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# taz.de -- Armenien am Brett: Wo Schach die Antwort auf alles ist
> Kein Staat fördert das Schachspiel wie Armenien: Fernsehprogramm,
> Pflichtfach in der Schule und eine eigene Akademie mit 53 Filialen.
Bild: Aschot Anastasjan: „Ich arbeite jeden Tag mit den talentiertesten Kinde…
Jerewan taz | Können Sie sich das vorstellen?“ Aschot Anastasjan schwärmt.
„Ich arbeite jeden Tag mit den talentiertesten Kindern des Landes. Ist das
nicht das Glück? Doch! Ich lebe ein so glückliches Leben mit meinem
Schüler.“ Anastasjan ist Großmeister und Schachlehrer. Sein talentiertester
Schützling ist der derzeit beste Spieler Armeniens – und der ist zwölf
Jahre alt: Mamikon Gharibjan, zweimaliger Europameister, gilt als Kandidat
für den Sieg in der 28-köpfigen armenischen Delegation, die vom 18. bis 31.
Oktober zur Schachweltmeisterschaft in den Altersklassen U8, U10 und U12 im
georgischen Batumi antritt.
Doch Trainer Anastasjan warnt: Die Spieler aus Indien und China seien die
härtesten Konkurrenten. Anastasjan ist 52 Jahre alt und er ist der
persönliche Trainer vieler Nachwuchstalente. Warum spielen in Armenien so
viele Kinder so gut Schach? „Es ist die angeborene Gabe der Natur“, meint
Anastajan. „Es ist wie beim Fußball. Wer jeden Tag trainiert, wird trotzdem
kein Lionel Messi.“
Anastasjan folgt der sowjetischen Schachtradition und lässt intensiv
trainieren. „Schach entwickelt die Logik und das strategische Denken.“ Er
hält es für eine gute Alternative zu dem, was er „Smartphonekrankheit“
nennt. Morgens unterrichtet Anastasjan an der Schachfakultät des
Sportinstituts in der Hauptstadt Jerewan, am Nachmittag lehrt er im
Schachhaus der Stadt. Zusätzlich gibt er noch per Skype Schachstunden, von
Montag bis Samstag, sechs Tage die Woche.
Anastasjan ist sich sicher, dass Schach eine Art Label für das kleine
Armenien ist. Nicht durch Zufall ist Staatspräsident Serj Sargsjan auch der
Chef des Schachverbands. Heute hat das Land 38 Großmeister, 30
Internationale Meister und 18 Fide-Meister. Die Erfolge armenischer Spieler
sind seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 kaum mehr zu zählen. Die
Männermannschaft gewann 2006, 2008 und 2012 bei der Schacholympiade Gold.
Bei den Welt- und Europameisterschaften 2011 und 1999 gingen die Armenier
als Sieger vom Spieltisch. Nur von den Leistungen der Frauen ist Anastajan
nicht so begeistert, die Mannschaft konnte bislang nur die
Europameisterschaft 2003 gewinnen.
## Zwölf Schachschulen mit 3.000 Schülern allein in Jerewan
Ein entscheidender Schritt der Schachförderung war die Entscheidung der
armenischen Regierung, das Spiel 2011 zum Schulpflichtfach der zweiten bis
vierten Klasse zu machen. Die Kaukasusrepublik mit ihren drei Millionen
Einwohnern war das erste Land der Welt, das das tat. Es gibt spezielle
Schulbücher und speziell qualifizierte Lehrer.
Mikayel Andriasjan ist erst 25 Jahre alt und bereits Generalsekretär des
Schachverbands. Er erzählt, dass das Schulprojekt sogar ausgeweitet werden
soll, ein Curriculum für die fünfte bis neunte Klasse werde derzeit
getestet. Für diese Altersstufe werde Schach dann aber ein freiwilliges
Angebot sein.
Doch die Schachförderung geht weit über die allgemeinbildenden Schulen
hinaus. In Jerewan etwa existieren zwölf Schachschulen, an denen insgesamt
etwa 3.000 Schüler unterrichtet werden. Kostenlos. Zwei weitere Schulen
werden noch in diesem Jahr eröffnet.
Armenien hat sogar eine Schachakademie, 2002 in Jerewan gegründet. Hier
studieren Nachwuchsspieler im Alter von fünf bis 20 Jahren. Die
Aufnahmekriterien sind streng, in der Akademie lernen die zukünftigen
Medaillenkandidaten bei Nachwuchswettbewerben. Die Akademie hat Filialen in
53 Städten im ganzen Land.
## Die Arbeit des Tigran Petrosjan
„Als Kind war ich vom Schach enttäuscht, weil ich nicht so gut wie mein
Bruder spielte, der Weltmeister war“, erinnert sich Funktionär Andriasjan.
Heute aber koordiniert er die gesamte Arbeit von Verband und Akademie.
Sogar einige postsowjetische Länder wie Belarus, Usbekistan und Kirgistan
hätten sich an Armenien gewandt, erzählt der Generalsekretär: Sie wollten
das armenische Schulschachprogramm nachahmen. Er verweist auf
internationale Studien, die ergeben hätten: „Wer Schach spielt, der nimmt
keine Drogen.“
Am Anfang des armenischen Schachbooms steht ein Mann: Tigran Petrosjan. Er
war sowjetischer Schachgroßmeister und von 1963 bis 1969 Schachweltmeister.
Der neunmalige Schach-Olympiasieger, der 1984 verstarb, stand mit der
Mannschaft der UdSSR auf Platz eins der Weltrangliste. In Moskau
promovierte er in Philosophie über Logik im Schachdenken. Zudem war er
Chefredakteur der sowjetischen Schachzeitschrift.
Auch in Deutschland ist Petrosjan bekannt: Sein Buch „Die
Schachuniversität“ ist etwa eine Sammlung von Vorträgen zu
schachpraktischen Fragen die 1988 in deutscher Übersetzung erschien. Auch
Band 26 der „Weltgeschichte des Schachs“ handelt von Tigran Petrosjan. Und
in diesen Tagen erscheint das Buch „Tigran Petrosjan: Meilensteine des
Schach“, in dem sowohl 70 Partien analysiert und kommentiert werden als
auch sein Leben vorgestellt wird.
Der Name Tigran Petrosjan war in Armenien wie eine Marke, der Großmeister
wurde in seiner Heimat als Nationalheld verehrt. Petrosjan legte den ersten
Stein des Schachhauses von Jerewan 1967 in einem Park im Stadtzentrum, seit
dem Tod des Spielers 1984 trägt das Schachhaus seinen Namen.
Das Gebäude hat eine ungewöhnliche Dreiecksform. Die Fassade ist mit sieben
Schachfiguren aus Kupfer verziert. Vor dem Haus steht die Büste des
legendären Petrosjan, nicht weit von dort stehen mehrere Bänke und Tische
im Park. Es ist ein lebendiger Ort, denn hier, unter den Bäumen, spielen
die Einwohner.
## „Die Schachwelt“ und „Das Schachtagebuch“
Und zwar wirklich alle: Kinder, Frauen und Männer, Alte und Junge. Sie
bestreiten hier Partien gegeneinander oder analysieren berühmte historische
Spiele. Im Flur des Gebäudes selbst spielen im Eingang die Senioren. Sie
plaudern miteinander und versuchen, gemeinsam neue Strategien auszuklügeln.
Im großen Saal, wo die Turniere ausgetragen werden, herrscht eine
konzentrierte Stimmung. Dort hängen Teppiche mit den Motiven des Spiels an
den Wänden – schwarze und weiße Figuren, Szenen von Kampf, Sieg, Niederlage
und Aussöhnung. Im Zentrum, an der Wand hinter der Bühnen, hängt das
goldgerahmte Porträt von Tigran Petrosjan.
Auch das Fernsehen zeigt viel Schach. Der öffentliche Erste Kanal bringt
regelmäßig zwei Sendungen über das Spiel: „Die Schachwelt“ und „Das
Schachtagebuch“. Und auch die anderen Programme berichten ausführlich über
die wichtigsten Ereignisse sowohl in der weiten Welt des Schach als auch
über die Entwicklung des Spiels in Armenien. Häufig sind dort Reportagen
über den Schachunterricht in den Schulen des Landes zu sehen. Mit
praktischen Übungen versuchen die Kommentatoren, mögliche Spielfehler zu
erklären und Lösungen vorzuschlagen.
Die Erfolge geben den Anstrengungen recht. Und Aschot Anastasjan, der
Trainer mit den vielen Talenten, ist sich sicher: „Die Schacherziehung wird
vieles in diesem Land ändern.“
15 Oct 2016
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
## TAGS
Schach
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weiter.
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