| # taz.de -- Die Wahrheit: Unter Transis | |
| > Subkulturen sind heute nicht mehr nur im Mainstream zu finden: ein | |
| > berückender Einblick in die Kleintransporter-Szene. | |
| Bild: Der Innenraum dieses Kleintransporters ist ausgelegt mit einem echten Ori… | |
| Sie treffen sich sonntags auf Rastplätzen, verabreden sich zu illegalen | |
| Umzügen und geraten manchmal auf Abwege: Mehr und mehr macht die | |
| Kleintransporter-Szene von sich reden. | |
| „Wir sind schon eine Subkultur“, meint Thorsten B. (42), während er den | |
| Motor seines Mercedes Vito mit viel Gefühl „kommen“ lässt. Dabei ist der | |
| intellektuell wirkende Brillenträger und zweifache Vater eher ein | |
| untypischer Vertreter der „Transi-Szene“. „Ich bin ziemlich zufällig | |
| dazugekommen, vor sechs Jahren“, erzählt er und wechselt auf die ganz linke | |
| Spur der A 2. „Ich hatte meinem Bruder beim Umzug geholfen und war am | |
| Sonntag allein zurück nach Hamburg, um den Wagen zurückzugeben. Und hier, | |
| auf dem Rastplatz Auetal, fielen mir dann diese coolen Leute auf.“ | |
| Man kam schnell ins Gespräch damals, nachdem sein Mietfahrzeug zunächst mit | |
| abschätzigen Blicken bedacht worden war. Beim Blick in den geöffneten | |
| Laderaum eines knallroten VW Caddy wusste Thorsten auch, warum: Der | |
| Innenraum war ausgelegt mit einem echten Orientteppich und voll tapeziert. | |
| Thorsten blieb zwei Stunden auf dem Rastplatz und erlebte Rituale wie den | |
| Tausch von Zierleisten sowie das dreidimensionale Nachmessen von | |
| Laderäumen. Es gab Krakauer und „Crafter“, wie das Spezi hier heißt, und | |
| Van Halen und Minitruckstop dröhnten über den Parkplatz. | |
| ## Transi-Club blinkt links | |
| Thorsten B. blinkt einen VW Golf von der Überholspur und schwärmt: „Ich | |
| habe mich dann bald dem Transi-Club ‚Blinker links‘ angeschlossen. Da gibt | |
| es bis heute Veteranen, die noch die alte Transitstrecke Berlin–Hamburg | |
| gefahren sind, noch vor der Autobahn. Die sind natürlich unsere Helden. Die | |
| haben da illegale Rennen gemacht. Und die Polizei-Wartburgs locker | |
| abgehängt.“ | |
| Am nächsten Rastplatz hält Thorsten an. Sein Hund „Sprinter“ muss Gassi. | |
| Und seiner Meinung nach sind wir jetzt auch reif, einen Blick in seinen | |
| Laderaum zu werfen. Fasziniert betrachten wir die Minischrankwand Typ | |
| „Caravan“, die ein Gelsenkirchener Spezialunternehmen produziert. | |
| Vor den von innen aufgemalten, täuschend echten Fensterimitaten hängen | |
| indirekt beleuchtete Gardinen. Das Plakat des Kultfilms „Kleintransporter | |
| auf großer Fahrt“ hängt gerahmt und hinter Glas an der Wand zur | |
| Fahrerkabine. Der Unterboden ist zu einem flachen Whirlpool ausgebaut. Und | |
| der Clou: die doppelten Breitreifen sind frei sichtbar hinter | |
| schlammbespritzten Plexiglas-Innenkotflügeln eingehängt. | |
| Thorsten grinst stolz, als er unser Staunen bemerkt. „Ein paar von uns | |
| arbeiten bereits an einem selbstfahrenden Wohntransi auf Tesla-Basis, der | |
| allein in Urlaub geht. Der soll dann selbstständig auf unserem | |
| Lieblings-Standplatz einparken, während wir das Geld verdienen, das man für | |
| die Standplatzmiete braucht.“ | |
| ## Transis sind keine Rowdys | |
| Dann wird Thorsten plötzlich ernst. Sehr ernst. „Wir fühlen uns von der | |
| Polizei zu Unrecht verfolgt. Wegen einiger schwarzer Schafe wird die ganze | |
| Transi-Szene in eine Rowdyschublade gesteckt. Und die Politik lässt uns im | |
| Stich.“ Wir wissen, worauf er anspielt – unser Gespräch mit dem Leiter der | |
| Autobahnpolizeidirektion Hannover hat die heiklen Themen schonungslos ans | |
| Tageslicht gebracht: Rechtsüberholen mit Tempo 220; illegale | |
| Motocross-Rennen in Naturschutzgebieten; Monster-Transis in historischen | |
| Altstädten, und eine Parallelwährung namens Ducato, mit der die Umsätze der | |
| Szene am Finanzamt vorbeigeschleust werden. | |
| „Ich verstehe das wirklich nicht. Wenn sie alles legalisieren würden, hätte | |
| die Polizei überhaupt keine Probleme mit uns. In der Unfallstatistik stehen | |
| wir deutlich besser da als Geisterfahrer und Betrunkene. Und dass wir einen | |
| längeren Bremsweg haben, ist nicht unsere Schuld. Wenn Pkw-Schleicher und | |
| Ausländer die Spur freimachen, passiert – nichts. Und übersehen kann man | |
| uns ja kaum im Rückspiegel!“ Geht es um seine Freiheit als Bürger, kann der | |
| ansonsten besonnen wirkende Familienmensch richtig leidenschaftlich werden. | |
| Hat Thorsten noch Träume? Aber ja! Die Transamericana, die will er einmal | |
| „machen“ in seinem Leben. Möglichst mit Familie – wenn seine Frau ihre | |
| „Auszeit“ bis dahin beendet hat. Sie hatte kein Verständnis für seine | |
| Tempoprobefahrt auf dem heimischen Hof aufbringen können. „Dabei“, ereifert | |
| sich Thorsten, „kann die Kleine an Krücken schon wieder ganz gut gehen. Und | |
| es war schließlich der Job meiner Frau, auf die Kinder aufzupassen!“ | |
| Zusammen mit „Blinker links“ will er politische Verantwortung übernehmen | |
| und den Forderungen der Szene Gehör verschaffen. Darunter ist auch die | |
| Aufnahme der „Formel T“ in den internationalen Rennkalender. „Silverstone, | |
| Imola, Suzuka … das wäre so was von mega“, murmelt Thorsten versonnen und | |
| schließt die Hecktür seines Transis. Und so kommen die Buchstaben wieder | |
| zusammen, die sein Motto formen: „Nicht hupen! Fahrer träumt vom | |
| Nürburgring.“ | |
| 1 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Oliver Domzalski | |
| Andreas Czech | |
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