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# taz.de -- Die Wahrheit: Premiumtitel an der Floskelbörse
> Von Selbstmordattentätern bis zum Rentensystem ist alles
> „menschenverachtend“. Über einen Passepartout für das Elend dieser Welt.
Wenn in schwierigen Zeiten die feinen Unterschiede flöten gehen, muss man
sich die Flötentöne eben zuzeiten neu beibringen. Andernfalls schrumpeln so
unterschiedliche Dinge wie eine sarkastische und eine zynische Bemerkung
auf das diffuse Gefühlchen zusammen, soeben etwas irgendwie ganz Gemeines,
im Zweifel sogar „Menschenverachtendes“ gehört zu haben.
Könnte man sein Geld in Worte wie in Aktien investieren, wäre die
„Menschenverachtung“ ein absoluter Premiumtitel an der Floskelbörse.
Deutlich schwächer notieren dort Umschreibungen wie rücksichtslos, kalt,
brutal oder verbrecherisch. Von islamistischen Selbstmordattentätern bis
zum deutschen Rentensystem, von den Rundfunkgebühren bis zur Asylpolitik,
vom Recht auf Abtreibung bis zum Verbot der Abtreibung – alles
„menschenverachtend“.
Ferner verachten den Menschen in seiner Würde auch einzelne Menschen:
Barack Obama mit seinen Drohnen, Wladimir Putin mit seinen Kampfbombern,
Mario Draghi mit seiner Zins- und Angela Merkel mit ihrer
Einwanderungspolitik.
Gewöhnlich kommt der Begriff im handlichen Doppelpack als „zynisch und
menschenverachtend“ daher. Ein Passepartout für alles Elend der Welt. Wie
ein sprachliches Gummigeschoss lässt es sich auf alles abfeuern, was nicht
Margot Käßmann ist. Wer eine Seite besonders laut so anprangert, steht
solide auf der Gegenseite, ist automatisch „zutraulich und
menschenfreundlich“.
Manchmal wird die Menschenverachtung auch als zusätzliche Empörungsstufe
zugeschaltet, wenn man etwa „Germany’s Next Topmodel“ zunächst als
„frauenfeindlich“ geißelt und anschließend reflexhaft ein „und
menschenverachtend“ hinzufügt, weil Frauen doch irgendwie auch Menschen
sind. Verächtlichkeit ist sogar schlimmer als Feindlichkeit – wobei als
„menschenfeindlich“ vielleicht höchstens das Ebola-Virus oder das Klima des
antarktischen Winters gelten können. Und eben wir selbst.
Und wer sagt eigentlich, dass einzelne Menschen zu achten oder ganze
Gruppen prinzipiell zu ehren sind, ungeachtet ihrer Taten? Ist im Hinblick
auf manche Zeitgenossen ein gewisses Maß an Misanthropie nicht ein Zeichen
geistiger Gesundheit? Muss ich mögen? Und umgekehrt allem, was mir nicht
behagt, das rhetorische Antibiotikum der „Menschenverachtung“ verabreichen?
Was menschenverachtend ist, hat keine Gründe mehr. Was menschenverachtend
ist, muss einfach: aufhören. Punkt. Ganz egal, ob es sich um den Terror von
Islamisten, die Interessen der Finanzmärkte oder die Musik von Andreas
Gabalier handelt – es soll weg sein, bitte. Mein Ärger über die Wirkung
möge, puff!, die Ursache zum Verschwinden bringen.
Wer von „Menschenverachtung“ plappert, verschleiert entweder den konkreten
Sachverhalt oder seine eigene Hilflosigkeit angesichts der
Unübersichtlichkeit unserer Zeiten. Ihm ist nicht zu trauen. Sarkasmus oder
Zynismus sind hier nicht geboten. Sardonisches Gelächter genügt.
28 Oct 2016
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Sprache
Nutella
Tourismus
Bürgerliche Mitte
Schwerpunkt „Lügenpresse“
Kinder
Mücken
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