# taz.de -- Nachruf auf Oleg Popow: Tot, traurig | |
> Der russische Clown Oleg Popow, der lange in Deutschland lebte, ist mit | |
> 86 Jahren gestorben – in der russischen Stadt Rostow am Don. | |
Bild: Der Clown Oleg Popow bei einem Auftritt in Düsseldorf 2009 | |
Oleg Popow ist gestorben. Zum zweiten Mal. Die Russen haben sich vom | |
Sonnenclown bereits kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion verabschieden | |
müssen. Dort war er die beliebteste Comicfigur, der Inbegriff von Zirkus, | |
der strahlende und immer ein bisschen traurige Clown. Der Clown | |
schlechthin. | |
Jeder Sonntag fing für mich, wie für Millionen andere Sowjetkinder auch, | |
mit seiner Sendung „Budilnik“ (Der Wecker) an. An die Inhalte kann ich mich | |
nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, dass er zum Leben dazugehörte, wie ein | |
Freund, der, stets mit Wundertüten bepackt, zu Besuch kam. Immer | |
überraschend, zuweilen poetisch und zum Wegschmeißen komisch. | |
Popows berühmte Dreiviertelhose, seine karierte schwarzweiße Mütze gehörten | |
bei jedem Faschingsfest zur Grundausstattung. Dann war er plötzlich weg. In | |
den Wirren der Zeit fiel das nicht weiter auf – damals Anfang der 90er | |
Jahre. Da war so vieles plötzlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden. | |
## Kräftige, warme Hand | |
Als ich vor 15 Jahren von einer Bekannten angerufen und gefragt wurde, ob | |
ich Oleg Popows Pressesprecherin werden wolle, hielt ich das zuerst für | |
einen schlechten Witz. Ein paar Wochen später stand ich dann vor einem | |
Zirkuswagen am Rande von Berlin. Mein Herz klopfte. Er kam heraus, strahlte | |
mich an und reichte mir die Hand. Sie war riesig, wie die eines Bären, sehr | |
warm und kräftig. Da stand sie wieder vor mir, meine Kindheit, diesmal | |
leibhaftig: dieselbe karierte Mütze, die kurze gestreifte Hose, rote | |
Söckchen, Kartoffelnase und tellergroße Augen, wach, verwundert und | |
schelmisch zugleich. | |
Die genauen Umstände seines Umzugs nach Deutschland sind mir nie ganz klar | |
geworden. Er erzählte es auch jedes Mal ein bisschen anders. Von einer | |
mickrigen Rente nach einem verdienstvollen Leben war die Rede. Von einer | |
abgebrochenen Tournee, davon, dass die Zirkusartisten vom Veranstalter | |
fallen gelassen worden seien. Vom tragischen Krebstod seiner Frau in | |
Moskau. Von Auftritten im Westen unter der Obhut holländischer Produzenten, | |
die neue Tourneen des ehemaligen Großen Russischen Staatszirkus im Westen | |
promoteten. | |
Und von einer romantischen Geschichte mit einer Pferdeliebhaberin, die zu | |
einer seiner Shows in Österreich in das überfüllte Zirkuszelt kam und | |
stehen musste, weil es keinen freien Platz mehr gab. Er ließ der jungen | |
Frau einen Stuhl bringen, sie kam nach der Vorstellung, um sich bei ihm zu | |
bedanken. Er bat um ihre Telefonnummer, sie sprach kein Wort Russisch, er | |
kein Wort Deutsch. Wenig später feierten sie in Holland Hochzeit. | |
## Großes Herz für Kinder | |
Es klang wie die Fortsetzung seiner Wundergeschichten aus meiner Kindheit. | |
So fing damals das zweite – deutsche – Leben der russischen Zirkuslegende | |
an. Wenig später sprach seine 32 Jahre jüngere deutsche Frau perfekt | |
Russisch und stand mit auf der Zirkusbühne. Der Große Russische | |
Staatszirkus zog wieder mit seinem Sonnenclown Oleg Popow von Stadt zu | |
Stadt, nur diesmal durch Deutschland und Holland. | |
In den vorstellungsfreien Zeit bastelte er mit seiner Frau auf dem | |
gemeinsamen Bauernhof in Franken an neuen Zirkusnummern. Seine Requisiten | |
für mehr als 400 Zirkusnummern hat Oleg Popow immer selbst angefertigt. In | |
jeder größeren Stadt, wo er auftrat, wollte er zuallererst wissen, wo sich | |
die örtlichen Flohmärkte befänden. Die Zirkushunde waren seine Lieblinge. | |
Über einen von ihnen, Mischka, hat er in Deutschland ein Kinderbuch | |
verfasst. | |
Für Kinder hatte er ein großes Herz. Einmal, als meine Söhne bei einer | |
Vorstellung in der ersten Reihe saßen und Popow Luftballons an die | |
Zuschauer verteilte, schnappte sich der Ältere einen. Der Jüngere brach in | |
Tränen aus. Als wir anschließend in Popows Wagen kamen, blies er als erstes | |
einen Luftballon mit Herz für den Kleinen auf . | |
Er zog nicht nur Kinder in seinen Bann. Er hatte stets einen passenden, | |
manchmal auch derben Witz parat. Wenn er sprach, verstummten alle. | |
Mangelnde Sprachkenntnisse waren nie ein Hindernis. 1960 traf er während | |
einer Tournee in Italien Charly Chaplin. Die beiden haben sich glänzend | |
verstanden. | |
## Politik war tabu | |
Das einzige Tabu war russische Politik. Clown zu sein, heißt frei zu sein, | |
sagte er einmal. Lebte er deswegen im Westen, wollte ich wissen. Sein | |
Zuhause sei unter der Zirkuskuppel, lautete die Antwort. Wo sich diese | |
befinde, sei ihm völlig egal. | |
Das stimmte wohl nicht ganz. Er war gewiss sehr glücklich in Deutschland. | |
Aber es fehlte etwas. Das war sein russisches Publikum. Und seine Heimat. | |
Dort war er der Sonnenclown, in Deutschland lediglich Hans im Glück. Darauf | |
angesprochen, warum er nie wieder nach seiner Ausreise 1991 nach Russland | |
zurückgekehrt sei, wich er aus. Alle, die ihm lieb und teuer wären, seien | |
entweder in Deutschland oder im Himmel. | |
Erst 2015 reiste er für eine Preisverleihung nach Russland. Nun sollte | |
dieses Jahr eine große Tournee durch Russland folgen. Ich glaube, er hatte | |
diese ganzen Jahre richtig Angst davor zurückzukehren. Weil er ahnte, dass | |
er dort nie wieder ein Sonnenclown sein würde. | |
Am Donnerstag lautet die trockene Todesnachricht: „Oleg Popow ist in seinem | |
Hotelzimmer vor dem Fernseher friedlich eingeschlafen“. Aber er konnte | |
eigentlich nie friedlich einschlafen, wenn er den Fernseher einschaltete. | |
Was er oft tat. Russisches Fernsehen. Er wollte immer im Bilde sein. Rostow | |
am Don, wo Oleg Popow gerade den zweiten Tag seiner Tournee absolviert | |
hatte, liegt nur 130 Kilometer von der russisch-ukrainischen Grenze | |
entfernt. Dort kann momentan vom Frieden keine Rede sein. Denn auf beiden | |
Seiten der Frontlinie sterben beinahe täglich die Kinder derjenigen, die | |
sich vor 40 Jahren mit der gleichen Begeisterung, wie ich, Popows | |
„Budilnik“-Sendung angeguckt haben. Menschen sind zu Feinden geworden. Ob | |
ihm das wohl das Herz gebrochen hat? | |
Wie schaffte er das nur in seinem Alter noch so topfit zu sein, fragte ich | |
ihn 2003 in einem der ersten Interviews. Er antwortete mit dem | |
schelmischsten Lächeln der Welt: „Du meinst wohl, wann ich gedenke, den | |
Löffel abzugeben? Ich habe nicht vor, Zeuge dieser Szene zu werden. Clowns | |
gehen nicht in Rente. Sie werden aus der Manege hinausgetragen.“ Genau das | |
ist ihm jetzt passiert – nur eben nicht im Zirkus. Dafür aber in seinem | |
geliebten Russland. | |
4 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Irina Serdyuk | |
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