolff | |
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